Die britische Band Depeche Mode liefert ein perfektes Pop-Konzert vor 45.000 Besuchern in der ausverkauften Imtech Arena ab. Die Band lässt es dabei etwas ruhiger angehen als in früheren Jahren.

Hamburg. Die Hunde haben es ihnen angetan. Ein Husky mit eisblauen Augen, ein Golden Retriever und ein Border Collie. Kluge Gefährten. Hübsch anzuschauen. Verbindlichkeit ausstrahlend. Verlässlichkeit, wie selten im Pop. Wie er bei dem von 45.000 ekstatisch gefeierten Auftritt von Depeche Mode in der ausverkauften Imtech Arena zu erleben ist. Mit rührender Zufriedenheit blicken da auch die Hunde von den Bildschirmen.

Wie immer hat der holländische Fotograf Anton Corbijn diese künstlerischen Bilder eingefangen, sie verfehlen ihre Wirkung nie. Ob sie nun eine der erfolgreichsten Bands der Welt in grobkörnigen Bildern mit seltsamen Schutzbrillen vor einer Holzhütte irgendwo in der Diaspora zeigen. Oder eben niedliche Tiere. Dazu erklingt „Precious“ als einer der jüngeren Hits. Depeche- Mode-Sänger Dave Gahan wiegt seine noch immer spektakulär schmale Hüfte hin und her. Es ist der vierte Song an diesem ziemlich perfekten, lauschigen Sommerabend des Pop. Aus dem Stand hat die Band mal wieder ein ganzes Stadion im Griff. Und liefert ihren zeitlosen Elektro-Blues überaus kompetent und mitreißend ab.

Über die Titelliste wird in Foren wild diskutiert. Die Band lässt es etwas ruhiger angehen als in früheren Jahren. Ihre Mitglieder sind ja auch schon 51. Aber Depeche Mode ist ein lebendiger Klangkörper, kein Vorruhestandsverein, der sich auf alten Hits ausruht. Und weil sich die Briten auf dem aktuellen, gewaltig verkauften 13. Album „Delta Machine“, wieder den schroffen Blues-Gitarren und einem beunruhigenden New-Wave-Knarzen zugewandt haben, betten sie die neuen Songs wie „Welcome To My World“ oder „Soothe My Soul“ in jene aus der sehr kreativen, aber auch ungesunden 1990er-Jahre-Industrial-Phase von „Songs of Faith and Devotion“ und „Violator“ ein. „Walking in My Shoes“, „Policy Of Truth“, „Personal Jesus“., „Halo“ im Goldfrapp-Remix. Jedes elektronische Vibrieren und jeder Akkord sitzt.

Gahan stößt mit seinem glasklaren Bariton weniger „Oh yeah‘s“ aus als sonst. „I Penetrate Your Soul“, singt er. Die Seelen, sie gehören diesem begabten Rattenfänger des Elektro-Pop längst. Die Glitzerweste, sie wird erst spät unter Massenkreischen gelüftet, erst bei der letzten Zugabe, der ultimativen Band-Hymne „Never Let Me Down Again“ fällt sie ganz. Gahans Tattoos leuchten. Das Haar ist nach hinten geölt. Der Dreitagebart zeigt dezente Spuren von Grau. Jede Geste sitzt und berauscht die Massen. Der Sänger hat so einiges hinter sich. Drogenexzesse, Höllen der Lebensmüdigkeit und zuletzt eine Blasenkrebserkrankung. Als Band hat Depeche Mode interne Zerwürfnisse und künstlerische Karrieredellen überstanden. Heute wissen die Herren ihre Dämonen zu zügeln. Dass Gahan und Gore abstinent sind und eher auf Vernissagen anzutreffen sind als auf Partys, mindert den Geist des puren Rock 'n' Roll kein bisschen.

Auf die Choreografie ihrer Konzerte ist Verlass. Keine Explosionen, kein Vom-Himmel-Einschweben, stattdessen Konzeptfotografie von Corbijn. Betörende Tänze um den Mikrofonständer und Hüftschwünge des feingliedrigen Predigers Gahan. Ein stoisch seine Tasten bedienender und nicht einen Gesichtsmuskel verziehender Andrew Fletcher. Dazu mit dem wie ein Tier trommelnden Christian Eigner und Zusatzkeyboarder Peter Gordeno zwei zuverlässige Live-Kollegen.

Diesmal so gar nicht paradiesvogelig gewandet: der Exzentriker Martin Gore. Wie Gahan trägt er glamourös-elegante Weste. Und wie üblich hat auch der Hauptsongschreiber der Band seinen großen Auftritt, schickt die Balladen „Higher Love“ und „Judas“ in den sich langsam verdunkelnden Himmel. Pure Magie. Die nach einem französischen Modemagazin benannte Band hat auch selbst mehrere Moden eingeführt, darunter den dezent geschminkten, metrosexuellen Mann.

Die Depeche-Mode-Welle, sie rollt derzeit mit Wucht über Deutschland hinweg. Zeitgleich zur ausverkauften Stadion-Tour dokumentiert eine Ausstellung in Berlin die gut 30-jährige Bandgeschichte. Akribisch haben der Malchiner Dennis Burmeister und der Leipziger Sascha Lange über die Jahre alles zusammengetragen, was Konzerte und Marketingmaschine abwarfen, jeden Magazinschnipsel, jedes Konzertticket, Poster, Backstage-Pässe, sogar die erste Promo-Kassette, mit der die Band 1980 in Clubs um einen Plattenvertrag ersuchte.

Ja, auch ein Ticket findet sich dort vom 25. September 1981 für einen Auftritt in der Hamburger Markthalle für zwölf Deutsche Mark im Vorverkauf und 15 an der Abendkasse. Das erste Deutschlandkonzert der noch ziemlich schüchternen Bubis. Wer es zur Berliner Schau nicht geschafft hat, kann sich dazu den bibliophilen Katalog-Ziegel in die Schrankwand stellen: „Monument“. So nennen die Macher ihr im Blumenbar Verlag erschienenes Werk, das in der Popwelt wohl Seinesgleichen sucht.

In Granit gemeißelt ist auch in Hamburg die einzigartige quasireligiöse Hingabe der Fans an diese Band, die mehr als 100 Millionen Tonträger verkauft hat. Die lästige Zeit zwischen Alben und Tourneen verkürzt sie mit wiederkehrenden „For the Masses“-Partys. Depeche Mode braucht keinen Grammy, um auch nörgelnde Musikkritiker zu betören. Sie spielt längst in ihrer eigenen Liga, die sogar den verhassten Stadionrock bezwingt. Eine Liga der wahrlich außergewöhnlichen Pop-Gentlemen.