Das zweite Album zeigt: Tim Bendzko ist immer dann am besten, wenn er kritisch und amüsiert auf die Welt blickt. Manche Songs driften textlich zuweilen jedoch ins Belanglose.
Hamburg. „Vorm ersten Album habe ich komplett ins Leere geschrieben und wusste nicht: Gibt’s Menschen, denen das auch gefällt? Jetzt war ich beim Schreiben viel entspannter“, sagt Tim Bendzko. Vor ihm, auf dem Tisch des Hotelzimmers mit Blick über die Reeperbahn, steht eine Tüte mit Medikamenten. Die Erkältung ist der Feind des Sängers. Doch Bendzko ist nach Hamburg gekommen, um seine Platte zu präsentieren, die am Freitag erscheint. Es ist seine zweite. Und nach der Euphorie um seinen Erstling hätte der 28-Jährige durchaus Grund, nervös zu sein.
2011 stand sein Debüt „Wenn Worte meine Sprache wären“ 69 Wochen in den deutschen Charts. Bendzko gewann den Bundesvision Song Contest sowie Bambi, Echo, MTV Music Award. Doch der Anfangserfolg habe ihn nicht unter Druck gesetzt, im Gegenteil: „Ich weiß jetzt, es gibt den ein oder anderen, der mag, was ich mache. Dementsprechend habe ich für die neuen Songs einfach in mich hineingehorcht und geguckt, ob mir das gefällt“, sagt er selbstbewusst.
Dem Fernsehpublikum wurde Bendzko jüngst als Juror der Sat.1-Show „The Voice Kids“ vertraut. Vor allem aber ist der junge Berliner für viele jene Stimme, die den Titelsong zu unserem überreizten Dasein singt: „Nur noch kurz die Welt retten“.
Auch seine neue Platte „Am seidenen Faden“ besitzt so einen Zeitgeistsong. In „Programmiert“ schildert Bendzko zu flotten Popbeats, wie der Einzelne hin- und hergerissen ist zwischen virtuellem Kokon und realem sozialen Leben. „Ich bin an zwei verschiedenen Orten zur selben Zeit / und das Absurde daran: Ich bin nicht alleine hier“, singt er über die polierte Party im World Wide Web. „Die ganzen sozialen Netzwerke haben initial viel Gutes. Für mich als Musiker ist das total super: Ich tippe da etwas ein und erreiche auf einen Schlag ’ne halbe Million Menschen“, sagt Bendzko.
Enttäuschter und wütender kommt der Song „Wo sollen wir nur hin“ daher
Die Problematik sei jedoch, dass mittlerweile nicht nur viele Kontakte online hinzukommen, sondern dass auch die echten Freundschaften virtuell werden: „Man sitzt sich gegenüber, guckt in sein Handy rein und spricht gar nicht miteinander oder über das, was gerade im Handy passiert.“ Er selbst beobachte sich dabei, wie Skepsis und Sucht einander abwechseln.
Der Song „Auch wenn es gelogen ist“ stößt in eine ähnliche Richtung, obwohl er mit seinem eingängigen Akustikgitarren-Sound recht munter daherkommt. Ein Stück übers Einkaufen, genauer gesagt über die Verführungen der Konsumlandschaft. „Bei technischen Geräten weiß ich meistens schon, dass ich sie nicht brauche. Aber in dem Augenblick, in dem ich sie sehe, frage ich mich: Wie konnte ich bisher ohne leben“, erzählt Bendzko.
Enttäuschter und wütender kommt hingegen „Wo sollen wir nur hin“ daher. „Es wird lieber zweimal weggesehen, / als uns einmal an die Hand zu nehmen“, singt Bendzko zu ruhigen Pianoklängen. Den Song möchte er nicht als Pauschalanklage gegen die Politik verstanden wissen, sondern als Ausbruch aus einem engen Horizont, als Frage: „Ich habe ein Grundgefühl des Mitmarschierens. Man hat weder die Zeit noch die Kraft, alles zu hinterfragen, und man merkt, dass man vieles als wahr hinnimmt. Das nervt mich.“
Die Nummern, in denen Bendzko mit (selbst-)kritischem wie amüsiertem Blick auf die Welt schaut, sind seine stärksten. Andere Songs wie die Ballade „Leicht sein“ driften textlich dann doch arg ins Belanglose, musikalisch ins Schlagerhafte. „Solange ich träumen kann / sind die Sterne zum Greifen nah“, singt er mit Xavier-Naidoo-hafter Stimme. Doch genau diese Bandbreite dürfte einer der Gründe für Bendzkos sprunghafte Karriere sein. Mit dunkler Brille zum Sweatshirt-Look sieht er aus wie ein Hip-Hop hörender Hipster. Sein charme-offensives Lächeln unter blond-braunen Locken wiederum dürfte jungen, meist weiblichen Fans ebenso gefallen wie potenziellen Schwiegermüttern.
Dass dieser Bendzko jedoch kein Posterboy-Abziehbild ist, zeigt sich im Gespräch. Der Musiker ist bedacht darauf, seine künstlerischen Schritte immer wieder mit seiner Person, seinem Bauchgefühl abzugleichen. „Ich habe in den letzten zwei Jahren sehr viel gearbeitet und hatte nicht so richtig Zeit, wirklich über alltägliche Sachen nachzudenken. Das kommt dann in meinen Lieder durch“, sagt Bendzko zu den nachdenklichen Songs, von denen auf seinem neuen Album einige zu finden sind. Allerdings fügt er an: „Mir geht’s nicht schlecht. Ich hatte nicht das Gefühl: Ich muss jetzt zum Psychiater und packe das alles mal in Musik.“
Songwriting funktioniere bei ihm „komplett unromantisch, ohne Lagerfeuer, ohne Weiß- oder Rotwein“. Morgens fährt er in sein kleines Studio in Berlin und legt los. Tim Bendzko ist sich bewusst, dass der rote Faden seines Lebens, sein musikalisches Schaffen, zugleich ein seidener ist. Das ist auch eine der Lehren, die er aus seiner Jurorenarbeit bei „The Voice Kids“ gezogen hat: „Dass man sich nichts auf seine Talente einzubilden braucht.“
Tim Bendzko: „Am seidenen Faden“ (Sony)