Die Romanverfilmung von „Feuchtgebiete“ ist eklig, regt aber zum Nachdenken an

Während der Online-Lektüre über die „Feuchtgebiete“-Premiere bei den Filmfestspielen in Locarno erscheint im Artikel eine von der Suchmaschine generierte Werbeanzeige für einen so genannten Ladyshaver: „Die perfekte Rasur. Venus – erwecke die Göttin in Dir!“ Das ist zum einen wahrlich ironisch. Handelt die Verfilmung von Charlotte Roches Bestseller doch von einer jungen Frau, die sich verletzt, als sie versucht, auch noch die intimste Behaarung an ihrem Körper zu entfernen. Zum anderen zeigt die Reklame, warum der Film trotz reichlich Skandalgetöse seine Berechtigung hat. Die 109 Minuten sind eine einzige wütende Antwort auf Hygienefanatismus und Körperoptimierung, wie sie in den USA und zunehmend bei uns propagiert werden. Zugegeben: Der Film ist ekelig. Alle, aber auch wirklich alle erdenklichen Körperflüssigkeiten werden unter der Regie von David Wnendt hervorgebracht, getauscht, zermanscht und vor allem: auf der großen Leinwand ziemlich groß gezeigt. Und sicherlich lässt sich darüber streiten, ob die Handlung all dieser expliziten Szenen bedarf. Ähnlich wie bei Horrorfilmen gilt also: Menschen mit sensiblem Magen und/oder Gemüt sollten diese Kino-Story meiden. Es sei denn, sie wollen – die Ekelschranke einmal überwunden – ins Nachdenken geraten.

Die Schweizer Hauptdarstellerin Carla Juri trägt den gesamten Film

Denn neben Ausführungen zu Hämorrhoiden und weiblicher Masturbation (Gurke – „okay“, Ingwer – „Scheiße“, Möhre – „Bingo!“) zeigt „Feuchtgebiete“ die letztlich sehr traurige Geschichte von Helen, die von den Frauen in ihrer Familie behauptet, alle seien „nervenschwach, gestört, unglücklich“. Die Heldin verlängert ihren Krankenhausaufenthalt (auf höchst unappetitliche Weise), weil sie die Illusion hat, ihre geschiedenen Eltern am Hospitalbett wieder vereinen zu können.

Letztlich erzählt der Film von einem traumatisierten Menschen, vom Erwachsenwerden, vom Verabschieden kindlicher Träume – und von einer Heilung. Und dass das trotz Drama und Schauder ziemlich beherzt, erfrischend und witzig geraten ist, liegt an der Hauptdarstellerin. Die junge Schweizer Schauspielerin Carla Juri trägt den gesamten Film und gibt die Helen mit unverblümter, burschikoser und zugleich charmanter Art. Sätze wie „Ich habe eine sehr gesunde Muschi-Flora“ oder „Jeder Mensch braucht Hobbys. Bei mir ist es neben Ficken Avocadobäume züchten“ sagt sie mit sehr großer Selbstverständlichkeit.

Regisseur Wnendt hat mit dem Neonazi-Film „Kriegerin“ (2011) bereits bewiesen, dass er eine radikale Frauenfigur komplex zeichnen kann. In „Feuchtgebiete“ setzt er dramaturgisch noch mehr auf Rückblenden und reißt so nicht nur die äußeren Wunden seiner Heldin nach und nach auf. Das ist mitunter schmerzhaft anzuschauen. Aber niemand hat behauptet, dass Kunst nicht auch weh tut. In Locarno feierte das Publikum den Film begeistert.

+++-- „Feuchtgebiete“ D 2013, 109 Min., ab 16 J., R: David Wnendt, D: Carla Juri, Christoph Letkowski, Axel Milberg, Meret Becker, täglich im Abaton, Passage, Studio, Zeise und allen Cinemaxx- und UCI-Kinos; www.feuchtgebiete-film.de