Der legendäre Komiker Otto Waalkes versaute Hamburg, erfand Susi Sorglos und züchtet Ottifanten. Eine Geburtstags-Gratulation von Abendblatt-Redakteur Joachim Mischke.
Für den Humor im deutschen Fernsehen war 1973, fünf Sommer nach den Unruhen von 1968, ein wirklich gutes Jahr. Er erheiterte eine Republik, in der es damals eher wenig zu lachen gab, wenn man mit dem vorherrschenden Dreiklang aus Einigkeit und Recht und Ordnung hinterm Jägerzaun nichts am Hut haben wollte. Ölkrise, Watergate, Putsch in Chile, es gab weltweit Stress. 1973 also rastete Alfred Tetzlaff, ein Spießer-Attila im Feinripp-Unterhemd, in „Ein Herz und eine Seele“ zum ersten Mal aus und wurde trotzdem und deswegen als Ruhrpott-Ekelpaket zum Publikumsliebling. Ebenfalls 1973 machte sich die auf Textilknappheit spezialisierte Ingrid Steeger in der zotenlastigen „Klimbim“-Show ihren ersten Schlitz ins Kleid und fand es wunderbar. Und am 27. August 1973, vor fast genau 40 Jahren, geriet ein fusselbehaarter Stoffel aus Ostfriesland vor die TV-Kameras, der sich mit Wanderklampfe als Liedermacher verkleidet hatte, um dem Publikum als erster Steh-auf-Komödiant seiner Art ein Protestlied zu verabreichen. Stand-up-Comedy war damals noch ein ziemlich unbekanntes Kulturgut der linken US-Off-Kultur, sie war gern gespickt mit anarchischen Seitenhieben gegen alles und jeden, der es ihrer Meinung nach verdient hatte. Erst recht die Reicheren und damit Mächtigeren. Aber diese „postideologische Ein-Mann-Spaßguerilla“ („FAZ“) aus Emden sang nicht gegen die Kapitalistenschweine an, gegen das Unterdrücker- System oder wenigstens die Wehrpflicht. Sondern gegen Unterarmnässe. Die ist schließlich auch nicht schön, gesamtgesellschaftlich betrachtet.
Die Bonusrunde kann offiziell beginnen. Rentner könnte Otto sich nun nennen
Der große Blonde mit dem Riesenknall war Otto Waalkes, Sohn eines Malermeisters und einer Hausfrau. Warmgeblödelt für den Durchbruch hatte er sich mit etlichen Kleinstkunst-Abenden auf klitzekleinen bis kleinen Hamburger Bühnen, die erste große Show fand 1972 im Audimax statt. Der Rest, die gut bezahlte Fron im „Scherzbergwerk“, wurde Geschichte, eine mittlerweile vier Jahrzehnte lange Erfolgsgeschichte sogar. Und das Ende ist für sie nicht in Sicht. Waalkes’ Kinobesucher- Rekorde, die vielen Shows und die vielen LPs – „Otto versaut Hamburg“, Witze auf Vinyl!, lang ist’s her – und ihre Nebenwirkungen auf das deutsche Gemüt haben Popkultur-Geschichte geschrieben, was nicht nur an der erstaunlichen Dauer ihrer kommerziellen Einträglichkeit liegt. Doch sie sind auch sehr verjährt. Der erste Otto-Film, 1985 losgelassen, hatte 15 Millionen Besucher, „Otto – der Katastrophenfilm“ machte 15 Jahre später diese Drohung war und kam nur auf eine Million. Da hatte Waalkes aber schon seine Ottifanten im Trockenen und seinen Zweitwohnsitz in Florida. Die Karrierelinie lief seitdem weitgehend seitwärts. Was auch längst nicht jeder schafft.
Jetzt wird Waalkes 65, am Montag, dem 22. Juli, ist es so weit. Die Bonusrunde kann offiziell beginnen. Rentner könnte er sich nun nennen und zur Abwechslung tatsächlich so alt sein oder wenigstens wirken, wie er nie sein wollte. Der ehemalige Kunstpädagogik-Student könnte seine Blankeneser Villa verlassen, jene harmlos hübsche Elbvorort- Version von Peter Pans Neverland, sich die bewährte Senioren-Kombi aus Windjacke und bequemer Hose in transusigen Tarnfarben verordnen und einen Tag lang auf eine dieser schlimmen Fußgängerzonen-Banken parken. Im Weserbergland oder so. Zuhören, zusehen, unbemerkt still sitzen und grausam komisches Material für die nächste Bühnenshow einsammeln. Aber, und das ist seit Jahrzehnten Ottos Schicksal: Nichts davon würde gelingen. Unbemerktes Stillsitzen garantiert am wenigsten. Das Rampenschweinchen in ihm wäre ja doch schnell wieder stärker. Die nächste Tournee heißt „Geboren um zu blödeln“, frei nach dem Pathos- Psalm des unfreiwillig komischen Herrn Unheilig. Im Herbst geht der fleischgewordene Ostfriesenwitz auf Tournee, landauf, landab, wieder mal. Otto, der Godfather of Blödel, kann nicht aus seiner Haut. Will er aber auch gar nicht.
Waalkes ist eine Schenkelklopf-Instanz, ein Sketch-Klassiker aus Kalau
Otto ist in einer Ära zum gesamtdeutschen Kulturgut geworden, in der es noch Ost und West gab, ein „wir“ und ein „die“. Wer heutzutage noch den Nachnamen „Waalkes“ verwendet oder bei „Zwei Straßen treffen aufeinander“ nicht selig grinst und an eine versemmelte Führerscheinprüfung denkt, kann nur Zuspätgeborener sein. Wie draußen nur Kännchen, wie Mitklatschen auf Eins und Drei, wenn die Schlagerseligkeit einen überkommt, wie der DGB und die Fünfprozenthürde ist unser Otto. Harry Hirsch, Susi Sorglos und der Ottifant, Waalkes’ Version der putzigen Steinlaus von Loriot, sind wie all diese sonderbaren Dinge unserer Mentalität Teil der bundesdeutschen Humor-DNA. Nützt nichts, geht nicht wieder raus, da kann der aussterbende Bildungsbürger noch so sehr mit den Augen rollen, sobald andere sich wie Bolle unter diesem Niveau amüsieren.
Über Waalkes’ TV-Premiere vor vier Jahrzehnten schrieb die aus kritischer Distanz beobachtende „FAZ“ übrigens: „Es kann sein, dass aus Otto wirklich ein Komiker wird. Es kann aber auch sein, dass er den Versuchungen der gefräßigen Branche verfällt und das bisschen Repertoire von heute verausgabt.“ Schön prophezeit war das, denn passiert ist beides gleichzeitig.
Als der „Spiegel“ ihm 1985 die Titelgeschichte „Lachmann der Nation“ widmete, durfte der „Emder Lachsack“ Otto sich selbst fürs Cover zeichnen. Der Regie-Titan Peter Zadek nannte ihn eine grandiose Fehleinschätzung, „den deutschen Woody Allen“. So weit muss man es erst mal bringen als Malermeistersohn aus Emden. Waalkes ist eine Schenkelklopf-Instanz, ein Sketch- Klassiker aus Kalau, er ist mit seinen höchstens spätpubertären Späßchen aber auch längst seine eigene Déjà-vu- Endlosschleife. Gefangen im goldenen Karriere-Käfig zwischen „Hollederidi!“- Jodler, Oberarzt Dr. Dauerbruch und Oberförster Pudlich, zwischen schwulen Schlümpfen, der Englisch- Lektion „This is a bank robbery“ und seiner „Theo, wir fahr’n nach Lodz“- Predigt, die immer noch origineller ist, als Vicky Leandros’ verschwiemeltes Partykeller-Original es jemals war. „Als ich neulich in meiner Musik-Box blätterte …“ Ja, nee, schon klar. Das bisschen Repertoire ist größer geworden, anders aber nicht. Never change a winning Pointe.
Kritikresistent ist Otto sowieso längst. Das Humor-Niveau der mehrfach nachgewachsenen „7 Zwerge“-Filme wurde immer stärker eingeebnet, das Selbstrecycling klemmt seit Jahren unübersehbar. Aber was macht das schon, wenn Waalkes nur wie eine Wüstenspringmaus auf Speed ins Rampenlicht hoppeln muss, und immer noch brüllt der ganze Saal los vor Vorfreude, weil jeder genau weiß, was jetzt kommt fürs Eintrittsgeld. Der kleine Friesenjung nämlich von hinterm Deich, der so blöd tut, wie er blond ist. Zumindest sichtbar jedenfalls, obwohl die Berufsjugendlichkeit der Baseball-Cap einen schon sehr breiten Mittelscheitel tarnt. Hallo Echo?! Hallo Otto! Und draußen vor der Hallentür warten schon die Merchandising-Höker mit den DVDs und den T-Shirts.
Hinterm Deich, in Emden, am verlängerten Rücken der Welt, ist Otto Waalkes, Jahrgang 1948, groß geworden, in einer Region ab vom Schuss, deren Eingeborene alle anderen Deutschen seit den späten 1960ern gern als bräsige Zeitlupendenker auf den Arm nehmen. Wer je in Emden war, ahnt, warum Otto damals so dringend weg wollte, in die nächstbeste große Welt, in diesem Fall nach Hamburg.
Der Zappelotto da oben im Rampenlicht ist nach wie vor ein großer Kindskopf
Dort zog das kleine Ottili, das nebenbei ordnungsgemäß auf Kunststudent und damit in brotloser Kunst machte, in eine WG am Rondeel, Villa Kunterbunt genannt, das ehemalige Privathaus des kanadischen Botschafters. Aus einigen Herren der damaligen Belegschaft ist seitdem richtig was geworden: Udo Lindenberg ist Hamburger Nationalheiligtum im Heidi-Kabel- Format. Marius Müller-Westernhagen hat sich zum deutschen Springsteen veredelt. Gottfried Boettger, der lustige Mann am Klavier, spielt und spielt und spielt. Die Hamburger Szene, zu der sie alle irgendwie zählten, war damals eine rabaukige Truppe aus Musikern und Quatschköpfen, eine Ansammlung sehr sonniger Gemüter und schillernder Charaktere. Ideale Startvoraussetzungen für die Karriere als Blödmann, der sich in kleinen Kaschemmen Schritt für Schritt nach oben witzelte. Den polierten Nonsens und die Pointenmengen bekam Waalkes nicht aber durch eine Inspirationsmuse überreicht, sondern in den entscheidenden Karriere-Jahren von den Satire-Großmeistern der Neuen Frankfurter Schule bühnenreif ins Haus geliefert. Robert Gernhardt, Berndt Eilert und Peter Knorr texteten, Otto lieferte. Die Leute schmissen sich weg.
Wenn es stimmt, was Waalkes’ Idol Woody Allen einmal gesagt hat, dass Komödie nämlich Tragödie plus Zeit sei, dann wurde Otto auf seine Art ein sehr überzeugender Komödiant, weil er auf die vielen kleinen Tragödien des Lebens mit brüllend komischen Situationswahnsinn reagieren konnte. Der Zappelotto da oben im Rampenlicht ist nach wie vor ein großer Kindskopf. Ein amtliches Spätwerk, eine reife Altersleistung wird es von ihm deswegen auch nicht geben können. Für Otto – übrigens auch ein ziemlich exzellenter Musiker – hört die Vergangenheit nie auf, bei ihm ist immer Kindergeburtstag im Rampenlicht, bis der Letzte lacht. Man könnte das bemitleiden. Aber vielleicht ist dieser Zustand immer noch besser, als ganz normal erwachsen sein zu müssen. Dann wäre er, der Herr Waalkes aus Emden, wohnhaft in Hamburg-Blankenese, ja wie so viele andere, und aus dem Spaß würde Ernst. Und Waalkes würde jetzt garantiert das letzte Wort haben wollen: „Oder Karl-Heinz.“