Das Ernst Barlach Museum Wedel zeigt in einer Ausstellung Malerei der Aborigines. Die Bilder stammen zum großen Teil aus einer Hamburger Privatsammlung.
Wedel. Es ist eine merkwürdige Kraft, die diesen Bildern innewohnt. Wir stehen davor, betrachten die leuchtenden Farben und die vielfältigen Formen, die uns abstrakt erscheinen, obwohl sie aufgeladen sind mit vielerlei Bedeutungen. Manche dieser Kompositionen erinnern an Luftaufnahmen oder Satellitenbilder, und tatsächlich ist die Erde das große Thema dieser Kunst. Es geht um das Land, die Landschaft und um die Spuren, die Menschen auf ihren Pfaden hinterlassen. Himmel und Erde, Berge und Höhlen, Wolken und Quellen sind die Themen in der Malerei der australischen Ureinwohner, die zu den ältesten ungebrochenen Kunsttraditionen der Welt gehört.
Etwa 80 Werke von Aborigines-Künstlern sind jetzt in einer Ausstellung zu sehen, die das Ernst Barlach Museum Wedel unter dem Titel „Dreamings“ zeigt. Sie stammen aus einer bedeutenden Hamburger Privatsammlung und werden durch weitere Leihgaben aus Australien ergänzt.
„Unser Kunstbegriff unterschiedet sich fundamental von der Tradition der Aborigines. Dort war es zunächst völlig unbekannt, Bilder auf Leinwand zu malen und an die Wand zu hängen. Sie bemalten Baumrinde oder den Körper“, sagt Jürgen Doppelstein, der Vorsitzende der Ernst Barlach Gesellschaft, der die Ausstellung gemeinsam mit Heike Stockhaus kuratiert hat. Bis heute stellen die Aborigines ihre Bilder nicht auf Staffeleien, sie malen auf dem Boden, und wenn es große Formate sind, sitzen die Maler mitunter mittendrin. „Was wir unter ästhetischen Kriterien betrachten, hat für die Aborigines eine religiöse oder spirituelle Bedeutung, aber gerade daraus erklärt sich die enorme Wirkung, die diese Bilder auch auf uns ausüben“, meint Doppelstein.
Wer sich darauf einlässt, kann die Zeichen entschlüsseln und mehr von der Weltsicht der australischen Ureinwohner erfahren. Es ist die Dreamtime, die ihre Vorstellungen vom menschlichen Sein bestimmt, von der Allgegenwart der Familie, des Clans und der Ahnen. Denn es gibt keinen Tod, sondern nur Übergänge vom irdischen Sein in die Geisteswelt. Die Verstorbenen sind nicht tot, sondern als Geister gegenwärtig. Man muss mit ihnen rechnen, kann sich ihrer versichern und weiß durch ihre Präsenz um die Kontinuität der Welt, in der nicht der Einzelne wichtig ist, sondern die Gemeinschaft der Familie, des Clans und des Stammes.
Der Umgang der weißen Australier mit der Urbevölkerung ist das düstere Kapitel des Fünften Kontinents. Beschämend lange hat es gedauert, bevor die australische Gesellschaft sich dieser Geschichte zu stellen begann. Erst 2008 entschuldigte sich der damalige und jetzt erneut amtierende Premierministers Kevin Rudd im Parlament für das Unrecht, das die Weißen den Aborigines in der Vergangenheit angetan haben. Nicht zufällig stärkt die zunehmende Wertschätzung ihrer Kunst das Selbstwertgefühl der australischen Ureinwohner, die mit künstlerischen Mitteln auch ihre Ansprüche an das Land und seine Geschichte formulieren. Die gleichen Symbole und Zeichen, die auf Totempfählen oder auf den bemalten Körpern von Tänzern Bestandteil religiöser Riten und Zeremonien waren, sind in der heutigen Kunst gegenwärtig, sind ganz selbstverständlich Teil jener Werke, die auf internationalen Kunstausstellungen gezeigt und in Galerien von New York bis Tokio, Zürich bis Moskau ausgestellt und verkauft werden.
Diese Entwicklung reicht noch nicht lange zurück, sie begann erst Anfang der 1970er-Jahre in der zentralaustralischen Gemeinde von Papunya, wo man damals begann, die bisher nur aus der Körper- und Bodenmalerei bekannten linearen Kompositionen, punktförmige Linien, Kreise und Muster auf Leinwände zu übertragen. Und damit entwickelte sich unter den Aborigines auch ein neues künstlerisches Selbstbewusstsein, denn nun erschien es möglich, die eigenen kulturellen Traditionen und die eigene Weltsicht nicht nur in der australischen Gesellschaft, sondern weit darüber hinaus bekannt zu machen. Inzwischen gibt es Stars unter den Künstlern, die hohe Preise erzielen und auf internationalen Ausstellungen und Kunstmessen vertreten sind. Und mitunter werden erstaunliche formale Verwandtschaften sichtbar, etwa bei den farbintensiven Bildern von Kudditji Kngwarreye, die das sonnendurchglühte Land der Aborigines zeigen, westliche Betrachter aber und zugleich auf frappierende Weise an Mark Rothko erinnern. Wenn uns die Bilder dieser Ausstellung so stark berühren, obwohl wir ihre eigentliche Bedeutung nur schwer zu entschlüsseln vermögen, zeigt sich darin die enorme Vitalität einer Kunst, die sich auch in einem völlig anderen kulturellen Kontext zu behaupten vermag.
Dreamings. Malerei der australischen Aborigines. Ernst Barlach Museum Wedel. Mühlenstraße 1, Wedel. Bis 25.11., geöffnet Di–So 11.00–18.00