Chor-Serie, 3. Teil: Cantaloop hat sich unter der Leitung von Christoph Gerl mit originellen Versionen von Jan Delays „Klar“ bis zu Adeles „Skyfall“ einen festen Platz in Hamburgs Chorszene ersungen.
Man möchte überambitionierte Manager in die Rotheschule nach Ottensen schicken. Immer Dienstag um halb acht. Denn dort könnten sie lernen, wie sich souverän und im wahrsten Sinne des Wortes taktvoll eine Gruppe leiten lässt. „Im Chor gibt es so viele tolle Momente, die erst entstehen, wenn ich mich zurücknehme“, sagt Christoph Gerl. Seit Frühjahr 2009 dirigiert er den Popchor Cantaloop. Und wer bei Dirigieren an steifes Agieren hinterm Pult denkt, der ist bei dem 37-Jährigen fehl am Platz. Mit vollem Körpereinsatz groovt, swingt und rockt der studierte Musiker. Er schlägt die Handkanten aufeinander, um eine knackige Intonation einzufordern. Er geht in die Knie, um mehr Energie aus seinen 48 Sängerinnen und Sängern zu holen.
Sind Stücke wie Jan Delays „Klar“, Adeles „Skyfall“, Regy Clasens „Da werd ich sein“, Peter Gabriels „Here Comes The Flood“ oder Stings „Mad About You“ erst einmal originell arrangiert und eingeübt, dann fühle sich das an, als entlasse er ein Kind in die Selbstständigkeit, sagt Gerl mit sehr viel Wärme in seiner Stimme. „Na, hoffentlich ist der Vaterschmerz nicht zu groß“, schiebt Marc Drewes mit frotzeligem Unterton hinterher. Der 41-jährige Elmshorner, der im Tenor singt und als Werbetexter auch flott sprechen kann, zählt zu den Gründungsmitgliedern des Vokalensembles. Und sein Humor sagt viel aus über die Stimmung bei Cantaloop. Die ist lässig und zugleich konzentriert. Das Durchschnittsalter liegt bei Mitte, Ende 30. Sweatshirts, Lederjacke und Turnschuhe sind bei der Probe weitaus häufiger zu sehen als Anzug oder Kostüm.
Mit einer Handbewegung Gerls verwandeln sich plaudernde Grüppchen flugs in einen großen Klangkörper, dessen Volumen den Hörer ganz umfängt. Und dessen leisere Passagen auf der Haut kribbeln und tief im Innern knistern. Cantaloop feilt viel am Sound. Mal klingen die Lautmalereien, die rund um die Poplyrik ertönen, wie eine Orgel, mal wie gezupfte Saiten. Eine vielschichtige Leichtigkeit. „Für mich ist das ein spannender Job, weil der Chor wie ein Instrument ist, das zum Schwingen gebracht werden will“, sagt Gerl.
Hinter all den fein justierten Tönen steckt jede Menge Arbeit und konstruktives Miteinander. „Christoph, wenn Du die Hände hin und her bewegst, zeigst du dann Achtel an? Wir suchen hier noch nach Orientierung“, merkt einer der Männer mit ruhiger Neugierde an. Bei Cantaloop wird nicht frontal durchdirigiert, die Mitglieder gestalten aktiv mit. Kein Wunder. Immerhin haben sie sich ihren Chorleiter selbst ausgesucht.
„Wir waren ein verwaister Popchor von knapp 20 Leuten, der einfach nicht aufhören wollte“, erzählt Marc Drewes von der Situation vor gut vier Jahren. Also veranstaltete dieses „aufrechte Häuflein“ ein Chorleiter-Casting und lud über Mailverteiler sowie Aushänge an Musikhochschulen zur „Probe auf Probe“. Am letzten Tag stellte sich Gerl vor. „Das war nahezu Hollywood-reif“, sagt Drewes – und ergänzt: „Christoph war der Einzige, der uns hundertprozentig überzeugte.“ Der hatte sich Bedenkzeit erbeten, war seine Frau doch schwanger und bauten beide gerade ein Haus. „Aber“, so Drewes, „für halbgeil ist das zu viel Arbeit“. Einmal pro Woche zu proben, war Bedingung. Gerl sagte schließlich zu. Und in den kommenden Monaten galt es, weitere Sängerinnen und Sänger zu finden. Bis heute hat sich die Tradition fortgesetzt, beim Vorsingen den Refrain von „Somewhere Over The Rainbow“ zu intonieren. Und Nachwuchssorgen hat der Chor keineswegs. Fällt ein Mitglied langfristig aus, finden sich schnell bis zu zehn Anwärter auf eine zu besetzende Stimme.
Mittlerweile reist Cantaloop vom dänischen Aarhus bis zum bayerischen Regensburg, um Konzerte zu geben. Aber mit Auftritten in der Fabrik, im Rieckhof oder der Laeiszhalle haben sich die A-Cappellisten vor allem in der Hamburger Chorszene einen festen Platz ersungen. Am Johannes-Brahms-Platz sind die Popkünstler am 21. Dezember zu Gast. Und auch wenn das Publikum natürlich auf hohem musikalischen Niveau unterhalten werden soll, so ist für Drewes doch eines entscheidend: „Ein Chor klingt am besten, wenn man selbst mitsingt. Es gibt kein direkteres Musikerlebnis.“
Nach „Chören, die begeistern“ suchte das Hamburger Abendblatt, mehr als 55 Chöre schickten Videoclips ein. Sieben von ihnen werden nun porträtiert. Videos der vorgestellten Chöre: www.abendblatt.de