Hamburgs Erster Bürgermeister über den Medienstandort Hamburg, den Rundfunkbeitrag und die Frage, warum er nicht selbst twittert.
Hamburg. Dass Politiker sich für Medien interessieren, ist normal - sie kommen darin vor. Ohne geht es nicht, sie brauchen sie, manchmal fürchten sie sie, manchmal benutzen sie sie. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz' Interesse geht darüber hinaus, er hat die Medienpolitik zur Chefsache erklärt und die Verantwortung dafür direkt in die Senatskanzlei geholt. Ein Gespräch über Medienkompetenz, Sinn oder Unsinn von stiftungsgefördertem Journalismus - und dem manchmal eben doch begrenzten Einfluss der Politik auf die Medienwirtschaft.
Hamburger Abendblatt: Herr Bürgermeister, bevor wir über Medienpolitik sprechen - wie sieht eigentlich Ihr privater Medienkonsum aus? Hängt Hamburgs Erster Bürgermeister auch mal einfach vor dem Fernseher und zappt?
Olaf Scholz: Wenn ich erst spät nach Hause komme, mache ich so etwas schon mal, um runterzukommen. Ich schaue gern mal fern, zum Beispiel die "NDR Talkshow", aber auch die "heute show" im ZDF. Beide Sendungen laufen parallel, deshalb sehe ich die "heute show" häufig auf dem iPad. Auch die "Tagesschau" sehe ich oft zeitversetzt.
Abendblatt: Sie nutzen also intensiv digitale Medien. Ihrem Twitter-Account ist aber zu entnehmen, dass Sie nicht selbst twittern, sondern twittern lassen.
Scholz: So ist es. Aus Zeitgründen geht es nicht anders.
Abendblatt: Warum lassen Sie es nicht, wenn es nicht wirklich zu Ihnen passt?
Scholz: Es passt ja zu mir, aber nicht zu meinem Zeitbudget. Meine Follower bei Twitter verstehen das. Ich lese übrigens nach wie vor Zeitschriften und Zeitungen - und zwar komplett, weil man dabei auf interessante Artikel stößt, die man nicht gesucht hat. Das passiert im Netz viel seltener, weil man hier Informationen meist aufgrund der eigenen Präferenzen oder Vorurteile präsentiert bekommt.
Abendblatt: Sie haben die Medien zur Chefsache erklärt. Woher rührt Ihre Affinität für diese Branche?
Scholz: Hamburg ist eine Medienstadt, die über eine sehr große Bandbreite verfügt. Alles, was mit Medien zu tun hat, ist hier prominent vertreten: das Buch, Zeitschriften und Zeitungen, Fernsehen, Radio und Film ebenso wie Werbewirtschaft, IT, Social Media, Games und E-Commerce. Wegen des Hafens ist Hamburg eine Stadt, in der schon immer Informationen ausgetauscht worden sind. Deshalb ist hier eine besonders fruchtbare Medienlandschaft entstanden, um die ich mich als Landespolitiker kümmern muss. Medienpolitik ist ja zu einem erheblichen Teil Ländersache.
Abendblatt: Wie sieht nach knapp zwei Jahren Ihre Bilanz als oberster Hamburger Medienpolitiker aus?
Scholz: Wir wollen ein Milieu schaffen, in dem sich Medien wohlfühlen. Deshalb haben wir große Veranstaltungen der Branche nach Hamburg geholt, in diesem Jahr zum Beispiel das ADC-Festival. Wir wollen außerdem dafür sorgen, dass die zentralen Fragen der Medienpolitik in Hamburg diskutiert werden und dass die Medien ihre bedeutende Rolle für die Demokratie in unserem Lande wahrnehmen können. Es sollte beispielsweise ein Schutzrecht für Presseverleger geben, das dem Urheberrecht folgt. Und wir denken darüber nach, wie Medien mit dem, was sie anbieten, Geld verdienen können. Mit einer Kostenlos-Mentalität kommen wir nicht weiter. Wenn wir stabile und für die Demokratie unverzichtbare Medien haben wollen, sind wir auch für ihr wirtschaftliches Überleben verantwortlich.
Abendblatt: Was können Sie dafür tun?
Scholz: Unternehmerische Intelligenz können wir nicht ersetzen. Von der Politik kann man erwarten, dass sie auf der Höhe der Zeit ist, dass sie hilft, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, in dem sich neue Geschäftsmodelle entwickeln können.
Abendblatt: Ihr Parteifreund Marc Jan Eumann, für Medien verantwortlicher Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen, glaubt offenbar, dass mehr möglich ist. Er entwickelt ein Stiftungsmodell, mit dem er journalistischen Medien unter die Arme greifen will.
Scholz: Ich bin da sehr skeptisch. Das Stiftungsmodell bedeutet ja zumindest teilweise eine Abkehr von der Idee, dass man mit Medien Geld verdienen kann. Der Journalismus darf am Ende nicht am Tropf des Staates hängen.
Abendblatt: In den USA funktionieren private Journalismus-Stiftungen wie die vom ehemaligen "Wall Street Journal"-Chefredakteur Paul Steiger geleitete Pro Publica.
Scholz: Ich habe nichts gegen private Stifter. Aber wenn der Journalismus strukturell und überwiegend auf Sponsoring angewiesen ist, werden Sponsoren die Richtung bestimmen.
Abendblatt: Sie haben vorhin das Leistungsschutzrecht erwähnt. Den Gesetzesentwurf der Bundesregierung dazu lehnen Sie aber ab.
Scholz: Er ist aus meiner Sicht nicht gelungen, weil er zu sehr auf ein bestimmtes Unternehmen zugeschnitten ist.
Abendblatt: Sie meinen Google, das auf Google News Zeitungsartikel kurz anreißt, auf sie verlinkt und dafür künftig eine Gebühr an die Verlage zahlen soll.
Scholz: Alle, die Inhalte anbieten, wollen, dass man sie im Internet findet. Deshalb kann ein Service, der allein das Gefundenwerden erleichtert, kein Fall für das Leistungsrechtsschutzrecht sein. Wenn die verlegerische Leistung berührt wird, weil Anbieter Inhalte so wiedergeben, dass man auf das Originalprodukt verzichten kann, sieht es anders aus. Dann muss ein Schutzrecht den Verlegern beiseitestehen.
Abendblatt: Der schwärzeste Tag in Ihrer Zeit als "Mediensenator" war vermutlich Ende November, als Sie erfahren haben, dass Gruner + Jahr seine Sparte Wirtschaftsmedien schließt. Mehr als 300 Mitarbeiter werden ihren Arbeitsplatz verlieren. Die "Financial Times Deutschland" wurde eingestellt.
Scholz: Das war keine gute Nachricht. Allerdings haben wir davon nicht aus den Medien erfahren. Alle Beteiligten standen in persönlichem Kontakt zu mir und meinen Mitarbeitern.
Abendblatt: Werden Zeitungen eingestellt oder wandern ab, sind Sie machtlos.
Scholz: Der Staat hat nicht zu entscheiden, wo wer welche Medien mit welchem Inhalt herausgibt. Er kann aber helfen, dass Medienunternehmen ein attraktives Umfeld vorfinden. Mein Eindruck ist, dass die meisten in der Hamburger Medienbranche die Stadt als guten Standort ansehen. Es war zu erwarten, dass nach der Wiedervereinigung einige Unternehmen in die neue Hauptstadt abwandern würden. Mittlerweile haben sich die Dinge zurechtgerüttelt. Am Medienstandort Hamburg ist eine neue Expansion möglich - sichtbar etwa am Management-Buy-out, das das Fortbestehen des Wirtschaftsmagazins "Impulse" ermöglicht hat.
Abendblatt: Hamburg hat sich als einziges Bundesland der Verfassungsklage von Rheinland-Pfalz gegen die Zusammensetzung des von Politikern beherrschten ZDF-Verwaltungsrates angeschlossen, warum?
Scholz: Aus innerer Überzeugung. Ich habe mich mit der Verfassungsklage des Landes Rheinland-Pfalz schon beschäftigt, als ich noch nicht Bürgermeister war und sie damals schon richtig gefunden. Es geht nicht darum, die Politik aus den Gremien herauszuholen, sondern eine bessere Relation herzustellen, damit die Unabhängigkeit des öffentlichen Rundfunks und Fernsehens gewahrt bleibt.
Abendblatt: Der ehemalige ZDF-Chefredakteur, Nikolaus Brender, plädiert für einen Komplettrückzug der Politik.
Scholz: Das halte ich für falsch. Die Politik gehört zur Öffentlichkeit, zur Demokratie. Sie repräsentiert die Bürger, gewählt durch freie Wahlen.
Abendblatt: Die ist auch auf anderem Gebiet gefragt: Die neue Rundfunkgebühr, die jetzt Rundfunkbeitrag heißt und die jeder entrichten muss, halten manche für eine Steuer.
Scholz: Sie ist definitiv keine Steuer. Es gibt ein lesenswertes Gutachten des Verfassungsrechtlers Paul Kirchhof, der nicht nur sagt, dass der Beitrag verfassungsrechtlich zulässig ist. Er weist auch nach, dass die bisherige geräteabhängige Gebühr nicht mehr lange zulässig gewesen wäre. Hörfunk und Fernsehen können auf jedem Smartphone oder PC empfangen werden. Ob in zehn Jahren überhaupt noch jemand einen Fernseher haben wird, weiß kein Mensch. Dann brauchen wir eine Gebühr, die einen leistungsfähigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch in Zukunft sichert. Uns war wichtig, dass die neue Gebühr nicht zu Mehreinnahmen führt. Deshalb ist entschieden worden, zwei Jahre lang auf Gebührenerhöhungen zu verzichten.
Abendblatt: Das von Ihnen erwähnte Kirchhof-Gutachten hat vorgesehen, dass ARD und ZDF auf Werbung verzichten. Warum haben Sie diesen Teil nicht umgesetzt?
Scholz: Der Verzicht auf Werbung hätte zu einem höheren Beitrag geführt.
Abendblatt: Nun wird der Rundfunkbeitrag nicht nur für kulturell und politisch wertvolle Programme ausgegeben, sondern auch für exorbitant teure Sportrechte. Wird jetzt gewissermaßen jeder Bürger gezwungen, die hohen Gehälter von Fußballprofis mitzufinanzieren?
Scholz: Die Idee, dass nur private Anbieter Sportrechte kaufen dürfen, hielte ich für falsch.
Abendblatt: Tatsächlich ist es genau umgekehrt: Die einzig attraktiven Sportrechte, die die Privaten noch haben, sind ein paar Boxkämpfe und die Formel 1. Alles andere ist bei ARD und ZDF.
Scholz: Das ist alles eine Frage von Maß und Mitte. Aber ich glaube, es wäre keine gute Idee zu sagen, dass Sport nicht mehr im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen werden soll.
Abendblatt: Warum ist der Pay-TV-Sender Sky in der Lage, den exakten Betrag zu publizieren, den ihn die Fußballbundesliga kostet, während ARD und ZDF nicht offenbaren wollen, was sie für ihre gebührenfinanzierten Sportrechte zahlen?
Scholz: Eine völlig berechtigte Frage. Man muss mit der Transparenz schrittweise vorankommen.
Abendblatt: Gibt es eigentlich Momente, in denen der Hamburger Bürgermeister bewusst nicht erreichbar ist?
Scholz: (nach langem Schweigen) Nein. Aber ich kann organisieren, dass mich nicht jeder erreichen kann.
In einen Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ äußerte sich Scholz zudem zur Bundestagswahl: „32 oder 33 Prozent für die SPD und es gibt einen neuen Kanzler“, so Scholz.
Er sei sich sicher, dass die SPD eine gute Chance habe, ein Ergebnis oberhalb der 30 Prozent zu erreichen. Dann werde man stark genug sein, um mit den Grünen eine Regierung zu bilden.
Während die SPD derzeit in Umfragen unter 30 Prozent liegt, kommen die Grünen auf etwa 15 Prozent. Für eine Bundestagsmehrheit und eine Kanzlerschaft Peer Steinbrücks könnten unter Umständen auch 47 oder 48 Prozent reichen.