Neil Young beweist, dass er noch immer zu den innovativsten Rockmusikern gehört. Und am Ende des Konzertabends ist noch etwas von der Fürsorge zu spüren, die er für seine Mitmenschen empfindet.
Hamburg. Der Mann beweist Haltung. Anbiederungen beim Publikum gibt es nicht, wenn Neil Young mit Crazy Horse unterwegs ist. Sanfte Folk- und Countrysongs veröffentlicht er unter seinem Namen, Konzerte und Platten unter dem Logo des reitenden Indianers sind hingegen elektrisch und laut bis an die Schmerzgrenze. Wie bei „Walk Like A Giant“. Mit einem unbeschwerten Pfeifen beginnt die Nummer und entwickelt sich dann zu einem Klangmonster, das wie ein Tornado über das Land rollt.
Young steht dabei vor einer überdimensionalen Lautsprecherbox mit dem Rücken zum Publikum und schüttelt seine Gitarre. Fiese Rückkoppelungen dröhnen aus den Boxen, über die Videoleinwände flimmern Aufnahmen vom Beginn seiner Karriere. Das Friedenssymbol der Hippies taucht in dieser Collage auf, die Bilder zeigen knüppelnde Polizisten und Young als jungen Musiker in Woodstock. Der Furor, der ihn damals angetrieben hat, einen Protestsong wie „Ohio“ zu schreiben, lodert immer noch in ihm. „Walk Like A Giant“ ist ein neuer Song aus dem aktuellen Album „Psychedelic Pill“.
Vor Beginn des Konzerts in der O2 World nimmt Young Haltung an. Im Hintergrund der Bühne wird eine Deutschland-Flagge hochgezogen, und die Nationalhymne erklingt. Mit der rechten Hand auf dem Herzen stehen Musiker und Bühnenarbeiter da und hören andächtig zu. In den USA gehört dieses Ritual zu jeder großen Sportveranstaltung, hier ist es nur Zitat, um den Blick auf das Wesentliche zu richten. Die deutsche Fahne fällt und enthüllt eine andere. Darauf galoppiert ein Indianer in vollem Federschmuck über die Prärie. Das ist das Logo von Crazy Horse, benannt nach einem der größten Häuptlinge und Kämpfer im 19. Jahrhundert. Der Kanadier Young sympathisiert mit den fast ausgerotteten Ureinwohnern Amerikas und hat das in vielen Songs überdeutlich gemacht. Einen Indianer aus Pappmaschee hat er über den Atlantik mitgebracht. Er steht seitlich am Bühnenrand, beobachtet von dort das Geschehen und wirkt wie ein Ausrufezeichen.
Neil Young steht für Werte. Treue wie die zu seinen Musikern gehört unbedingt dazu. 1968 gründete er Crazy Horse. Seitdem spielt er mit dem Drummer Ralph Molina und dem Bassisten Billy Talbot zusammen. Frank „Poncho“ Sampedro kam 1975 hinzu, nachdem der ursprüngliche Gitarrist Danny Whitten 1972 an einer Überdosis Heroin gestorben war. Die meiste Zeit während des Konzerts agieren die vier vor Molinas Schlagzeug auf so engem Raum, dass die Bühne der Prinzenbar dafür ausgereicht hätte. Young und Sampedro, der ein Hendrix-T-Shirt trägt, feuern sich bei Nummern wie dem erwähnten „Walk Like A Giant“, bei „Powderfinger“ oder dem ruppigen „Fuckin’ Up“ gegenseitig an. Sie stehen sich mit ihren Gitarren so eng gegenüber, dass gerade noch ein Bierdeckel dazwischenpasst. Es macht ihnen offensichtlich Spaß, diese Kaskaden von klirrenden Riffs durch die Lautsprecher zu jagen.
Liebe ist ein Schlüsselbegriff in Youngs Werk, und ein Liebeslied gehört zu den Höhepunkten des Konzertes. Es heißt „Ramada Inn“ und beschreibt die Reise eines älteren Paares in den Süden, das in einem Hotel Rast macht und auf das gemeinsame Leben zurückblickt. Nicht unschwer ist darin Neil Youngs Beziehung zu seiner Frau Pegi zu erkennen, die er 1978 in zweiter Ehe geheiratet hat und die immer noch die Stütze an seiner Seite ist. Auch in diesem 15 Minuten langen Epos ist die Gitarre gewohnt laut, doch ihr Sound bekommt einen etwas gnädigeren Klang. Selten hat jemand tiefe Verbundenheit zu einem Partner schöner ausgedrückt als Young in diesem Lied. Das Publikum spürt, wie viel Gefühl in diesem Song steckt, und applaudiert dem 67-jährigen und seiner Band begeistert.
Auch Respekt gehört zu Youngs künstlerischer Persönlichkeit. Im Mittelteil des 130 Minuten langen Auftritts darf seine Band kurz pausieren, er hängt sich eine akustische Gitarre um und nimmt etwas Dampf vom Kessel dieses hochenergetischen Rock-Kraftwerks. Zuerst singt er „Heart Of Gold“, seinen einzigen Nummer-eins-Hit, dann widmet er sich „Blowin’ In The Wind“ von Bob Dylan. Der spielt sein frühes Lied nur noch in dekonstruierten Versionen, Young dagegen führt dieses politische Lied wieder zurück ans Lagerfeuer, wo es bis heute von jungen Leuten geklampft wird. Er erweist Dylan damit seine Ehrerbietung, denn der nur ein paar Jahre ältere Amerikaner war ein wesentlicher Einfluss für den Sänger aus Ontario. Hochachtung muss man Young auch dafür zollen, dass er mit Los Lobos eine Weltklasseband mit auf diese Tournee genommen hat. Bei ihrem Hamburg-Debüt 1985 waren 17 zahlende Zuschauer in die Markthalle gekommen, an diesem Abend spielen sie vor etwa 7000.
Am Ende des grandiosen Konzertabends ist noch etwas von der Fürsorge zu spüren, die Neil Young für seine Mitmenschen empfindet. Der Gründer einer Stiftung für behinderte Kinder wünscht vor den Zugaben allen Besuchern einen sicheren Heimweg und das Beste für ihre Kinder und ihre Familien. Das sind keine klischeehaften Formeln, sondern Wünsche, die ihm ein ernsthaftes Anliegen sind.
An diesem Abend hat Neil Young wieder gezeigt, dass er immer noch zu den innovativsten und radikalsten Rockmusikern der Gegenwart zählt. Doch er besitzt noch etwas anderes: ein Herz aus Gold.