Am Lübecker Theater hatte die 1920 in Hamburg uraufgeführte Oper „Die tote Stadt“ Premiere. Die beiden Protagonisten hatten sehr mit ihren enormen Anforderungen zu kämpfen. Aber: Umwerfend gute Musik.

Lübeck. In einem Opernführer steht über Korngolds frühes Meisterwerk der schöne Satz „Wenn ein Theater die beiden Hauptpartien gut besetzen kann, ist der ,Toten Stadt’ der Erfolg sicher.“ Dieses seltene Glück war dem Lübecker Theater nicht komplett vergönnt, das die viel zu selten gespielte Oper jetzt auf seinen Spielplan brachte, denn die beiden Protagonisten hatten sehr mit ihren enormen Anforderungen zu kämpfen. Aber es reicht immerhin zu der Erfahrung, dass dieses Stück umwerfend gute Musik zu bieten hat. Und das reichlich. Und obwohl die im belgischen Brügge spielende Handlung mit dem Wort „verwirrend“ noch sehr freundlich zusammengefasst ist.

Erich Wolfgang Korngold, legendäres Wunderkind aus Wien, vertonte mit gerade mal 23 Jahren in seiner dritten Oper eine Art Psychothriller über einen Witwer, der seiner toten Frau Marie nachtrauert, indem er sich in Marietta verliebt, die ihr zum Verwechseln ähnlich sieht. Wer dabei an Hitchcocks „Vertigo“ denkt, liegt nicht verkehrt, denn beide Klassiker beziehen sich auf die selbe Romanvorlage. Die Uraufführung dieser Oper fand 1920 zeitgleich in Hamburg und Köln statt, sie wurde umgehend ein Welterfolg und verschwand dennoch später fast komplett von den Spielplänen, während Korngold, als Jude nach Hollywood emigriert, dort eine zweite Karriere mit Filmmusiken startete und mehrere Oscars erhielt. Seine Qualitäten stellt aber bereits diese Oper satt tönend unter Beweis. Sie klingt unentwegt nach seinen Lehrern und Vorbildern Strauss, Mahler, Puccini, Zemlinsky, sie collagiert Operettenseligkeiten à la Lehár mit Modernismen jener Jahre. Man kann zweieinhalb Stunden lang auf Entdeckungsreise gehen in dieser Musik und stößt ständig auf liebe alte Bekannte.

Für Richard Decker, der den nekrophilen Witwer Paul sang, war die kräftezehrende Partie eine Gratwanderung, die er nicht ohne stimmliche Blessuren und Anstrengungen absolvierte. Seine Kräfte musste er sich nicht zuletzt auch deswegen gut einteilen, weil Dirigent Brian Schembri es nicht immer gelang, die Klangwogen aus dem Orchestergraben im Zaum zu halten. Der zweite Trostpreis des Premieren-Abends ging an Ausrine Stundyte, die als Marietta eine große gestalterische Bandbreite abzuliefern hatte. Dieter Kaegi inszenierte die Geschichte, in der Tote lebendig waren und Wahrheit und Wahn sich abwechselten, gut durchsortiert und so verständlich, wie es sich bei einer solchen Spukgeschichte nur einrichten lässt. Am Ende gab es starken und verdienten Beifall für eine Kraftanstrengung des Lübecker Ensembles, die viel Respekt verdient. Korngolds Musik ist ohnehin über jeden Zweifel erhaben.

Weitere Termine: 12., 25.4. / 3., 12.5 / 2., 15.6.

Infos unter: www.theaterluebeck.de

(Eine ausführliche Kritik lesen Sie in der Montag-Ausgabe vom Hamburger Abendblatt)