Die ARD-Krimireihe „Tatort“ gehört seit Jahrzehnten zu den beliebtesten Fernsehsendungen der Deutschen. An diesem Sonntag geht die Sommerpause zu Ende. Zehn Gründe, wieder den „Tatort“ einzuschalten.
1. Routine: Es zu machen, weil es alle machen, war immer schon ein guter Grund. Neun Millionen Zuschauer gucken sonntags „Tatort“. Auf Flachbildschirm oder dem Röhrengerät in der Schrankwand. Der „Tatort“ kennt keine Generationsgrenzen. Besteht gegen Unterhaltungsoffensiven der Privaten und aus den USA herübergewehten Trends. Die Kunst der Wiederholung ist für den Erfolg ein entscheidendes Moment. Uneingeschränkt genießen kann nur, wer regelmäßig einschaltet. Der Mord im Kaninchenzüchterverein gehört dazu wie die tüdelige Tante zum Familientreffen. Wer München will, muss Bodensee ertragen.
2. Smalltalk: Schwafelig erzählter Mord im Kaninchenzüchterverein? Mal gucken, was der Kollege sagt. „Haste gestern ‚Tatort‘ gesehen?“, ist ein klassischer Montagmorgen-Satz. Der „Tatort“-Geschmack erzählt mehr über Humorabgründe des Guckers als so manche Anekdote vom Urlaubsdomizil. Apropos Urlaub: Wer den Weihnachtsfeierhumor aus Saarbrücken schätzt oder die Nachdenklichkeitsdialoge aus Konstanz („Mein Kopf ist ein leerer Tanzsaal“), mit dem plant man vielleicht besser keine gemeinsame Reise.
3. Orientierung: „Ein Krimi hat den Vorteil, dass man als Zuschauer einer Sache auf den Grund gehen kann. Am Ende ist alles geklärt, alle Fragen sind beantwortet“, sagte der Ethnologe Thomas Hauschild der „SZ“. Der „Tatort“-Zuschauer kann all sein Zweidrittelwissen mobilisieren, um (mit freundlicher Unterstützung der Fernsehkommissare) nach 90 Minuten die Ordnung der Welt wiederherzustellen. Für Menschen auf normaler Betriebstemperatur ist es zutiefst beruhigend, dass in Zeiten, in denen man zwischen 327 Kanälen wählen kann, der Dreiklang Leiche – Ermittlung – Blaulicht ein verlässliches Moment bietet. „Tatort“ zum Wochenausklang beruhigt das Gemüt. Kompliziert wird das Leben erst wieder am Montag.
4. Kommunikation: Wer es nicht aushält, erst am nächsten Morgen Logiklöcher zu sezieren oder die toll abgründige Mörderin zu lobpreisen (wusste man natürlich ab Minute 13, eh klar), tauscht Wohnzimmersofa gegen Barhocker. „Tatort“-Rudelgucken ist in jeder Stadt mit sechsstelliger Einwohnerzahl geländefähig, zum Beispiel im Grünen Jäger. Zeitgemäßer ist Twitter. Es gibt „Tatort“-Abende, an denen die Tweets besser sind als der eigentliche Film. Der Tenor reicht von fies (@fräulein_tessa: „Mein Wunsch für 2013: Fabian Hinrichs bekommt einen eigenen #Tatort und Til Schweiger wird seine erste Leiche.“) bis intim (@JanJosefLiefers: „Nicht, dass ich es erwähnenswert fände, aber...der Bauch war nur gespielt.“).
5. Macher: Wolfgang Petersen. Oliver Hirschbiegel. Dominik Graf. Alexander Adolph. Daniel Nocke. Sascha Arango. Christan Alvart. Noch Fragen?
6. Das Gute kommt aus Norden: Besser hätte es für Til Schweiger nicht losgehen können. Zwölf Millionen sahen ihn verbeult über das Elbphilharmonie-Gerüst hechten. Der sehenswertere Kommissar war unterdessen an ein geblümtes Krankenhausnachthemd gefesselt: Fahri Yardim als lockerschnauziger Yalcin Gümer. Überhaupt spielt der NDR ganz vorn mit im Regionalranking: Der Kieler Routinier Borowski gehört dazu, Wotan Wilke Möhring als cooler Hund Falke und die fiktionale Halbschwester, der „Polizeiruf 110“ aus Rostock. Denn merke: Ein Film, in dem Charly Hübner spielt, ist niemals ganz falsch. Und die Rostock-Krimis sind noch viel besser.
7. Schauspieler: Das deutsche Fernsehen hat schon viele Karrieren im Endstadium gesehen. Beim „Tatort“ jedoch tummeln sich die großen Namen. Wer zu den Besserverdienern der Branche zählt und noch nie mit einem ARD-Redakteur über eine Kommissar-Stelle verhandelt hat, muss sich um seinen Ruf ernsthafte Sorgen machen. Der „Tatort“-Großschauspieler darf das Rollenprofil des Ermittlers üblicherweise frei mitgestalten. Plaudern mit dem Gehirntumor? Wie innovativ. Drei Folgen lang mit dem Baseballschläger semidepressiv auf dem Fensterbrett hocken? Interessanter Ansatz. Noch spannender als die Kommissare sind nur die Gastauftritte. Unvergessen: Fabian Hinrichs als Kurzzeit-Assistent der Münchner. Am Ende des Films war er tot, man redet heute noch von ihm.
8. Auswahl: 21 Teams sind im „Tatort“-Rennen von den einzelnen ARD-Anstalten gemeldet, viele gehen nun erstmals an den Start. Erfurt trumpft mit junger Belegschaft auf, Weimar schickt einen „Tatort“ aus der Weihnachtsabteilung. Das Erregen von Aufmerksamkeit ist auch beim „Tatort“ zur Überlebensstrategie geworden. Wenn nicht über Vorspänne geredet wird, sondern über Qualität, profitiert der Zuschauer.
9. Heimatkunde: Wenn er gelungen ist, erzählt der „Tatort“ mehr über das Land, in dem wir leben als so manche „Tagesschau“-Ausgabe. Drogenhandel, Kriegstraumata, illegaler Technologietransfer, verschwörerische Zellen – gesellschaftliche Relevanz hat sich der „Tatort“ mit Leuchtmarker ins Sendungsprofil geschrieben. Unter der Krimioberfläche sind die Filme immer auch ein Bewusstseinstrip ins Innere der Bundesrepublik. 90 Minuten Heimatkunde. Es gibt blödere Gründe, Gebühren zu zahlen.
10. Keine Alternative: In Möwengeschrei gebettete Küsse nach Pilcher im Zweiten scheiden von vornherein aus. Restaurants haben – gefühlt – alle zu. Glücklich, wer jetzt „Tatort“-Gucker ist.