Seefahrerromantik in Popform beim Hamburger Tourabschluss von Santiano in der O2 World

Hamburg. Parteitreffen in Wildbad Kreuth oder Pjöngjang? Nein, es ist das Konzert von Santiano am Donnerstag in der Hamburger O2World, das an alte Duracell-Werbespots erinnert. Unermüdlich klatschen 11.000 Handpaare. Ein Traum der Handcreme-Vertreter, ein Albtraum der Wahrsagerinnen, für die trocken und rissig geklatschte Handflächen so etwas wie eine zerknüllte Zeitung sind.

Nur wenn Björn Both, Axel „Beau“ Stosberg, Hans-Timm Hinrichsen, Andreas Fahnert und Peter David Sage mit ihrer Begleitband leisere Töne wie bei „Weit übers Meer“ (mit Synje Norland am Mikro) anschlagen, haben die Hände Pause oder Gelegenheit, zum Bierbecher zu greifen. Aber Santiano ist ein Vollschiff mit 27 Masten, wie Björn Both mit dem He-lücht-Duktus eines Hafenrundfahrt-Kapitäns vertellt. Und dieses Vollschiff feuert zwei Stunden lang Breitseite auf Breitseite auf die Ränge und in den unbestuhlten Innenraum, Salven von Stampfrhythmen, bewährten Shantys und Traditionals wie „Alle die mit uns auf Kaperfahrt fahren“, „Whiskey In The Jar“ und „Irish Rover“ sowie neue Kompositionen, die altbekannte Seemannsliedmotive wieder aufnehmen. Lieder wie „Blow Boys Blow“ oder „Auf nach Californio“ kommen auch Landratten bekannt vor, sofern sie mal einen Hamborger Veermaster gesehen haben.

Fernsucht und Heimweh und in jedem Hafen eine Braut. Das ist gerade in Zeiten von Warenterminfracht, Elbvertiefung, Billigflaggen und Piraten mit Panzerfäusten romantischer denn je und wird von Björn Both mit viel Seemannsgarn geknotet und gespleißt. Die Band lädt derweil die glühenden Rohre nach und legt die Lunte an die Songs, die 2012 aus dem Nichts über die Charts herfielen wie Störtebeker über Hansekoggen. Fünf nahezu unbekannte Musiker, die in Flensburg auf einer Party eine fixe Idee hatten, enterten mit dem Album „Bis ans Ende der Welt“ die Spitze und plünderten Gold und Platin. Angeschoben vom PR-Wind einer starken Plattenfirma, dem Glück des Tüchtigen und der vielfältigen Einsetzbarkeit.

Volksmusikshow, Metal Open Air, Hafenfeier, Kreuzfahrt: Santiano und ihre zweimal gespielte Bandhymne gleichen Namens, die klatschbaren Rhythmen und die geschickt zwischen Rock und Schlager navigierenden Arrangements kommen überall gut an. Die kräftigen, wie Kanonenkugeln über das Deck polternden Stimmen sorgen beim Tourabschluss in der O2World für Stimmung wie die Beuteverteilung auf einem Korsarenschiff. Und das war vor Konzertbeginn nicht zu erwarten angesichts eines im Schnitt eher reiferen Publikums, das nicht allzu viel mit den fair kalkulierten Bandshirts im Metal-Look (20Euro) anfangen konnte.

Dabei soll das am 10. Mai erscheinende Album „Mit den Gezeiten“ rockiger werden, wie auch die Live-Premiere des Songs „Gott muss ein Seemann sein“ andeutet. Mal sehen, ob die Santiano-Fans auch diese Reise mitmachen. Nebenbei: Hat irgendjemand in letzter Zeit Freddy Quinn gesehen?