Heino feierte seinen Tourauftakt im ausverkauften Rockclub Große Freiheit 36. Eine Groteske jagte die nächste. Die Atmosphäre war schon vor Beginn gelöst wie beim Kölner Karneval.
Hamburg. Schon am Ausgang der U-Bahn am Millerntor geht nichts mehr. Zwei ineinander gelaufene Junggesellenabschiede versuchen, sich zu entwirren, ein dritter fährt johlend auf einem Bierbike vorbei und die Ampel wird von Olivia Jones blockiert, die eine riesige Gruppe Touristen über den Kiez scheucht. Ein typischer Sonnabend auf der Reeperbahn. Was macht da noch ein Heino-Konzert in der Großen Freiheit36? Nun, da gibt es das ganze Halligalli auf 100 Minuten und einen ausverkauften Saal konzentriert.
Seit der Düsseldorfer Volkssänger mit der unverrückbaren Stahlhelmfrisur im Februar mit dem Album „Mit freundlichen Grüßen“ im Alter von 74 Jahren zum ersten Mal die Spitze der Albumcharts eroberte, hat die Karriere des so geliebten wie gehassten Baritons wieder Fahrt aufgenommen. Das letzte Studioalbum „Deutschland, meine Heimat“, verendete vor sieben Jahren noch auf Platz 87. Aber schon Gunter Gabriel kroch 2009 mit „Sohn aus dem Volk“ und Coverversionen von Peter Fox und Co. aus dem Hausbootexil zurück ins Rampenlicht. Und da Heino noch weiter weg auf der dunklen Seite des Musikmondes lebte, sind seine Interpretationen von Rammstein, Nena oder Sportfreunde Stiller noch bizarrer und damit im heutigen Medienzeitalter „sensationeller“. So schön ironisch.
Man muss am Sonnabend in der Großen Freiheit schon genau hinschauen, um mitgereifte Heino-Fans zu entdecken, die noch „Wenn abends die Heide träumt“ (1975) als Vinyl-Langspielplatte zum Unterschreiben mitbringen. Der überwiegende Teil des Publikums ist zwischen 20 und 50 Jahre alt und gern in Gruppen unterwegs. Wenn möglich, in selbst gemachten Heino-Shirts. Corporate Identity. Auch die obligatorischen Heino-Doubles mit Perücken und Sonnenbrillen fehlen nicht. Die Atmosphäre ist schon vor Beginn gelöst wie beim Kölner Karneval. Der in Düsseldorf geborene Heino muss die Stimmung eigentlich nur noch abernten.
Fasching ist auch der erste Gedanke, als Heino und seine Band nebst Bläsern und Background-Sängerinnen mit „Junge“ von den Ärzten loslegen. Mit seinem langen, schwarzen Ledermantel und umgehängtem großen Kruzifix sieht Heino aus wie Black-Sabbath-Gitarrist Tony Iommi. Wenige Takte später gibt es auch noch einen echten Ozzy-Osbourne-Moment, als Heino Textaussetzer hat. Es ist wohl nicht einfach, die Band, das Publikum und den indiskret großen Teleprompter im Fokus der Sonnenbrille zu halten. Aber auf die Zuschauer ist Verlass: „Und dann noch deine Haare, da fehlen mir die Worte, musst du die denn färben?“, singen sie aus 1500 Kehlen und geben Heino einen herzlichen Empfang.
Zur Belohnung bietet Heino allen höflich das „Du“ an und bedankt sich für den Erfolg, der ihm nun ein „Haus am See“ ermöglicht. So werden Peter Fox, Keimzeit („Kling Klang“), Westernhagen („Willenlos“) und Rammstein („Sonne“) zum Besten gegeben, und das zum Glück druckvoller als auf dem luftarm produzierten Album. „Jetzt fehlt nur noch eine Wall of Death“, freut sich eine Gruppe Eisenbieger am Tresen. Stimmt, das Punk- und Metal-Ritual, bei dem zwei Schlachtreihen sich umrennen wie im Film „Braveheart“, würde in der Freiheit auch keinen mehr überraschen. Eine Groteske jagt die nächste und dann kommt auch noch Hannelore… nein… Olivia Jones auf die Bühne und überreicht eine Torte in Form eines nackten Frauentorsos. „Womit hab ich das verdient, dass der mich so blöde angrient? Warum hast du mich nicht wenigstens gewarnt?“, lief noch wenige Minuten vorher aus Grönemeyers Feder über den Teleprompter. Jetzt kriegt die Jones auf Wunsch „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ als Jazzstück.
Der Saal ist längst im Stadtfestmodus. „Heino ist die geilste Sau der Welt“, wird lang und ausdauernd gesungen. Wer das Sprachzentrum auf Energiesparen gestellt hat, schafft noch das „Oh oh oh oh oh oh oh!“ von den White Stripes. „Das ist ja wie am Rosenmontag in Köln“, stellt jetzt auch Heino fest und nutzt den Zeitpunkt, um in den Archivkeller zu steigen. „Die Caballeros tragen Sombreros in Tampico. Die Señoritas, die tragen nie was in Tampico“, und „Sierra, Sierra Madre del Sur“ intonieren Star und Gäste in geistiger Umarmung. Wie beim Schlagermove sieht man das Ganze begeistert bis ironisch oder hat einfach genug Jägermeister genascht, um nicht nur Nenas „Leuchtturm“ zu singen, sondern auch Lieder, die schon so streng und gestrig riechen wie im kalten Kneipenrauch hängende Jägerjoppen aus Loden: „Im Wald, im grünen Walde, da steht ein Försterhaus“, schmettert der Bariton in die schunkelnden Reihen. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr verwandelt sich der Rocker-Heino in den einzig wahren Heino, der am Ende sogar sein klassisches rotes Sakko trägt.
Welche dieser Verpackungen ist jetzt gemogelt? In der Freiheit fragt keiner nach. Die „lieben Spielkollegen“, wie Heino seine Mitmusiker nennt, gießen mit Medleys Öl ins Feuer. „Im Wald in der Schenke Zum Kürassier klopfe zur Nachtzeit durstig ich an“, denn so „blau, blau, blau blüht der Enzian“. Es heißt ja immer, Lieder wie „Ein Kompliment“ von den Sportfreunden Stiller, „Gewinner“ von Clueso oder „Vogel der Nacht“ von Stephan Remmler seien lyrisch auch nichts anderes als volkstümlicher Schlager. Und doch ist der Unterschied zwischen fluffiger Popmusik und zackig marschierenden Humpa-Nummern im direkten Vergleich auch mit einem Heino am Mikro enorm. Der Erkenntnisgewinn des Abends, wenn es überhaupt einen geben kann.
Am Ende fährt Heino nach 100 Minuten „Hoch auf dem gelben Wagen“. Ein Lied, das sich übrigens auch auf dem Album „Jazzkantine spielt Volkslieder“ (2012) findet. Aber die Braunschweiger Jazz-Rapper gingen damit unter, während Heino die Narrenfreiheit genießt. „Muchachos, das Fest muss gelingen, drum lass die Gitarren erklingen.“ Und alle Amigos singen: Karneval in Hamburg.