Benedikt Stampa, ehemaliger Chef der Laeiszhalle, ist als Intendant am Konzerthaus Dortmund seit Jahren einfalls- und erfolgreich tätig.
Hamburg Wer als Erster und auch noch freiwillig in vermintes Gelände trabt, ist nicht zu beneiden. Als Benedikt Stampa 1996 aus der Kulturstiftungs-Leitung in die Chefetage der damals noch als Musikhalle bekannten Laeiszhalle wechselte, flog ihm in den folgenden sieben Jahren eine Menge um die Ohren. Es gab noch keinen offiziellen Kulturauftrag für das einzige Konzerthaus der Stadt, Subventionen zur Programmgestaltung gab es noch viel weniger. Dafür aber einige Platzhirsche, die nicht von ihren Pfründen lassen wollten, bloß weil ein junger, baumhoher Westfale dickschädlig daran festhielt, dass dieses kulturpolitische Elend endlich geändert gehört.
17 Jahre, eine historische Bürgerschafts-Entscheidung und einen Jobwechsel Stampas später, hat sich für ihn viel geändert. Stampa, mittlerweile 47, hatte sich in dieser Stadt blaue Flecken geholt, aber mit Rückenwind aus der Kulturbehörde den Kulturauftrag erreicht („Ein kleiner, sehr wichtiger Partisanenakt von Staatsrat Behlmer“). Er hat die Namensänderung am Johannes-Brahms-Platz durchgesetzt und wichtige Weichen für den Bau der Elbphilharmonie gestellt. „Teilweise habe ich die Mutlosigkeit der handelnden Personen als sehr schwierig empfunden.“
Auf die Frage hin, was er von Hamburg für den Rest der Welt gelernt habe, holt Stampa etwas weiter aus. „Hamburg ist eine Stadt, die sehr inselgeprägt zu sein scheint. Man arbeitet sehr für sich und in sich und betrachtet sich sehr intensiv. Ich habe gelernt, dass man durch diese Nabelschau eine gewisse Wichtigkeit bekommt. Wo ich jetzt bin, ist alles viel größer und viel entspannter. Die Wege, beispielsweise zu Behörden, sind weiter. Manchmal gibt es in Hamburg auch ein gewisses Köcheln im eigenen Saft.“
Als Stampa 2005 gefragt wurde, was sein Nachfolger als Laeiszhallen-Chef benötige, antwortete er: „Zähigkeit, gute Nerven, diplomatisches Geschick und den sehr starken Willen, aus sehr wenig viel zu machen.“ „Das kann ich nach wie vor so unterschreiben“, sagt er heute und macht erst mal eine Pause, um zu betonen, dass das eher kein Kompliment an die kulturpolitischen Zustände der alten Heimat war. Auch zum E-Wort hat Stampa eine klare Meinung: „Zur Elbphilharmonie gibt es immer noch die gleichen Diskussionen, die wir schon vor zehn Jahren hatten.“
Als Chef des 2002 eröffneten Konzerthauses in Dortmund sieht die Welt für ihn deutlich anders aus. Rosiger, aufregender. Die Bilanz in Kurzform: Der Laden läuft nicht nur, er brummt förmlich, trotz der vielen Konzertsäle in der Region und trotz der Tatsache, dass NRW berüchtigt wenig Geld hat und viele Kommunen aus dem letzten Loch pfeifen. Was Stampa in Hamburg, oft bei steifem Gegenwind, gelernt hat, erleichtert ihm nun die Arbeit in Dortmund, für einen Saal der sehr funktional gestaltet ist und mitten in die Fußgängerzone geklemmt wurde, zwischen Dönerbuden und Discounter-Geschäfte. Glamourös geht anders, doch hier zählen ja vor allem die inneren Werte.
Stampa will und bekommt inzwischen internationale Stars für mehrjährige Residenzen, zuletzt Esa-Pekka Salonen, ab der nächsten Spielzeit den jungen, überall heiß begehrten Yannick Nézet-Séguin. Der gibt seine Deutschland-Konzerte als neuer Chef des Philadelphia Orchestra dann nämlich nicht in Berlin, München oder Hamburg. Sondern in Dortmund. Der programmatische Spaß an Abenteuerlust im Konzerthaus hat sich herumgesprochen in der Klassik-Spitzenliga, die weltweit agiert und sehr überschaubar ist, weil jeder jeden kennt. Gerade ging es für Stampa auf Dienstreise nach Los Angeles, um neue Kontakte zu knüpfen und alte zu vertiefen. Ideen anschieben, große Räder drehen. Stampa liebt es, den Duft der großen weiten Klassik-Welt in sein Haus zu holen. Eine Pop-Abo-Reihe hat er etabliert und bringt „Junge Wilde“ als Klassik-Stars für morgen, das Haus mit seinen 1548 Plätzen ist in der Branche für seine cleveren Marketingideen bekannt (geliefert übrigens aus Hamburg, aus der Agentur Jung von Matt).
Die „re-rite“-Ausstellung aus London, die Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter im Frühjahr aus Mangel an Alternativen in die Kaispeicher-Baustelle stellte, war schon 2011 in Dortmund zu Gast. Cecilia Bartoli hatte ihre „Norma“-Premiere nicht bei den diesjährigen Salzburger Pfingstfestspielen, sondern 2010 in Dortmund, konzertant mit NDR-Chefdirigent Thomas Hengelbrock, der in diesem Frühjahr, ebenfalls dort, einen „Parsifal“ auf Originalinstrumenten präsentierte, um den ihn Bayreuth beneiden sollte. Nur zwei von vielen Beispielen aus dem Programm, das Stampa anbietet – weil er es kann. Weil man ihn machen lässt. Und all das in einer 600.000-Einwohner-Stadt, die weit vom Kontostand Hamburgs entfernt ist. Stampa schwärmt dennoch von den „unvergleichlich guten Produktionsmöglichkeiten“. Von den großen deutschen Sälen sei Dortmund zwar der kleinste. „Aber mit unseren besonderen Möglichkeiten sind wir, glaube ich, die Nummer eins: Wir können Opern produzieren, Orchester einladen, den Saal für eine Woche schließen, um große Dinge zu proben. Das machen wir geradezu exzessiv – und es ist sogar noch Luft nach oben.“ Kein Wunder, dass Stampa bis 2018 verlängert hat. Dortmund und Umgebung, das Land, wo noch Milch und Honig fließen? „Im Ruhrgebiet lebt man mit den Menschen zusammen, daraus resultiert etwas ganz Eigenes“, erklärt Stampa seine Begeisterung. „Man nimmt hier durchaus wahr, was woanders passiert, ist in viele Richtungen sehr gut vernetzt. Was es in Hamburg nicht gibt, sind eine gewisse Bodenständigkeit und eine Art von Weltoffenheit, die sich daraus ergibt. Ich hatte immer das Gefühl, man nimmt dort nicht wahr, was außerhalb der Stadtgrenzen stattfindet. Das ist eine sehr abgehobene Position.“ Eine freundlich wirkende Umschreibung für einen unfreundlichen Umstand.
Tempi passati also, was geht’s mich da unten noch an, was an der Elbe klappt oder klemmt? Keine Spur. Auch aus der interessiert beobachtenden Entfernung heraus kann sich Stampa schnell in Sympathisanten-Rage reden. „Wenn sich in Hamburg nicht Grundlegendes ändert, ist es für Leute wie uns uninteressant. Die programmatischen Visionen werden in ganz anderen Städten und Regionen entwickelt. Falls Hamburg mit der Dynamik von Paris, Helsinki oder London mithalten will, ist das eine gewaltige Aufgabe. Die Ideen hat man im Köcher und wenn die Politik und die Strukturen entsprechende Freiräume gewährten, könnte man ein solches Projekt sehr groß angehen. Das Publikum dafür existiert in Hamburg.“ Und dann sagt der Ex-Hamburger noch einen Satz, der sich eigentlich auf das Ruhrgebiet und dessen Potenzial beziehen sollte, aber als Anspielung auf hiesige Bremsklötze wie maßgeschneidert wirkt: „Die Geldfrage spielt für den Willen zur Kultur keine allzu große Rolle.“
In der Serie „Wo steckt eigentlich ...?“ stellen wir
in loser Folge Persönlichkeiten vor, die einst das kulturelle Leben Hamburgs mitgeprägt haben.