Bei seiner Verdi-Arien-Gala in der Laeiszhalle war der vom Publikum mit Sympathie überschüttete Tenor Rolando Villazón gut, aber nicht in Bestform.

Hamburg. Am Morgen nach dem Freitag-Konzert wurde auf sehr ungewöhnliche Weise klarer, wie der Auftritt der umjubelten Hauptperson nun eigentlich gewesen war: Auf BR Klassik lief zufällig die Aufnahme einer Arie aus Verdis „Ernani“, und schon nach den ersten Tönen begann das Sängerraten im Hinterkopf-Stimmenarchiv. Klingt ja fast wie Rolando Villazón gestern Abend, war die erste Einschätzung. Nur freier und, na ja: toller. Ungezwungener, lockerer, spielerischer, melodramatischer. Hier wurden nicht nur die Noten ins Herz getroffen, sondern auch der Text erzählt. Details fanden effektvoll statt, der Charakter der Rolle stand auftrumpfend und präsent im Raum. Ein ganzer Kerl dank Verdi. Der Sänger im Radio hatte ein faszinierendes, strahlendes Timbre und eine Intensität, die das Weghörenkönnen ziemlich unmöglich machte. So etwas hatte es am Vorabend in der Laeiszhalle leider nicht zu hören gegeben. Und am Ende, als die Moderation das Rätsel auflöste, war es dann doch tatsächlich Villazón. Eine Aufnahme, die schon einige Jahre alt war und die unfreiwillig dokumentierte, dass auch Tenöre nur Menschen sind, erst recht, wenn sie trotz des Drucks der Branche eine Stimmkrise hinter sich bringen müssen. Und obwohl Aufnahmestudio das eine und Konzert etwas ganz anderes ist – dieser Unterschied vom einen Rolando zum anderen Villazón war beachtlich.

Zum Jubiläumsjahr des Komponisten und seinem eigenen Comeback hat Villazón kürzlich eine interessante Zusammenstellung von Verdi-Arien auf CD herausgebracht, die jenseits der üblichen Gassenhauer sowohl einen Querschnitt durch dessen Opernschaffen bietet als auch die Gelegenheit, sich als Tenor der Herzen mit einer Tournee im Rampenlicht zurückzumelden. Schade nur, dass dabei nach der Maxime „Entweder einen guten Star oder ein gutes Orchester“ vorgegangen wurde. Das Tschechische National Symphonie Orchester sorgte durch stoisch weggespielten Gleichmut dafür, dass Villazón kaum dazu kam, sich mit der notwendigen Sorgfalt ums Kleingedruckte in seinen Partien zu kümmern. Dirigent Guerassim Voronkov hielt durchgängig mächtig drauf, und das nicht nur bei den Lückenfüller-Ouvertüren und Intermezzi, die das Programm streckten; die italienische Leichtigkeit durfte man sich also (vergeblich) dazudenken.

Villazón – was blieb ihm auch anderes übrig – machte gute Miene zum flauen Spiel und mit vollem Einsatz das Beste aus seiner Situation. Den Dreisatz aus Schmachten, Schmettern und Schluchzen beherrscht der Charmebolzen mit dem sonnigen Gemüt nach wie vor mitreißend. Je später der Abend, der mit Jubel in allen Preisklassen und drei Zugaben endete, desto hörbarer wurde in seiner Stimmführung die chronische Gefahr, dass aus Tenor-Traum- auch Zitterpartien werden können. Villazóns vokaler Schmelz, früher so makellos, hat Risse bekommen, die Patina eines Sängerdarstellers, der inzwischen nicht nur strahlende Höhen kennt. Das hat, neben aller Sorge über die Kondition, aber auch etwas Bedenkenswertes: Eine Gala wie diese, die am ständig erwarteten Ewigkeitswert knapp vorbeischrammte, zeigt, wie schwer das Leichte es einem Publikumsliebling machen kann. Und wie wenig das Sängerleben dann noch ein harmloses Wunschkonzert ist. Diese Lektion ist manchmal wichtiger und beeindruckender als jede noch so fehlerchenfrei gestandene Arie.