Für die zigtausende Menschen erwies sich Hamburgs Zerstörung 1943 als Katastrophe. Stadtplaner sahen darin jedoch die Chance für einen modernen Wiederaufbau, belegt eine Ausstellung in der Freien Akademie.

Freie Akademie Die beiden großen Katastrophen in der Hamburger Stadtgeschichte ereigneten sich im Abstand von etwa einem Jahrhundert: Im Mai 1842 vernichtete der Große Brand fast die gesamte Altstadt und im Juli 1943 gingen in der „Operation Gomorra“ weite Teile der Stadt im Feuersturm unter. Für die Menschen erwiesen sich beide Ereignisse als unermessliche Katastrophen, Architekten und Stadtplaner sahen darin jedoch auch Chancen.

Hamburgs Oberbaudirektor Fritz Schumacher bezeichnete die Bandkatastrophe von 1842 als einen „seltsam glücklichen Augenblick“. Und auch nach der Zerstörung Hamburgs im Zweiten Weltkrieg beklagten Denkmalpfleger zwar den unvorstellbaren Verlust wertvoller historischer Bausubstanz, Stadtplaner jedoch waren fasziniert von den Entwicklungschancen und Gestaltungsmöglichkeiten, die ihnen die Zerstörung eröffnete.

Dieses Thema steht im Mittelpunkt einer enorm faktenreichen Ausstellung, die Jörn Düwel, Niels Gutschow und Volkwin Marg konzipiert haben und die jetzt in der freien Akademie der Künste gezeigt wird. „Die erwartete Katastrophe. Luftkrieg und Städtebau in Hamburg und Europa“ heißt der Titel der Schau, in der es zwar einerseits um die Entwicklungen in Hamburg geht, zugleich aber auch Konzepte und Planungen in anderen europäischen Metropolen vorgestellt werden, die im Zweiten Weltkrieg zerstört und anschließend wiederaufgebaut worden sind.

Ausgangspunkt ist die Kritik an der verdichteten modernen Großstadt, die schon Anfang des 20. Jahrhunderts als „ungesund“ kritisiert wurde. In den USA sprach man von „Dinosaurierstädten“, während Planer in Deutschland in den 1920er-Jahren davon träumten, „Stadtlandschaften“ von überschaubarer Größe zu schaffen. Gleich im Eingangsbereich der Ausstellung erfährt man jedoch, dass damals noch ganz andere Erwägungen eine Rolle spielten. Nicht nur Militärexperten, sondern auch prominente Architekten gingen davon aus, dass herkömmliche Großstädte in einem künftigen Krieg Luftangriffen schutzlos ausgeliefert sein würden. Schon in den 1920er-Jahren hatten sie die künftige Kriegsführung, die Angriffe auf urbane Wohngebiete mit einschloss, in ihre planerischen Überlegungen einbezogen. So propagierte zum Beispiel Le Corbusier einen radikalen Umbau der Städte, für den er zum Beispiel das historische Zentrum von Paris bedenkenlos preisgegeben hätte. Nur mit dem Konzept seiner „strahlenden Stadt“, die aus einzelnen, voneinander getrennten Wohnhochhäusern innerhalb einer Parklandschaft bestehen sollte, könne den potenziellen Zerstörungen eines künftigen Luftkriegs städtebaulich begegnet werden. Denn dass ein „Zukunftskrieg“ mit Luftangriffen das „Todesurteil der Stadt in ihrer heutigen Form“ bedeuten würde, davon waren Experten schon mehr als ein Jahrzehnt vor Beginn des Zweiten Weltkriegs überzeugt.

Gezielt zerstörte die deutsche Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg Städte wie Warschau, Rotterdam und London, und die Briten perfektionierten unter Luftmarschall Arthur Harris mit ihrem Konzept des „Moral Bombing“ die Zerstörung deutscher Großstädte mit einem genau kalkulierten Mischungsverhältnis der verschiedenen Bombenarten. Es trat also genau das ein, was Experten prognostiziert hatten.

Doch was für die Menschen zum Verhängnis wurde, sahen Städteplaner sowohl in Deutschland, als auch in Frankreich und in der Sowjetunion als enorme Chance. „Dieses Werk der Vernichtung wird Segen wirken“, formulierte zum Beispiel der NS-Städteplaner Konstanty Gutschow, der als Leiter des „Arbeitsstabes für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte“ 1944 einen neuen Bebauungsplan für Hamburg entwickelte. Darin griff er Ideen aus der „Weimarer Republik“ auf und versuchte die Bereiche Wohnen, Arbeiten und Verkehr möglichst zu trennen, wie das für das bald leitbildhaft werdende Modell der aufgelockerten und durchgrünten Stadt später typisch war.

Am Beispiel der Planungen für Stalingrad zeigt die Ausstellung aber auch, wie die nahezu vollständige Zerstörung einer Stadt noch während des Krieges den Ausgangspunkt für Wiederaufbauplanungen bot, in denen sich vor allem eine Herrschaftsideologie manifestierte. Stalingrad sollte eine städtebaulich-architektonische Manifestation des Sieges über Hitler-Deutschland werden, die Bedingungen von Funktionalität und Urbanität spielten dabei keinerlei Rolle.

Die erwartete Katastrophe. Luftkrieg und Städtebau in Hamburg und Europa. Freie Akademie der Künste, Klosterwall 23. Bis 29.9., Di–So 11.00–18.00