In Japan ist es die Buchsensation, in Deutschland hält es sich seit Monaten in den Bestsellerlisten. Mit “Blackout“ hat der Ex-Hamburger Marc Elsberg das Buch zur Energiewende geschrieben
An einem Tag im Dezember 2011 wäre es fast so weit gewesen, an einem Februartag 2012 und dann noch einmal im April. Das deutsche Stromnetz, nach der 180-Grad-Energiewende einer ganz großen Koalition schwer beansprucht, geriet laut Bundesnetzagentur in eine "sehr ernste Lage" - Noteingriffe mussten die Stromversorgung sicherstellen. Insgesamt griffen die deutschen Netzbetreiber im vergangenen Jahr rund 1000-mal stabilisierend ein, zwei Jahre zuvor waren es lediglich 290 Eingriffe. So gelang es, einen "Blackout" zu verhindern. Was es aber heißt, wenn in unserer technikfixierten und komplexen Gesellschaft der zentrale Treibstoff Strom plötzlich für einige Stunden ausfällt, bekamen halb Westeuropa 2006 und ganz München am 15. November 2012 zu spüren.
Der Österreicher Marcus Rafelsberger alias Marc Elsberg hat das Undenkbare weitergedacht und daraus ein 800-Seiten-Buch gemacht - den Thriller "Blackout". Vor einem Jahr kam es auf den Markt: 130.000 Exemplare - ein Achtel davon als elektronisches Buch - sind inzwischen auf Deutsch verkauft. Der Thriller wurde ins Japanische, Italienische und Niederländische übersetzt, Ausgaben in China und der Türkei sind geplant, die Filmrechte verkauft. Erfolgreicher noch als in Deutschland ist Elsberg nur in einem Land, das einen Blackout am eigenen Leib erfahren hat: dem von Tsunami und Super-GAU geplagten Japan.
Interessanterweise sind es weniger die Feuilletons, die das Buch diskutieren, als vielmehr Wissenschafts- und Wirtschaftsexperten. Das Magazin "Bild der Wissenschaft" kürte "Blackout" zum "spannendsten Wissensbuch des Jahres 2012". Der Chef der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, adelte den gebürtigen Wiener mit einer Einladung ins eigene Haus und diskutierte mehrfach mit dem Autor. Im März wird Elsberg auf Einladung des Innenministeriums auf der Cebit lesen und diskutieren. Für einen Thriller-Autor, der nicht Naturwissenschaft, sondern an der Universität für Angewandte Kunst in Wien studierte, sind das ungewohnte Orte und Empfehlungen. "Ich bin immer noch extrem überrascht von den Reaktionen beispielsweise der großen Versorger", sagt der 46-Jährige bei einem Caffè Latte im "Einstein" vor seiner Lesung in Berlin.
Er ist ein bescheidener, unprätentiöser Schriftsteller, kein Mann für schrille Talkshows oder eitle Homestorys. "Das Buch scheint in Fachkreisen große Wellen geschlagen zu haben." Kritik hingegen gab es zunächst von Vertretern erneuerbarer Energien, die "mich für einen Büttel der etablierten Versorger" hielten. "Das war wohl eher ein Reflex von Leuten, die das Buch nicht gelesen haben." Elsberg ist kein Katastrophenprediger, sondern macht klar: "Ich bin für die deutsche Energiewende, das ist eine großartige Sache." Er selbst sei im Österreich der 70er-Jahre sozialisiert worden, dem Land, das damals auf Atomkraft bewusst verzichtet hatte. "Ich bin ein bekennender Gegner dieser Technologie."
Ironischerweise profitiert er aber von der deutschen Debatte um den Atomausstieg. Seit dem Abschalten von Altmeilern nach dem Unfall in Fukushima diskutiert Deutschland das Thema Versorgungssicherheit. Sein Timing, er war nach mehreren Jahren der Recherche im März 2011 fast fertig, hätte nicht besser sein können. Elsbergs Buch lenkt den Blick auf die Folgen eines massiven Blackouts. Terroristen hacken intelligente Stromzähler und lassen damit die Lichter ausgehen. Weil die unbekannten Täter zugleich Steuerungssoftware verändern ließen, scheitert das Hochfahren der Kraftwerke - ganz Europa sitzt an einem kalten Februartag plötzlich im Dunkeln. Einem italienischen Hacker fällt die Manipulation als Erstem auf - er versucht, den Terroristen das Handwerk zu legen. Wie in jedem guten Thriller muss er Widerstände überwinden, mächtigen Feinden entgegentreten, um sein Leben kämpfen. Packender noch als mehrere ineinander verwobene Handlungsfäden ist die Kulisse eines verfallenden Kontinents.
Elsberg nimmt den Leser mit auf eine Reise in ein Europa, in dem plötzlich nichts mehr funktioniert. An Tankstellen lässt sich kein Benzin mehr zapfen, Toilettenspülungen und Duschen versagen, die Städte tauchen ins Dunkel. Die landwirtschaftlichen Betriebe können nicht mehr produzieren, weil Kühe nicht mehr gemolken und Ställe nicht mehr beheizt werden, die Versorgung mit Lebensmitteln und Bargeld bricht zusammen, weil alle Lieferketten gesprengt sind. Kommunikationsnetze kollabieren, die Börsen crashen, in den Krankenhäusern regiert das Chaos. Nach wenigen Tagen fehlen Medikamente, breiten sich Seuchen aus. Und weil Kühlsysteme ausfallen, havarieren Atomkraftwerke. Es ist ein Bild, das in seiner Endzeitlichkeit an Hieronymus Bosch erinnert.
Und nicht weit hergeholt ist. Zu ähnlichen Prognosen für den Ernstfall kommt die Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung des Deutschen Bundestags "Was bei einem Blackout geschieht: Folgen eines langandauernden und großflächigen Stromausfalls." (Edition Sigma, 24,90 Euro).
"Die Auswirkungen eines Stromausfalls hat Herr Elsberg gut recherchiert. Ich habe das Buch zum Anlass genommen, um meinen Mitarbeitern Fragen zur Sicherheit unserer Stromnetze zu stellen", sagte der Chef der Netzagentur Homann kürzlich der "Zeit". "Dass Kraftwerke mit einer Software gesteuert werden, die angreifbar ist, hielt ich zunächst für reine Fiktion - da wurde ich eines Besseren belehrt."
Zwischen Alltag und Anarchie liegen im Buch nur wenige Tage. Den Verfall des zivilisierten Zusammenlebens beschreibt Elsberg nüchtern. Auf die Idee des Stromausfalls kam er, als er einen Bericht "über die Produktion einer elektrischen Zahnbürste" las, bei der alle Einzelteile just in time geliefert werden. "Da ist mir bewusst geworden, wie vernetzt unsere Welt ist. Und ich habe mit die Frage gestellt, was passiert eigentlich, wenn diese Kette reißt." Die moderne Gesellschaft ist sehr komfortabel, das mache sie zugleich besonders anfällig. "Wir leben heute besser als der Kaiser vor 100 Jahren", sagt Elsberg. "Dadurch sind wir in Mitteleuropa extrem abhängig vom Strom. Unser Leben ist voll elektrifiziert. Es macht einen großen Unterschied, ob 600 Millionen Inder ohne Strom sind - oder 600 Millionen Europäer."
Elsberg ist kein lauter Mahner und Warner, der mit Horrorszenarien sein Buch vermarkten will. "Ich habe nur wenig Angst vor einem ganz großen Blackout wie in meinem Buch", sagt der Österreicher. Zwar mag das Risiko durch den Umbau der Energieversorgung in Deutschland gestiegen sein, insgesamt sei Deutschland aber auf Eventualitäten zumindest besser vorbereitet als viele andere Staaten, wenn auch bei Weitem nicht ausreichend. Er fürchtet nicht, dass nach zwei Tagen Stromausfall die Straßen brennen. Um sich in eine solche Situation hineinzuversetzen, hatte er intensiv Berichte aus Krisenregionen - etwa New Orleans nach dem Hurrikan "Katrina" - studiert und ältere Verwandte nach ihren Kriegserlebnissen befragt.
"Die Leute helfen sich, bis die Kühlschränke leer sind", sagt Elsberg. So ist es auch im Buch - doch als die Nahrungsmittel erschöpft sind, wendet sich Solidarität in Überlebenskampf. Das Buch hat auch den Autor verändert - bei allem Vertrauen in die Energieversorgung: "Ich habe ein paar Vorräte mehr im Haus, und der Autotank ist meistens voll." Im Ernstfall werde er Wien wahrscheinlich verlassen.
Elsbergs Ziel ist es, Wissenschaft und Unterhaltung zu verbinden - da erinnert das Buch an den Bestseller "Der Schwarm" von Frank Schätzing. Und noch etwas eint Elsberg mit dem Kölner Schätzing: Beide waren vor ihrer Schriftstellerkarriere in einer Agentur tätig. Sind Werber die besseren Schriftsteller? Elsberg zögert: "Was man dort lernt, ist pragmatisch und viel zu arbeiten, vor allem alles immer wieder zu überarbeiten. Werbung lehrt, eine Geschichte für ein bestimmtes Publikum zu schreiben und gezielt Emotionen einzusetzen." Zugleich schränkt der 46-Jährige aber ein: "Was man als Werber nicht lernt, ist, einen langen Spannungsbogen zu halten. Das muss man sich woanders beibringen."
Sein alter Job war es auch, der den Österreicher 1995 an die Elbe führte. "Hamburg war damals das Mekka der deutschsprachigen Werbung - diese klassische Werbung gibt es kaum noch." Er heuerte bei der Agentur Baader, Lang, Behnken an, wo einer seiner Vorgänger Stefan Kolle war, der sich mit Kolle Rebbe selbstständig machte. "Ich hatte damals mein Büro am England-Fährterminal und habe fasziniert auf die Containerschiffe gestarrt", erinnert sich Elsberg. "In der Mittagspause sind wir immer runter an die Strandperle. Im ersten Sommer war ich so braun gebrannt, dass mich Bekannte in Wien mehrfach fragten, ob ich aus der Karibik käme." Dabei war sein erster Hamburg-Eindruck desillusionierend. "Bis dahin dachte ich, Hamburg läge am Meer. Wir waren so enttäuscht, dass wir fast wieder weggezogen wären." Er blieb mit seiner Frau bis 2003. "Wir haben die Stadt geliebt". Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätten an der Elbe Wurzeln geschlagen. "Wir mussten damals entscheiden, dauerhaft zu bleiben, nach Berlin oder zurück nach Wien zu ziehen." Freunde, Familie und die "ungeheure kulturelle Vielfalt" sprachen am Ende für Österreich.
Doch Hamburg hat Elsberg in Romanform verewigt. In seiner Zeit in der Hansestadt schrieb er unter seinem bürgerlichen Namen Rafelsberger seine ersten beiden Romane: Den Hamburg-Krimi "Das Prinzip Terz" (2004) und die Politsatire "Saubermann" (2000).
Der Hansestadt ist er verbunden geblieben - er arbeitet weiterhin gelegentlich für eine Agentur für Finanzmarktkommunikation mit Büros in Hamburg und Wien. Allerdings haben sich die Gewichte verschoben. "Seit 'Blackout' gehöre ich zu den "privilegierten Menschen, die in Ruhe an einem Buch schreiben können". Sein nächstes Werk werde wieder an ein "Thriller zu einem aktuellen Thema, das alle betrifft" Man könne von den Erlösen leben, aber auch als Bestsellerautor werde man nicht gleich Millionär, sagt Elsberg. Genauer mag er sich nicht äußern. Aber zuvor hat er verraten, was er noch an Hamburg schätzt - die "angenehme Art des Understatements".
Der Autor und sein Bestseller: Marc Elsberg, "Blackout. Morgen ist es zu spät", 800 Seiten, Verlag Blanvalet, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-7645-0445-8