Ein Gegenpol zur Sauf- und Partymeile: Das neue Kulturzentrum Nochtspeicher startet mit Lesungen, Konzerten und Ausstellungen in den Premierenmonat. Am 5. September spielt Astrid North.

Hamburg Genau 18 verschiedene Junggesellenabschiede ist derzeit unser inoffizieller, nicht repräsentative Rekord bei einer Kiezbummelzählung. Das ist nur ein beobachtetes Detail einer offensichtlichen Entwicklung von Reeperbahn und Hans-Albers-Platz, Hamburger Berg und Nobistor, Spielbudenplatz und Friedrichstraße zur beliebigen Partymeile.

Während sich das Rotlicht über die Jahre zurückgezogen hat und nur noch eine Mischung aus Folklore und Abzocke geblieben ist, halten aber noch Hamburger Kulturschaffende mit einem Herz für St. Pauli die Fahne der Erlebnisse mit Mehrwert hoch. Gerade jetzt im September. Vom 25. bis zum 28. September wird das Reeperbahnfestival daran erinnern, dass der Kiez spätestens seit 1960 und dem ersten Konzert der Beatles im Indra ein einzigartiges Angebot von Livemusik und Clubkultur bietet. Und so im Wandel die Reeperbahn ist, so sind auch neue Adressen nicht nur auf Halligalli aus. Der Mojo Club ist zurück, und der Nochtspeicher erlebt im September seinen Premierenmonat.

Im 160 Jahre alten Niebuhrspeicher in der Bernhard-Nocht-Straße, der einst das Erotic Art Museum beherbergte, wird der Nochtspeicher als Kulturzentrum Bühne und Treffpunkt sein für Konzerte, Lesungen, Ausstellungen und Vernissagen, Tanzveranstaltungen, Debatten und Vorträge. Dafür stehen die Programm-Kuratoren vom neu gegründeten Kulturverein Nocht e.V. , Tina Uebel, Friederike Moldenhauer, Kristian Sievers, Detlef Hellwege, Frank Hauswedell, Daniel Zawistowski und Karsten Wagner. „Der Bedarf auf St. Pauli ist immer da nach Orten der Kultur – für viele ist der Kiez ja nur noch eine Party- und Saufmeile“, erzählte Tina Uebel im Mai beim Richtfest.

Jetzt sind die 340 Quadratmeter zum Bespielen bereit, vom Saal bis zur „Nochtwache“, der Bar im Gewölbekeller. Und auch über 20 Konzert-, Tanz-, und Literaturtermine stehen schon im Septemberprogramm, die teilweise in das Reeperbahnfestival oder in das Harbour Front Literaturfestival eingebettet sind.

Gleich an diesem Dienstag (20 Uhr, Eintritt 12 Euro) wird der Geist des Literatur-Machtclubs in die Lesereihe „Yachtclub“ übertragen. Der Österreicher Autor David Schalko hat mit seinem Roman „Knoi“ einen bösartigen wie gewitzten Schelm im Nacken und wird dabei von Attwenger am Akkordeon begleitet. Am Mittwoch, 4.September (20 Uhr, Eintritt 7 Euro) startet mit „Piloten“ eine weitere Reihe speziell für Neuveröffentlichungen und Newcomer, beginnend mit einem Besuch von Jochen Schmidt und seinem Roman „Schneckenmühle“.

Dann wird es, und das ist keine plumpe Parallele, am Donnerstag, 5.September (20 Uhr, Eintritt 22 Euro), Zeit für Erotic Art in Popform. Die Berliner Sängerin Astrid North hat im Juli 2012 mit „North“ ein brodelndes, mit mächtigen Melodien angereichertes Soul-Album veröffentlicht, das sie bereits im März im Knust vorstellte. Ihr Konzert weiht jetzt den Nochtspeicher als Konzertsaal ein. Weitere Konzerte in diesem Monat gibt es zum Beispiel am 8. September (19.30 Uhr, Eintritt 16 Euro) mit den Singer-Songwritern Paper Aeroplanes aus Wales und am 29. September (20 Uhr, Eintritt 15 Euro) mit dem Jazzgitarristen Albare und Band aus Melbourne.

Literaten und Kiezianer sollten sich auch den 10.September (19.30 Uhr, Eintritt 6 Euro) merken, wenn Kirsten Ricks ihren dritten, auf St. Pauli spielenden Roman „Tapetenwechsel“ bei einer Release-Lesung präsentiert. Nicht zu vergessen den äußerst populären Poetry-Slam „Hamburg ins Slamburg“, der nach seinem letzten Gastspiel vor einigen Tagen im Molotow vom 24. September an (20 Uhr, Eintritt 4,50 Euro) in den Nochtspeicher umzieht. Auch beim Harbour Front Literaturfestival (12. bis 21.September) dreht sich mit Auftritten von Christoph Leuchter und vier „Debütantensalon“-Abenden alles um das gedruckte Wort. Das Reeperbahnfestival wird ebenfalls in den Speicher einfallen, und das am 25.September (20 Uhr, Eintritt 10 Euro) mit Rock-’n’-Roll-Aufnahmen des Konzertfotografen Stefan Malzkorn.

Wer ganz ungezwungen den neuen Nochtspeicher erleben will, sollte an diesem Freitag (21 Uhr) zu „Es werde Nocht“, der großen Eröffnungsparty, gehen. Der Eintritt ist frei, aber ein Spendenhut wird herumgehen. Denn das größte Kapital der Macher sind Ideen.

Nochtspeicher Bernhard-Nocht-Straße 69a (S Reeperbahn), Informationen: www.nochtspeicher.de