Am 9. Februar 1979 lief die erste Sendung der legendären „NDR Talkshow“. Seither hat die Show viele unvergessliche Momente hervorgebracht. Das Abendblatt hat sieben Moderatorinnen und Moderatoren nach ihren unvergesslichen Momenten gefragt.

Wenn man sich das Fernsehen als Supermarkt vorstellt, ist die Talkshow die Fleischtheke. Reichlich Auswahl, Tendenz zu deftiger Kost, inhaltlich eher Kalorienbombe als Appetithäppchen. Talkshows sind laut, ungefiltert, der bessere Stammtisch. Der Zuschauer liebt sie. Sie gehören zum öffentlich-rechtlichen Programm wie der „Tagesschau“-Gong und das „Tatort“-Fadenkreuz.

Die „NDR Talkshow“, die heute zum 700. Mal auf Sendung geht, hat stets eine Sonderstellung unter der Talkshows eingenommen, die heutzutage in Mannschaftsstärke ins Programm drängen. Oder um einen strapazierten Begriff zu bemühen: Sie ist Kult. Am 9. Februar 1979 wird die erste Ausgabe aus der legendären Hamburger Szene-Musikkneipe „Onkel Pö“ in Eppendorf gesendet. Die Moderatoren sind Dagobert Lindlau, Wolf Schneider und Hermann Schreiber. Gäste, wie man sie in jeder Kneipe trifft, sollen gemeinsam mit Prominenten in die Sendung kommen. Erster prominenter Gast ist Verteidigungsminister Hans Apel. In der zweiten Ausgabe gibt's dann gleich Zoff mit dem „Onkel Pö“-Wirt: Der möchte Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker, als Talkgast eingeladen, nicht in seinem linken Refugium sehen. Die Folge: Die Show zieht um, ins NDR-Studio Lokstedt, wo sie bis heute residiert.

Seither ist der späte Freitagabend ein Ort, an dem immer wieder kleine TV-Momente geschrieben werden. Früher, als man sich im Fernsehen noch in dichte Rauchschwaden hüllte und der Kontrollverlust beinahe zum guten Ton gehörte, „passierte“ in der Live-Talkshow mehr Erinnerungswürdiges als heute, wo sich viele Gäste nur von ihrer Schokoladenseite zeigen, den Auftritt mit der PR-Agentur abgestimmt haben. Einer der großen Momente, Klickliebling bei Youtube in der Rubrik „die größten TV-Ausraster“, war der Auftritt der Autorin Karin Struck, die sich 1993 mit der damaligen Familienministerin Angela Merkel über das Thema Abtreibung streitet. Das aber so heftig, dass sie sich in der Sendung halb auszieht, die Tonverkabelung vom Leib reißt und in die Menge der Gäste schleudert, bevor sie wütend aus dem Studio rennt. Harmloser sind da Regisseur Michael „Bully“ Herbig, der beim Blick ins Dekolleté der langbeinigen Brigitte Nielsen Schnappatmung bekommt, sowie Comedien Hape Kerkeling, der als selbst ernannter Dänisch-Lehrer zu Hochform aufläuft. Unangefochtener Spitzenreiter auf der Gästeliste mit insgesamt 16 Auftritten ist der Kabarettist Mathias Richling.

In der heutigen Jubiläumsausgabe (22.00 Uhr, NDR) begrüßen Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt unter anderem Schlagersänger Matthias Reim und Komiker Helge Schneider.

Alida Gundlach: Mein aufregendster Gast? Das ist nicht schwer: Klaus Kinski. Ich hatte zur Vorbereitung auf das Interview mit ihm etliche Videos gesehen, in denen er Journalistinnen eine nach der anderen in den Boden stampfte. Désirée Nosbusch zum Beispiel, die damals für Radio Luxemburg arbeitete, bekam im Gespräch mit Kinski kein Bein auf den Boden. Mit Angst und Schrecken bin ich in die Sendung gegangen - damals haben wir ja stets live gesendet. Zusätzlich hatte ich mir Pappschilder gebastelt, auf denen seine größsten Macho-Sprüche standen: „Frauen sind nur gut für Sex und Küche“ zum Beispiel. Schon vor der Sendung hat Kinski mich übel angebaggert und befummelt, vor dem Kamera hat er mich ständig unterbrochen: „Lass uns doch lieber über deinen Po sprechen.“ Ich habe mich versucht, mit Frechheit zu wehren, habe die Pappen hochgehalten und gesagt: „Sehr einfallsreich sind Sie ja nicht, Herr Kinski.“ Eigentlich wollte ich nur, dass das Gespräch, das ja überhaupt keines war, so schnell wie möglich zu Ende geht, aber mein damaliger Chefredakteur rief: „Weitermachen, die Quote ist super!“ Nach der Sendung stand ich auf der Toilette vor dem Spiegel und habe meine Frisur nach grauen Haaren abgesucht. Aber überraschenderweise mich hat nur die alte Alida angeguckt.

Michael Jürgs: 1992 waren neben anderen Gästen der Chef des Hamburger Erotik-Museums, Claus Becker, und Falco in der Sendung. Falco hat die meiste Zeit meine Co-Moderatorin Alida Gundlach gepiesackt, sagte Sätze wie: „Sie schauen doch schon aus wie ein Teufelchen“. Schließlich hat er sie als „dumme Schwätzerin“ beleidigt. Ich bin dann mit der Frage: „Kann es sein, dass Sie bei Ihrem Comeback-Versuch auf den Kopf gefallen sind?“ dazwischen gegangen. Daraufhin sind Falco und Claus Becker aufgestanden und haben das Studio verlassen. Das war ein ziemlicher Skandal damals. Eine andere Geschichte habe ich erlebt, als ich aufhörte. Da habe ich am Ende der Sendung, als die Musik bereits lief, auf einen Zettel geschrieben, „das war’s“ und hab ihn nach hinten zum Sendeleiter durchgereicht. Wir hatte nie zuvor darüber gesprochen. Und das war dann wirklich meine letzte Moderation bei der NDR-Talkshow.

Hubertus Meyer-Burckhardt: Am meisten beeindruckt von allen Gästen hat mich die Schauspielerin und Sängerin Lotti Huber. Obwohl schon eine alte Dame, war sie wunderbar extravagant und anarchisch - trotz ihres schweren Schicksals in der NS-Zeit. Eine so unkonventionelle, freche und witzige Frau habe ich selten erlebt. Sie hat auf Teufel komm raus mit mir geflirtet. Relativ bald nach der Sendung ist Lotti Huber verstorben. Ich habe später erfahren, dass sie bereits um ihre Krankheit wusste, als sie in unserer Sendung saß. Mit diesem Wissen kann ich nur noch mehr bewundern, wie gutgelaunt, mit wie viel Rock ‚n’ Roll im Bauch sie sich präsentiert hat. Auch bei anderen älteren Frauen habe ich diese Robustheit im Humor beobachtet, etwa bei Brigitte Mira oder Hildegard Knef, die zweimal zu Gast in der Sendung war. Prominente Männer werden im Alter bedeutungsschwanger, weil sie der verlorenen Macht hinterhertrauern. Frauen dagegen werden radikal und anarchisch.

Jörg Pilawa: Die lustigste Sendung war sicherlich die, in der Jürgen von der Lippe ein Buch mit Partyspielen vorgestellt hat. Die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süsmuth und ich haben sie dann auf ihre Tauglichkeit hin untersucht. Wir unterhielten uns also mit einem zwischen die Zähne geklemmten Korken: „Willi ist krank.“ – „Was hat er denn?“. Leider haben wir beide währenddessen einen Lachkrampf bekommen. Ich glaube, so hinreißend lachend hat man Frau Süsmuth nie wieder im Fernsehen erlebt. Den Auftritt von Sabine Christiansen habe ich weniger lustig in Erinnerung. Ich wollte mit ihr nicht über das Immergleiche reden und hatte mir eine Einstiegsfrage zurechtgelegt, die auf ihre frühere Beschäftigung als Stewardess anspielte. Ob sie sich noch an die Ansage vor dem Start erinnere, wollte ich wissen. Frau Christiansen war völlig echauffiert; der Besuch zog zwei Leitz-Ordner mit anwaltlichen Schriftwechseln nach sich. Bei Heike Makatsch würde ich mich wiederum gern entschuldigen. Ich bin ein großer Fan, habe mich sehr gefreut, dass sie 2005 ihren neuen Film in unserer Sendung vorstellen wollte. Aber weil sie gerade auf Promotion-Tour war und in allen Medien über das Projekt gesprochen hat, war meine Idee, über alles Mögliche mit ihr zu reden - nur nicht über den Film. Frau Makatsch hatte sich offensichtlich das Gegenteil vorgenommen. Nach acht quälenden Minuten habe ich das Gespräch beendet, dem zwei schlaflose Nächte folgten, weil ich mich so über meine Verbohrtheit geärgert habe.

Barbara Schöneberger: Früher war das noch ein bisschen anders, aber inzwischen sind die Gäste ja alle politisch so korrekt, dass keine Pannen mehr passieren. Manchmal gibt es Gesprächspartner, die sich quer legen und das ist oft spannend. Ich erinnere mich nur an zwei Gäste, die sehr unangepasst waren. Ben Becker, der während der Sendung ungefähr vier Mal raus gegangen ist, um nachzutanken und der in jeweils neuer Laune zurück kam. Und an den ostfriesischen Pferdeflüsterer und Chiropraktiker Tamme Hanken, der Pferde wieder einrenkt. Er hat zu mir gesagt: „Legen sie sich doch mal gleich hier auf den Tisch, dann kann ich’s Ihnen zeigen. Auf den Bauch. Mir ist das Kleid hoch gerutscht und Desiree Nick, die auch als Gast in der Sendung war, hat immer ihre Hände schützend vor mich gehalten. Hanken hat dann einige Male kräftig an mir gezogen und es halt drei Mal laut geknackt. Und das hat für meinen Rücken definitiv etwas gebracht. Ein anderes Mal hatten wir den Zauberer Konrad Stöckel da. Für einen seiner Tricks mussten wir Eiswasser in eine 200-Liter-Tonne spucken, aber sie wollte nicht explodieren. Erst zehn Minuten später, als niemand mehr damit gerechnet hat, ist die Tonne dann lautstark losgegangen. Alle haben sich natürlich gehörig erschrocken.

Steffen Simon: Niemand, der bei Falcos Auftritt dabei war, wird ihn je vergessen. Wir hatten uns vor der Sendung noch gut verstanden, als die Kamera lief, kam es sehr schnell zu einer unglücklichen Kombination aus falschen Knöpfen, die wir Moderatoren gedrückt hatten und seltsamen Dingen, die Falco vor der Show eingeworfen hatte. Ich war jung und frech damals und habe ordentlich gegen gehalten. Aber sein Auftritt ist immer noch das beste Beispiel für ein Un-Gespräch. Witzig fand ich den Auftritt eines Hamburger Sternekochs – ich möchte keinen Namen nennen -, der die Juniorenweltmeisterschaft im Kochen gewonnen hatte. Er war dermaßen nervös und hat sich die ganze Zeit an seinem Weißweinglas festgekrallt. Ich wollte ihm nicht zumuten, ihn noch weiter ins Gespräch einzubeziehen, also habe ich ihn in Ruhe seinen Wein trinken lassen.

Julia Westlake: Nie vergessen werde ich meine allererste Sendung. Ich war maximal nervös, habe mit dem Allerschlimmsten gerechnet, nur damit nicht: Mein Gast war weg. Er saß am Anfang noch in der Runde, bei meinem nächsten Blick auf seinen Platz war er verschwunden. Auf Toilette, wie sich später herausstellte. Er war ähnlich nervös wie ich und musste sich nochmal kurz sammeln. Ewig erinnern werde ich mich auch an den verstorbenen Künstler Christoph Schlingensief, von dem ich ein großer Fan war und bin. Wir hatten ein lustiges, chaotisches Gespräch, in dem er viele geistreiche Dinge gesagt hat. Nach der Sendung hat er mir sein T-Shirt geschenkt und ist mit nacktem Oberkörper aus dem Studio spaziert. Ich habe das T-Shirt bis heute und es niemals gewaschen.