Ein kunterbunt garnierter Programmteller: Die glamouröse Netrebko-Schrott-Gala in der Laeiszhalle erfüllt die Erwartungen der Fan-Gemeinde.
Hamburg. Von einem der 375-Euro-Plätze in den ersten acht Laeiszhallen-Reihen, der "Gold Circle"-Preisklasse, hatte man nicht nur einen guten Blick auf die Bühne. Man konnte auch die Reaktionen im ersten Rang studieren. Nach der "Don Giovanni"-Ouvertüre (bei der den dazugebuchten Hamburger Symphonikern etliche Töne durchrutschten, die Mozart so garantiert nicht in seine Partitur geschrieben hatte), nach dem Kusswalzer "Il bacio" (mit dem die russische Donna Anna zur ersten Abendkleid-Besichtigung über die Bühne promenierte) und nach Leporellos Register-Arie (die Erwin Schrott nach der bewährten Udo-Lindenberg-Devise "Hau rein, is Tango" vor allem im selbstherrlichen Dröhnen versenkte und damit seinen tollen Eindruck in dieser Rolle bei den Salzburger Festspielen trübte) - nach so viel Vorspielereien im Hauptprogramm also kam, endlich, der erste anrührende Konzert-Moment.
Da wurde klar, dass auf dem kunterbunt garnierten Programmteller von Anna Netrebko und ihrem Bassbariton-Gatten aus Uruguay auch echte, aufrichtige Kunst lag und nicht nur großes Showgewese, bei dem selbst der Geschmeidelieferant noch als Oberflächenveredler im Programmheft erwähnt wird. Denn als Netrebko silbrig-sanft ihr "Io son l'umile ancella" aus "Adriana Lecouvreur" sang und sich das Zuliefer-Orchester am Riemen riss, war da auf einmal dieses selige Lächeln auf dem Gesicht einer jungen Frau dort oben, im Halbdunkel des Saals, zu sehen. Jemand sang nur für sie, sagte ihr Blick. Passiert einem ja auch nicht jeden Tag. Hier und jetzt war sie glücklich deswegen. Warum genau, blieb natürlich ihr Geheimnis; wie Netrebko das gelang, war unüberhörbar. Sie ist als Interpretin gereift, kann gut unterscheiden zwischen diesem halbseidenen Blingbling-Belcanto, das sich schnell mal eben im Rampenlicht abliefern lässt, und echter Dramatik, die aus musikalischen Phrasen mehr als flotte Lippen-Bekenntnisse macht.
Schrott dagegen war stimmlich noch eher auf die Ausmaße des Hamburger Derbyparks eingestellt. Dort hätte diese Familienfeier mit Gesang im letzten Jahr ursprünglich stattfinden sollen, mit Jonas Kaufmann als Bonus-Tenor auch fürs Auge. Es kam anders, das Konzert wurde verschoben. Kaufmann kam dafür nicht mehr, also dachte sich Schrott offenbar, er müsse hier nun für zwei singen. Seinem Image als Latino-Womanizer, der von links nach rechts panthert und verschmitzt in die erste Reihe grinst, schmeichelte das Posen und Poltern im gut sitzenden Anzug, dem Repertoire nur bedingt. Viel hilft eben nicht immer viel.
Als Netrebko vor gut drei Jahren mit Bryn Terfel in der Laeiszhalle Hof hielt, hatte sie einen Partner auf musikalischer Augenhöhe an ihrer Seite, einen stilvollendeten Gentleman im Rampensau-Format, der zum Niederknien sang. Schrott muss in dieser Hinsicht seine Hausaufgaben noch etwas gründlicher machen; seine Version des Mephisto-Rondos aus Gounods "Faust" war, verglichen mit dem Meister-Singer aus Wales, nur ein überdrehtes Spielzeugteufelchen.
Die anschließenden Buffo-Szenen aus Donizettis "L'elisir d'amore", in denen zwei Wodkaflaschen als Spirituosen-Doubles - ein Spielverderber, der hier, ausgerechnet hier an Produktplatzierung dächte - für den schmissig besungenen Liebestrank herhielten, waren nett bis niedlich einstudiert, doch das Lächeln im ersten Rang war genau deswegen schon wieder verschwunden.
Pause und Kaltgetränke in den Foyers, danach ein neues Abendkleid am Star des Abends und neues Glück, weil ganz andere Klangfarben. Die Schmuse-Abteilung wurde offiziell eröffnet, mit dem "Lippen schweigen"-Duett aus der "Lustigen Witwe", bei dem schon nach den ersten Tönen kollektives Mitsummen im Parkett zu vernehmen war, weil es doch gerade so schön war.
Der Ehemann war in diesem Teil des Programms voll und ganz damit beschäftigt, sich in aufgebrezelter Tango-Tristesse zu gefallen und seinem Akkordeonisten bei dessen Weltschmerz-Soli solidarisch eine Hand auf die Schulter zu legen. Echte Männer unter sich eben, die, wenn überhaupt, dann nur nach innen weinen. Umso besser für die Gattin.
Netrebko hatte mit "O mio babbino caro" noch einen weiteren Tränchendrücker-Klassiker aus der Bravourarien-Bonbonniere auf ihrem Programm, bevor sie Rusalkas "Lied an den Mond" präsentierte. Das war dann, wirklich und ehrlich und ganz ohne doppelten Boden, allerliebst. Und das Lächeln im Balkon? War für die Dauer einer Dvorak-Arie wieder da.
Nach einem letzten Vokal-Tango vor der dreiteiligen Zugabenrunde musste es natürlich ein Duett mit Happy End sein: Das Ehepaar hatte sich für "Bess, You Is My Woman Now" aus Gershwins "Porgy and Bess" entschieden. Eine gute Wahl wäre das gewesen, hätten die beiden bedacht, dass man den Blues zwar haben, aber nur schwer hörbar machen kann, wenn jede Note passgenau und blitzblank gesungen wird. Schade drum.
Weil ihr Erwin gerade einen Lauf hatte, überließ die Gattin ihm zwei der drei Zugaben nach dem begeisterten Schlussapplaus. Nur die erste, die gehörte ihr: "Heia, heia! In den Bergen ist mein Heimatland" aus der "Cszárdásfürstin".
Operette geht immer, erst recht mit Ausdruckstanz, Drehungen und Füßestampfen. Die junge Frau im Balkon war da schon verschwunden. Vielleicht wollte sie sich den Zauber ihrer ganz persönlichen Momente nicht zerklatschen lassen.