Die Hamburgerin Meike Winnemuth gewann bei Günther Jauchs „Wer wird Millionär?“ 500.000 Euro. Anschließend packte sie die Koffer und bereiste zwölf Städte in zwölf Monaten.

Hamburg. Es gibt ja so Orte auf der Welt, fand Meike Winnemuth, die sind eigentlich Pflicht für eine Hamburgerin. Einfach, weil Hans Albers so schön sehnsuchtsvoll über sie gesungen hat: "Einmal noch nach Bombay, einmal nach Shanghai ..."

Und es gibt so Sätze, wie jenen von Mark Twain, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen, wenn man sie einmal gelesen hat: "In 20 Jahren wirst du dich mehr über die Dinge ärgern, die du nicht getan hast, als über die, die du getan hast." Und dann gibt es Möglichkeiten. Zufälle. Gelegenheiten. Vielleicht auch Glück. Wie an jenem Tag, als Meike Winnemuth, Journalistin aus Hamburg, bei Günther Jauch eine halbe Million Euro gewann. Und sich entschied, aus jedem "Man müsste mal" ein "Ich mach das jetzt" zu machen. "Also wirf die Leinen los", schreibt Twain, und Meike Winnemuth warf die Leinen los.

Zwölf Monate checkte sie aus ihrem Alltag aus. Reiste durch die Welt, lebte jeden Monat in einer anderen Traumstadt, traf auf den Erfinder der Antibabypille in San Francisco, auf eine tröstliche Teekanne in Buenos Aires, auf Hemingway in Havanna und die Witwe des Dramatikers Heiner Müller in Addis Abeba - und schrieb ein Buch darüber: "Das große Los" (Knaus, 19,99 Euro, 328 Seiten). Wen beim Lesen das Fernweh packt, dem sei verraten: Den Gewinn von Jauch, so stellte es sich am Ende heraus, hätte Meike Winnemuth gar nicht gebraucht. Man müsste mal? Ja, eben.

Hamburger Abendblatt: Wenn Träume wahr werden, ist das ausschließlich schön?

Meike Winnemuth: Das kann ganz wunderbar sein, aber auch eine Überforderung. So ging es mir bei meinem ersten Ziel in Sydney, als ich erst mal gar nichts so richtig mit der Freiheit anzufangen wusste, die ich da vor mir hatte. Ein Jahr tun dürfen, was man will - großartig! Nur: Was tut man dann?! Ich hab mich gefühlt wie ein Zootier, das in der Savanne ausgewildert wird und nicht recht weiß, wohin mit sich.

Ihr Rezept war: "Einfach los!" - ein Aufbruch kann erhebend sein. Wiederkommen dagegen ist manchmal ernüchternd. Ist Ihnen das Ankommen mittlerweile geglückt?

Winnemuth: Das Zurückkommen war schwierig. Man kann nicht einfach so weitermachen wie zuvor, man muss einen neuen Weg finden, sich eine neue Heimat bauen. Das ist ein Prozess, der auch bei mir noch andauert.

Sind Sie als ein anderer Mensch wiedergekommen? Oder als der gleiche Mensch mit mehr Erfahrungen?

Winnemuth: Wen eine solche Reise nicht verändern würde, der gehört mit dem nassen Lappen verhauen. Das ist ja fast schon Menschenpflicht, von so einer Erfahrung berührt und verändert zu werden. Ich habe die Reise für eine Inventur meines Lebens nutzen können, für ein Nachdenken darüber, was ich will - im Gegensatz dazu, was ich wollen soll. Daraus habe ich meine Konsequenzen gezogen.

Welche?

Winnemuth: Eine war, dass ich aus meiner großen Altbauwohnung in St. Georg in eine kleine 40-Quadratmeter-Wohnung ziehe. Wenn man ein Jahr lang aus einem Koffer lebt, kann man nicht einfach zurück in die alte Üppigkeit. Ich wollte das Reisegefühl der Leichtigkeit und Unabhängigkeit etwas bewahren.

"Watt mutt, dat mutt", haben Sie Ihre pragmatische Lebenseinstellung vor der Reise beschrieben. Gibt es so eine griffige Formel auch für das Danach?

Winnemuth: Ich würde immer noch "Wat mutt, dat mutt" sagen, aber jetzt "mutt" eben auch mal was anderes. Es gelten andere Prioritäten. Ich habe einen wunderbaren Beruf, die Arbeit war früher im Zentrum meiner Existenz. Sie ist mir immer noch sehr wichtig, aber jetzt "mutt" auch, dass ich mich mehr um meine Freunde kümmere und mehr um mich. Dass ich mir zum Beispiel den Sonnabend gönne, herumtrödele, streune, keine Mails beantworte.

Sie mussten ein Jahr kreuz und quer über den Globus, um das gute alte Wochenende für sich zu entdecken?

Winnemuth: Tja. Das altmodische Wochenende ist ja fast verloren gegangen.

Haben Sie eigentlich Günther Jauch aus jeder Stadt eine Postkarte geschickt?

Winnemuth: (lacht) Nein. Der Kontakt zu Herrn Jauch war eher ein nonexistenter. Die Produktion der Sendung ist eine hocheffiziente Fließbandarbeit, da ist gar keine Zeit für ein privates Wort.

Das Geld von Jauch hätten Sie gar nicht gebraucht, war eine verblüffende Erkenntnis Ihres Trips. Heißt das etwa, jeder könnte einfach los?

Winnemuth: Ich habe ja während der Reise gearbeitet und auch nicht so viel gebraucht, wie ich gedacht hatte. Was ich ausgegeben habe, insgesamt 40.000 Euro in dem ganzen Jahr, habe ich mir wieder hereinverdient. Und es waren viele Länder dabei, in denen das Leben geradezu beschämend billig ist, Indien, Äthiopien. Kopenhagen war der teuerste Ort, teurer als London.

Sie stellen sich an einer Stelle die Frage: "Wer bin ich, wenn keiner zuguckt?" Haben Sie eine Antwort gefunden?

Winnemuth: Wer bin ich - und wenn ja, wie viele? Das ist die Antwort. Mir kamen die zwölf Monate vor wie zwölf verschiedene Reagenzgläser, in die ich eingetaucht bin, mit zwölf verschiedenen Reaktionen. Einige Städte haben mich schnell und fiebrig gemacht, Shanghai zum Beispiel. Andere haben mich heruntergedimmt, zum Beispiel Honolulu. Das Aktivste, was ich da tat, war, jeden Tag ein Mai-Tai-Glas zum Mund zu führen.

Kann man süchtig nach Veränderung werden?

Winnemuth: Und ob! Veränderung ist was ganz Tolles, sehr Mächtiges.

Auch nicht ganz ungefährlich, süchtig danach zu sein. Kann man sich dann noch auf etwas wirklich einlassen?

Winnemuth: Wenn man Veränderung ausschließlich als Rastlosigkeit begreift, kann es vielleicht gefährlich sein. Ich meine es eher in einem evolutionären Sinn, als Weiterentwicklung. Eine gewisse Ruhelosigkeit ist aber natürlich eine Nebenwirkung, die das Reisen oft mit sich bringt. Damit muss man umgehen lernen. Mein Bedürfnis ist aber nicht nur Freiheit, sondern auch das Gefühl, irgendwo hinzugehören.

Was macht Hamburg zu einer guten Stadt für Heimkehrer?

Winnemuth: Hamburg ist deshalb so toll zum Zurückkommen, weil die Stadt einen auch wieder ziehen lässt. Am "Tor zur Welt" ist was dran. Es gibt so viele Fluchtwege, die Elbe, den Flughafen ...

Das Tollste an Hamburg ist der schnelle Fluchtweg? Autsch!

Winnemuth: (lacht) So meine ich es ja gar nicht. Man schaut den Schiffen nach und geht innerlich mit auf die Reise. Die Stadt gibt einem die Freiheit, jederzeit loszuziehen, das lässt einen dann auch beruhigter zurückkommen.

Sie schreiben: "Ich bin fast sicher, dass ich auch Hamburg spektakulärer finden würde, wenn ich nur mal hinsehen würde." Ist Ihnen das mittlerweile geglückt?

Winnemuth: Ja, natürlich. Als ich nach einem Jahr wieder nach Hause kam, war Hamburg am Anfang wie ein 13. Reiseziel für mich. Ich habe mich der Stadt genähert wie meinen Reisezielen zuvor. Ich habe mich neu verliebt.

Schönes Stichwort. Was Sie im Buch ganz ausgelassen haben, sind Liebschaften. Ehrlich: Sie haben sich unterwegs in zwölf Monaten nicht einmal verliebt ...?

Winnemuth: Doch! Klar!

Gute Vorstellung, irgendwie: In jedem Hafen ein trauriger Bräutigam ...

Winnemuth: (lacht) Wie schön und schrecklich, wenn es so wäre! Aber mir war vorher klar, dass ich nicht wegen eines Mannes irgendwo bleibe.

Sie haben während der Reise vieles von Ihrer "ewigen To-do-Liste" gestrichen. Was ist noch drauf, was kam neu dazu?

Winnemuth: Es kommt jeden Tag etwas dazu! Das ist ja das Problem. Nein, das ist kein Problem, das ist das sogenannte Leben.

Und jetzt? Wohin geht Ihre nächste große Reise?

Winnemuth: Die beginnt am 1. Januar 2014. Wieder zwölf Monate in zwölf Städten. Nur diesmal sind es zwölf deutsche Städte, Kleinstädte. Mir ist nämlich aufgefallen, dass ich die Welt inzwischen ganz gut kenne, Deutschland aber fast gar nicht. Ich war nie in Orten, in denen jeder normale japanische Tourist schon war. Ich guck mir jetzt mal Deutschland an, wie ich mir vorher die Welt angeguckt habe.

Oh. Wuppertal statt Honolulu? Das ist ja mal eine Herausforderung.

Winnemuth: Wir werden sehen. Wenn man den Blick schärft, macht man die unglaublichsten Entdeckungen.