Gelungene Spielzeiteröffnung mit William Shakespeares „Was ihr wollt“ am Ernst Deutsch Theater. Das Konzept von Regisseurin Mona Kraushaar überzeugt ebenso wie die Leistung der Schauspieler.

Hamburg „Ich bin nicht, was ich bin“, sagt Viola. In Illyrien, wo sie am Hofe des Herzogs Orsino dient, kennen sie alle nur als Cesario, den männlichen Pagen des Fürsten. Aber das junge Mädchen, als Schiffbrüchige auf der Insel Illyrien gestrandet, ist nicht die Einzige, die in ihrer Geschlechterrolle nicht eindeutig festgelegt ist. Regisseurin Mona Kraushaar hat die Irrungen und Wirrungen, die in William Shakespeares „Was ihr wollt“ ohnehin schon angelegt sind, weiter auf die Spitze getrieben und dem Ernst Deutsch Theater mit diesem ebenso komischen wie melancholischen Spiel einen erstklassigen Start in die neue Saison beschert. Seit Jürgen Flimms „Was ihr wollt“-Inszenierung 1991 am Thalia Theater hat es in Hamburg keine bessere Interpretation dieser Shakespeare-Komödie mehr gegeben als Kraushaars aktuelle Arbeit.

In diesen vergeblichen Liebesbemühungen der verschiedenen Figuren hat Kraushaar die Rolle der von Orsino umworbenen Olivia mit Dimostenis Papadopoulos, einem Mann, besetzt – so wie das zu Shakespeares Zeiten auch üblich war, denn damals traten in Stratford-upon-Avon nur männliche Schauspieler auf. Doch Kraushaar geht es in ihrer schlüssigen Interpretation nicht darum, die historische Form wieder zu beleben, sie möchte die Geschlechterrollen aufbrechen. Jeder Mann hat auch eine weibliche Seite, jede Frau auch eine männliche, ist ihr Ansatz. Violas Zwillingsbruder Sebastian (Benno Lehmann) ist quasi Spiegelung ihrer männlichen Seite; die Rolle des rüpelhaften Sir Toby Rülps wird mit Susanne Jansen von einer Frau gespielt; und auch der Narr Feste ist mit Katja Uffelmann weiblich besetzt. Es geht drunter und drüber in Illyrien, und das nicht nur in Fragen der Geschlechteridentität. „Ist das eine offene Anstalt hier?“, fragt der Narr und macht die Doppelbödigkeit des Spiels deutlich. Befinden wir uns in der Realität, im Traum oder im Wahnsinn?

Katrin Kerstens Bühnenbild hilft in der Beantwortung dieser Frage erst einmal nicht weiter. Von der Decke hängen Fisch-Mobiles herunter, die Bühne ist ein Gestrüpp aus Schilf und Unterwasserpflanzen. Bunte Farben kommen in dieser graublauen Unterwasserwelt nicht vor. Wie bei Shakespeare schon angelegt, ist Illyrien Chiffre für einen surrealen Raum, in dem die Figuren sich zwischen Wachsein und Träumen bewegen und oft selbst nicht wissen, in welcher Dimension sie sich gerade befinden. Selbstironisch treten sie zuweilen aus ihren Rollen heraus und machen deutlich, dass der ganze Schabernack Theater ist – inklusive eines Wortspiels über Ernst Deutsch. Wenn dann auch noch der Hofnarr Feste mit seinen Wortverdrehungen loslegt, verknoten sich die Synapsen der Zuschauer angesichts der gedrechselten Weisheiten, die er von sich gibt. Ordnung in dieses Chaos kommt erst, als die voneinander getrennten Zwillingsgeschwister Viola (Louisa Stroux) und Sebastian sich wiedererkennen und sie ihre Verkleidung ablegt.

Die Güte einer Inszenierung von „Was ihr wollt“ hängt in großem Maße davon ob, ob die vielen komischen Elemente des Stücks mit dem richtigen Tempo in Szene gesetzt werden. Auch da hat Kraushaar zusammen mit ihren Schauspielern erstklassige Arbeit geleistet. Sir Toby und sein Freund Sir Andrew Leichenwang (Holger Dexne) veranstalten ständig Saufgelage, doch Susanne Jansen und Dexne verhindern den Absturz in Klamauk mit scharfem Wortwitz und präzisem Timing.

Eine schwierige Rolle ist die des Haushofmeisters Malvolio. Stefan Haschke spielt ihn als freud- und freundlosen Puritaner und Haustyrannen. Aber als Malvolio einer Intrige zum Opfer fällt und in gelben Strumpfhosen als Dauergrinser auf Freiersfüßen wandelt, erweckt er mehr Mitleid als Schadenfreude. Franziska Rieck als Kammermädchen Maria entpuppt sich in diesem Reigen als eine mit allen Wassern gewaschene Intrigantin und wirkt mit ihrer strengen Art wie ein weibliches Pendant zu ihm.

Bei allen Slapstickeinlagen und Sprücheklopfereien ist es Mona Kraushaar gelungen, dem ganzen Stück eine melancholische Atmosphäre zu geben. Die basiert zu einem großen Teil auf dem Einsatz der Musik, für die Christoph Iacono verantwortlich ist. So ist die Spielzeiteröffnung an der Mundsburg zu einem rundum gelungenen Theaterabend geworden. Das Publikum sah das ebenso und spendete langen und begeisterten Beifall.

„Was ihr wollt“, bis 28.9., Ernst Deutsch Theater