Eine 45-minütige NDR-Dokumentation zeigt, wie Prostitution in Deutschland funktioniert – und warum auch der Staat daran verdient. Die Legalisierung der Prostitution hat so manches verändert in dem Geschäft.
Mittwoch ist Dessous-Tag. Und immer montags machen sich die Prostituierten mit bunten Cocktailkleidern für die Kunden schön. Kein Wunsch, der hier unerfüllt bleibt. Rund 55.000 Freier betreten jährlich das Paradise in Stuttgart, Europas größten Puff. Sie kommen zu Fuß oder in Busladungen, wohnen in Stuttgarter Besserverdiener-Vierteln oder im Ausland. Freier werden als „Gäste“ bezeichnet. Der Betreiber selbst nennt sich „Unternehmer“. Was ähnlich überzeugend klingt wie die Behauptung von Mafiaboss Tony Soprano, er sei im Müllbusiness tätig. „Prostitution ist ein Bedarf der Gesellschaft“, sagt Jürgen Rudloff. Seinen Laden führt der Bordellbesitzer mit „Offenheit und Transparenz“. Fehlt noch, dass er sich eine Medaille umhängt für seine Verdienste um Frauenrechte.
Die Legalisierung der Prostitution in Deutschland hat so manches verändert in dem Geschäft. Nicht unbedingt zum Besseren. Gut gedacht, schlecht gemacht, sagt, wer sich auskennt in der Branche. Wer wirklich profitiert von den liberalen Prostitutionsgesetzen hierzulande, wer das dicke Geld einstreicht, das haben die Autorinnen Tina Soliman und Sonia Kennebeck in ihrer aufschlussreichen Dokumentation „Sex – Made in Deutschland“ untersucht. Dabei unterscheidet sich der 45-minütige Film von den Rotlichtmilieustücken, die etwa bei RTL2 so häufig zu sehen sind wie Sendungen mit Teenagermüttern und dicken Hausfrauen. Also ständig. „Wir haben unseren Film wie eine Wirtschaftsdokumentation angelegt“, sagt die Hamburger Autorin Soliman, die sich seit zwei Jahren mit dem Thema Prostitution auseinandersetzt – erstmals für einen Beitrag für das NDR-Politmagazin „Panorama“. Gewinner im boomenden Geschäft mit der Ware Sex sind, so die wenig überraschende Erkenntnis, die Bordellbesitzer. Auch der Staat verdient kräftig mit — ohne sich die Finger schmutzig zu machen. Soliman ist es gelungen, nicht nur zahlreiche Puffbetreiber von Flensburg bis Stuttgart vor die Kamera zu holen, die über käuflichen Sex reden wie andere Menschen übers Zäunereparieren. Sondern auch Finanzbeamte, die von den Prostituierten (nicht den Freiern!) fleißig Steuern eintreiben. Moralische Bedenken? Fehlanzeige. „Der Staat ist ein moderner Zuhälter geworden“, sagt ein Protagonist.
In Berlin boomt der sogenannte Discount-Sex. Um Kunden zu locken, sind Ausflüge zu Prostituierten in vielen Etablissements zum Schnäppchenpreis zu haben, Flatrate-Sex nennt sich ein besonders großmauliges Verdienstmodell, bei dem der Kunde für ein erhöhtes Eintrittsgeld im Bordell tun und lassen kann, was immer ihm gefällt. Was bei Telefonverträgen und dem All-you-can-eat-Büfett im Pizzarestaurant zieht, funktioniert anscheinend auch prächtig im Erotikgeschäft. Das Beste für die Anbieter: Es ist vollkommen legal. „Die Bordellbesitzer können ruhig schlafen“, sagt ein breit grinsender Berliner Betreiber, dem man sanfte Nächte nur sehr bedingt wünscht.
Die Offenheit der Gesprächspartner ist tatsächlich das große Verdienst der Dokumentation. Ihr Vertrauen sei mühsam erarbeitet, berichtet Autorin Soliman. Doch schließlich präsentierten sich Freier im Bademantel vor der Kamera, die sich den Bauch kraulen lassen und über sexuelle Vorlieben sprechen. Eine junge Frau, die aussieht, als studierte sie Klavier im dritten Semester, wickelt eine blonde Haarsträhne um die Finger und behauptet: „Ich habe immer Lust. Wir suchen so lange eine Stellung, bis es mir auch Spaß macht.“
Die eigene Jungfräulichkeit im Internet zu verkaufen, wie es etwa auf Plattformen wie gesext.de üblich ist, hält sie für eine prima Sache. Weil das erste Mal ohnehin doof sei, könne man wenigstens den Kontostand damit aufbessern. Erst vergangene Woche, lange nach Drehschluss also, versteigerte eine 19 Jahre alte Jura-Studentin ihre Jungfräulichkeit für mehr als 17.000 Euro. Es sind Summen wie diese, die zeigen: Sex ist hierzulande längst zu einem lukrativen Wirtschaftszweig angewachsen.
Auch deshalb ist die Debatte um Sextourismus, Zwangsprostitution und das dringend nachbesserungswürdige Legalisierungsgesetz immer wieder aktuell. Gerade erst hob das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ das „Bordell Deutschland“ auf den Titel, am Sonntagabend zeigte „Spiegel TV“ bei RTL eine Dokumentation zum selben Thema. Ob Prostituierte, Freier und Zuhälter mit dieser Begründung auch in die gesellschaftliche Mitte vorrücken, wie viele Protagonisten der Doku hartnäckig behaupten, darf indes bezweifelt werden. Orte wie der Erlebnispuff Paradise bleiben doch eine Welt für sich.
„Sex – Made in Germany“, heute, 22.45 Uhr, ARD