Filmriss nach Sauftour: Am Ohnsorg-Theater feierte Pierre Chesnots turbulente Komödie “Een Sluck toveel“ Premiere. Regisseur Grupe hat keinerlei Scheu, mit seinem Ensemble die Panik und Possen auf die Spitze zu treiben.
Hamburg. Heinos Trinklied „Karamba, Karacho, ein Whisky!“ eröffnet den Abend und gibt mit Karaoke-Krackelen den Ton an für die faustdicken Lügen und haarsträubenden Situationen in der deutschsprachigen und plattdeutschen Erstaufführung der Komödie „Een Sluck toveel“ von Pierre Chesnot. Frank Grupe inszenierte die mörderischen Folgen einer durchzechten Pokernacht und schickt Oskar Ketelhut als biederen Ehemann Martin durch ein Fegefeuer von Peinlichkeiten und Verdächtigungen. Gejagt von einem scheinbar gegen ihn verschworenem Ensemble, zieht der Ohnsorg-Komödiant vom Dienst alle Register seiner Kunst.
Aus dem schlimmen Erwachen mit totalem Filmriss zu Beginn des Stücks macht Ketelhut eine tapsige, ulkige Clownsnummer. Er starrt ungläubig auf die Frau neben sich auf dem Klappsofa, rappelt sich mühsam hoch, verliert die Balance beim Anziehen eines Sockens und torkelt ins Nebenzimmer. Kaum zurück, sucht er seine Hose, streift sie verkehrt rum über, landet mit dem Kopf in der Stehlampe, findet sein Sakko ins Laken verknüllt, zieht daran und wirft die unbekannte Bettgenossin vom Lotterlager. „Wo bin ich hier?“ Die kesse Blondine stellt sich verdächtig hellwach als Laura vor und versucht im dusseligen Lover Erinnerungen an die wilde Nacht zu wecken. Vergeblich.
Seinen Namen weiß Martin noch. Und dass er der Leiter des Gesundheitsamtes in Altona ist, pikanterweise zuständig für Suchtprävention und beschäftigt mit einer Anti-Alkohol-Kampagne: „Lieber heute kein Schwips, als morgen im Gips!“ Wie viele Biedermänner misst er mit zweierlei Maß und hebt gern einen. Außerdem plagt ihn Eifersucht. Er glaubt, seine Frau Stefanie (Birgit Bockmann) habe eine Affäre mit Igor, dem Regisseur der Amateurtheatergruppe, in der sie spielt. Auch die attraktive Laura (Birte Kretschmer) aus Blankenese verdächtigt ihren Mann Mark der Untreue, den Robert Eder als schießwütigen Othello gibt. Die zwei verbünden sich zu süßer Rache.
Als Mark den ihm unbekannten Kerl in seinem Bademantel ertappt, beginnt das fadenscheinige Lügen- und Verwirrspiel. Zu allem Überfluss tauchen Lauras Eltern auf, Martins Kumpel Philipp (Erkki Hopf) und Stefanie auf der Suche nach ihrem Mann. Der steckt nun ausweglos in der Falle: „So muss die Hölle sein. Ich bin schon lange tot und weiß es noch nicht.“ Martin wird zum Gejagten und vom Kriminalkommissar Dünnbier (Till Huster) verdächtigt, einen Mord auf St. Pauli verübt zu haben. . .
Pierre Chesnot und die lustige Laienspielerschar ließen sich offenkundig durch den Plot von Eugène Labiches „Die Affäre in der Rue Lourcine“ inspirieren. In der absurden Farce des französischen Schwank-Schreibers erwacht der unbescholtene Bürger Lenglumé ohne Erinnerung an den Vorabend neben seinem Schulfreund Mistingue im Bett. Die beiden glauben, sturzbetrunken eine Frau erschlagen zu haben, was zu Ausreden und Panik-Reaktionen führt – genau wie in Chesnots „La cuite“ („Der Rausch“). Allerdings behält der Autor einen Trumpf in der Hinterhand und überrascht am Schluss Martin wie den Zuschauer durch eine unerwartete Wendung der Dinge.
Regisseur und Übersetzer Frank Grupe hat keinerlei Scheu, mit seinem Protagonisten und dem spaß- und spielfreudigen Ensemble die Panik und Possen auf die Spitze zu treiben. Durch schauspielerische Präzision erzielt Grupe ein Maximum an Situationskomik. Ketelhut kostet sie aus, nimmt aber seine Figur ernst und leidet mit ihr Höllenqualen bis er zu der Einsicht kommt: „Ich bin doch ein Schubiak.“
Aber es gibt in Grupes flotter Inszenierung auch immer wieder parodistische Momente. Etwa wenn der krankenhausreif geschlagene Philipp seinen Freund fragt „War das nicht ein bisschen zu dick aufgetragen?“, um darauf Martin behilflich zu sein, die obskure Leiche im Garten zu entsorgen. Der Darsteller des toten Mannes Manfred Bettinger (mit Plastiksack über dem Kopf) wünscht sich denn auch für das nächste Mal eine Hauptrolle.
Dass man die Geschichte von Martins Läuterung nicht ganz so ernst nehmen sollte, deutet auch Bühnenbildnerin Katrin Reimers an: Unter einem roten Hirschgeweih platziert sie im Salon einen Buddha, dazu eine afrikanische Nacktskulptur und einen Schrank mit Flinten. Ironisch spiegelt sie im Interieur die Widersprüche der Figuren, in denen sich diese komisch verwickeln.
„Een Sluck toveel“ bis 3.7., Ohnsorg-Theater, Karten unter T. 35 08 03 21