Klaus Humann entdeckte Harry Potter und Stephenie Meyer für Carlsen. Bis er ausstieg und einen neuen Verlag für Kinderbücher gründete.
Hamburg. Das Bild vom hoch motivierten Jungverleger ist fast perfekt: die ansteckende Begeisterung über ein Projekt, das viel mit Spaß, Überzeugung und guten Ideen zu tun hat, Zuversicht, dass es ein wirtschaftlicher Erfolg wird - und das jungenhafte Grinsen, das signalisiert, hier hat einer das Spielzeug bekommen, das er unbedingt haben wollte. Am Ideal vom Jungverleger stört nur, dass Klaus Humann den Neustart in einem Alter wagt, in dem andere ans Aufhören denken.
Er hat bereits eine Bilderbuch-Karriere hinter sich, jetzt soll die Karriere mit Bilderbüchern folgen. Humann war 15 Jahre lang Leiter des Carlsen Verlags und hat in dieser Zeit eine im deutschen Buchhandel beispiellose Erfolgsgeschichte geschrieben. Carlsen wurde unter seiner Regie zum größten Kinder- und Jugendbuchverlag im Land. Die Branche hat erst darüber gestaunt, dass Humann Ende der 90er-Jahre den Mut hatte, für Carlsen die nicht gerade preiswerten Rechte an den ersten drei Bänden der auf sieben Bücher angelegten Reihe einer unbekannten englischen Autorin über einen Zauberlehrling namens Harry Potter zu sichern. Nur wenige Jahre danach folgte mit Stephenie Meyers "Biss"-Reihe der nächste Überraschungs-Superbestseller.
Der Verlag hatte 35 Mitarbeiter, als Humann 1997 anfing, und 140, als er letztes Jahr aufhörte. Der Umsatz stieg in dieser Zeit um das Vierfache, von 26 Millionen Mark 1997 auf 53,6 Millionen Euro im Jahr 2011 - in den Jahren des "Harry Potter"- und des "Biss"-Booms war er zeitweise noch deutlich höher. Es schien, dass alles zu Gold würde, was Humann anfasste. Umso größer das Erstaunen, als er 2012 verkündete, dass er die Geschäftsführung abgeben und mit 62 Jahren noch einmal neu anfangen wolle: als Gründer des Kinder- und Bilderbuchverlages Aladin.
Seit April hat Humann mit seinem kleinen Team in der Erdmannstraße in Ottensen, etwa zehn Minuten Fußweg von Carlsen entfernt, am Premieren-Programm gearbeitet. Vorgestellt wird es auf der Leipziger Buchmesse im März. Das erste Jahr hat Humann offensichtlich beflügelt: "Wir sind nur sechs Leute, die sich aber alle fast nur mit Inhalten beschäftigen. Es ist wunderbar, wenn man den größten Teil des Tages Zeit für kreatives Arbeiten hat - das ist ein großes Privileg", sagt er und lobt die Stimmung bei Aladin: "Keiner arbeitet weniger als vorher, aber jeder erfüllter. Gute Stimmung ist eine wichtige Voraussetzung für gute Ergebnisse - insbesondere wenn du Kinderbücher machst."
Das Lachen war ihm im Großverlag zuletzt schwerer gefallen. "Es stellte sich in den letzten drei Jahren ein Unwohlsein ein, als ich merkte, dass ich immer häufiger in Konferenzen saß, zu denen ich objektiv wenig beitragen konnte. Ich war zuletzt viel mehr Verlagsmanager als Verleger. Zeit für inhaltliche Diskussionen hatte ich dagegen immer weniger."
Das Unwohlsein wuchs zur Sinnkrise: "Es kam der Punkt, an dem ich mir sagte, es sei besser, bald aufzuhören als die letzten Jahre als frustrierter Manager den Laden zu leiten. Damit hätte ich weder mir noch dem Verlag einen Gefallen getan."
Humann wünschte sich am Ende seiner Berufslaufbahn einen Job, der ein paar Nummern kleiner sei. Er sprach mit der Leitung von Bonnier, der schwedischen Verlagsholding, zu der Carlsen gehört. Zu seiner Überraschung fragten die Schweden spontan: "Was halten Sie davon, etwas Neues für uns aufzubauen?" Humann präsentierte ein Konzept, das sofort akzeptiert wurde: die Neugründung eines auf Kinder- und Jugendbücher spezialisierten Verlags - in Abgrenzung zu Carlsen, aber mit viel Rückenwind durch die große Schwester, die einiges zu Aladins Backlist beisteuert und mit ihrer Vertriebsstärke und bei den Lizenzverkäufen hilft.
Klaus Humann versteht die Entscheidung als beispielhaft für ein großes Verlagshaus, das mutig in die Zukunft investiert: "Das ist gut angelegtes Risikokapital. Im schlimmsten Fall entsteht ein interessanter Verlag, mit dem man sich schmücken kann. Unser Ziel aber lautet, dass wir nach drei Jahren schwarze Zahlen schreiben - und das werden wir auch einlösen", verspricht der Verleger, obwohl er weiß, dass der Markt schwierig ist: "Nur mit Bilderbüchern wäre es schwer, uns zu ernähren, dafür sind die Auflagen einfach zu klein. Beim Kinderbuch aber sind Überraschungen nach oben möglich." Außerdem formuliert Humann ein sehr selbstbewusstes inhaltliches Ziel: "Ich möchte, dass dieser Verlag in wenigen Jahren die erste Adresse für Autoren und Illustratoren ist."
Aladin soll keinen Trends hinterherlaufen, sondern will selbst Akzente setzen. Das Verlagsprogramm verlässt sich auf bekannte Autoren beziehungsweise Illustratoren und neu entdeckte Talente, die hier Raum zur Entwicklung bekommen sollen. Für die Zukunft kündigt Humann neue Bücher von Jutta Bauer und Philip Pullman, aber auch die Klassiker Chris van Allsburgs an. Eine griffige Marketingidee ist die handliche "Bilderbücherei": Isabel Kreitz, Katja Gehrmann, Ole Könnecke und andere namhafte Illustratoren erzählen in der Reihe exklusiv für Aladin Alltagsgeschichten - "zum unschlagbaren Preis von 8,95 Euro", so Humann.
Es scheint, als habe den Verleger das Glück bei der Programmgestaltung, das er bei Carlsen hatte, nicht verlassen: Der Agent von Maurice Sendak suchte einen Verlag, der bereit war, möglichst viele Titel des legendären Illustrators in Deutschland herauszubringen; Sendaks Stammverlag Diogenes hat nur noch "Wo die wilden Kerle wohnen" und drei weitere Longseller im Programm. Humann sicherte sich die Rechte an 28 Titeln, die Aladin in neuen Übersetzungen veröffentlichen wird. "Das war eine Herzensentscheidung für mich - und für den Verlag ein Image-Signal, das auch zur Reputation im Ausland beiträgt", sagt er.
Humann hat als Lektor bei Rowohlt begonnen, war bei Fischer für das Kinderbuch zuständig, bevor er zu Carlsen als Verleger wechselte. Bei Aladin fühlt er sich, als sei er zu seinen Wurzeln zurückgekehrt: "Dass ich jetzt quasi wieder als Lektor meine Laufbahn beende, das finde ich wunderbar und vernünftig. Ich höre ab und zu, dass Leute darüber erstaunt sind, dass ich meinen Status als Chef eines Großverlags freiwillig aufgegeben habe. Ich habe aber solch einen Zugewinn an Qualität bekommen, dass ich mich darüber wundere, dass das von anderen so viel geringer geschätzt wird."
Und was unterscheidet ihn von seinen jungen Kollegen? "Ich bin genauso neugierig, habe aber den Vorteil, dass ich noch mutiger sein kann, weil ich nichts mehr zu verlieren habe und auch schon fast alles gesehen habe - aber eben noch längst nicht alles, was sich Illustratoren und Autoren so ausdenken. Die Frage ist nicht, ob alt oder jung - ein Verleger von Kinderbüchern muss auch etwas verrückt sein. Auch Leichtsinn gehört unbedingt dazu, sollte aber nicht mit Leichtfertigkeit verwechselt werden. Ich habe nämlich ein großes Interesse daran, dass die Leute aus meinem Team auch in fünf Jahren noch hier ihren Arbeitsplatz haben."