Der Geschäftsführer der „Spiegel“-Gruppe, Ove Saffe, führt intensive Gespräche mit den Gesellschaftern über die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens. Dabei halte er sich alle Optionen offen.
Hamburg. Um zu verstehen, dass es zum geplanten Wechsel an der Spitze der Chefredaktion des "Spiegels" wohl keine Alternative gibt, genügt ein Blick auf zwei Ereignisse der letzten sieben Tage. Vergangene Woche sickerten erste Verkaufszahlen der "Spiegel"-Ausgabe vom 25. März mit dem Titel "Das ewige Trauma - Der Krieg und die Deutschen" durch. Im Einzelverkauf sollen von ihr deutlich weniger als 200.000 Exemplare abgesetzt worden sein. Obwohl die Remission noch nicht abgeschlossen ist, erzählt man sich in Verlagskreisen, in den letzten Jahrzehnten habe sich keine "Spiegel"-Ausgabe schlechter am Kiosk verkauft.
Es sei bislang aber noch keine Entscheidungen über mögliche Veränderungen in der Chefredaktion gefallen. Die Gesellschafter des „Spiegel“-Verlags hätten keine entsprechenden Beschlüsse gefasst, sagte Geschäftsführer Ove Saffe nach Angaben einer Verlagssprecherin am Montag vor den Redaktionen von „Spiegel“ und „Spiegel online“.
Saffe sei aber in intensiven Gesprächen mit den Gesellschaftern über die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens. Mögliche Strukturveränderungen würden Veränderungen in der Chefredaktion nicht ausschließen; er halte sich alle Optionen offen.
Der Scoop der vergangenen Woche, die Enttarnung der geheimen Geschäfte der Steueroasen anhand einer Datei, die Datensätze von 130.000 Personen enthält - auch einen von Gunter Sachs -, ging am "Spiegel" vorbei. In Deutschland berichteten exklusiv der NDR und die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) darüber. Das ist insofern überraschend, da "Spiegel"-Chefredakteur Georg Mascolo und der Investigativ-Chef der "SZ", Hans Leyendecker, die einzigen deutschen Mitglieder des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) sind. Das ist die Organisation, der die Datei zugespielt wurde. Entweder unterschätzte Mascolo die Brisanz des Datensatzes, oder aber das ICIJ sah in dem Nachrichtenmagazin, das einst für seinen investigativen Journalismus berühmt war, nicht das richtige Medium für die Enthüllung. Schwer zu sagen, welche Variante peinlicher für Mascolo und den "Spiegel" ist.
Auch bei "Spiegel Online" läuft es unrund. Mascolos Amtskollege Mathias Müller von Blumencron sperrt sich gegen eine Bezahlstrategie. Die Verzahnung von Print und Online kommt wegen des Streits der Chefredakteure nicht voran. Da die Zukunft des Journalismus im Digitalen liegt, wünschen sich nicht wenige im "Spiegel" einen Chefredakteur, der sich mit der Materie auskennt. Hier fällt als Erstes der Name von dpa-Chef Wolfgang Büchner, der acht Jahre bei "Spiegel Online" wirkte, davon ein Jahr als Chefredakteur.
Auch Wolfgang Krach, Stellvertreter des Chefredakteurs der "SZ", können sich viele im Verlagshaus an der Ericusspitze als neuen "Spiegel"-Chef vorstellen. Er verfügt zwar über keine nennenswerte Online-Erfahrung, war aber vor seinem Wechsel nach München Anfang 2003 beim "Spiegel" Ressortleiter Deutschland. Keine Rolle dürften die üblichen Verdächtigen wie Medienwissenschaftlerin Miriam Meckel, "SZ"-Innenpolitikchef Heribert Prantl oder "WAZ"-Chefredakteur Ulrich Reitz spielen. Der Geschäftsführer der Verlagsgruppe Handelsblatt Gabor Steingart, der lange Jahre beim "Spiegel" war und den sein damaliger Chefredakteur Stefan Aust zu seinem Nachfolger aufbauen wollte, wäre für den Posten durchaus geeignet. Allerdings wird Steingart von großen Teilen der Redaktion abgelehnt. Dass die Mitarbeiter KG als "Spiegel"-Hauptgesellschafter seiner Berufung zustimmen würden, gilt als ausgeschlossen.
Bleibt noch ein Kandidat, der mittlerweile als Geheimfavorit gehandelt wird: Jakob Augstein, Stiefsohn von "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein und Verleger der Wochenzeitung "Der Freitag". Dem 45-Jährigen, der die Erben seines Vaters in der Gesellschafterversammlung vertritt, werden Ambitionen auf den Posten nachgesagt. In Teilen der Mitarbeiter KG kann man ihn sich sehr gut als neuen "Spiegel"-Chef vorstellen. Dass Augstein mitunter polarisiert - etwa mit seiner scharfen Israel-Kritik - gilt dort ebenso wenig als Problem wie der Umstand, dass "Der "Freitag" im Vergleich zum "Spiegel" eine überschaubare Veranstaltung ist. In eher unguter Erinnerung ist manchem "Spiegel"-Mann hingegen die von Augstein vor ein paar Jahren für das Nachrichtenmagazin entwickelte Kulturzeitschrift "Adler". Mangels Substanz kam das Blatt nie an den Kiosk. Aber auch Augstein-Kritiker räumen ein, dass er den "Spiegel" hervorragend nach außen hin repräsentieren könnte. Und das nicht nur wegen seines Namens. Zusammen mit dem stellvertretenden "Bild"-Chef Nikolaus Blome ist er wöchentlich auf Phoenix in der Talkshow "Augstein und Blome" zu sehen. Auf "Spiegel Online" ist er mit der Kolumne "Im Zweifel links" präsent. Augstein ist längst seine eigene Medienmarke.