Der Thalia-Jungschauspieler Julian Greis erhält am Sonntag den mit 10.000 Euro dotierten Boy-Gobert-Preis der Koerber-Stiftung.

Hamburg. Bei Preisbegründungen fallen ja gerne mal die üblichen Vokabeln. Von Ausnahmetalenten und fantastischen Arbeitshöhepunkten. Bei Julian Greis, der am 2. Dezember den diesjährigen Boy-Gobert-Preis der Koerber-Stiftung im Thalia-Theater erhält, liest sich das so: "Julian Greis ist ein aufrechter Spieler, fair, freundlich und in seiner Sensibilität sehr besonders. Es gibt so viele 'coole' junge Männer um die 30 auf deutschen Bühnen, die alles Mögliche locker aus dem Ärmel schütteln. Er ist nicht so."

Nein, ist er nicht. Julian Greis ist auf wohltuende Weise uncool. Eher ein Spieler der Zwischentöne. Das zeigt sich auch in seinen auf den ersten Blick oft merkwürdigen Rollen. Er war ein Champignon in "Alice im Wunderland", auch mal die Kammerzofe Phoebe in Shakespeares "Wie es euch gefällt", die schöne Helena in "Atropa" oder auch mal ein Zimmer in "Insektarium". Auf der Schauspielschule sagte ihm eine Regisseurin, er habe so etwas "Wesenhaftes" und falle deshalb aus den üblichen Rollenregistern heraus. Greis verzieht das Gesicht. "Ich bin ja nicht gerade androgyn, eher recht groß, aber irgendwie ist da wohl eine Weichheit, die das konterkariert."

Angesichts der Wortwahl der Jury muss aber auch Greis schmunzeln. "Na ja, ich hoffe, dass ich nicht nur der Nette mit den freundlichen Figuren bin", sagt er. "Aber da steckt schon viel Wahres drin. Zum Beispiel, dass ich meine Figuren verteidige und sie nicht aus der Hüfte schieße. Ich habe auch schon andere Rollen gespielt, den Geldverleiher Kapturak im 'Radetzkymarsch' am Schauspielhaus Graz oder den Idioten Karl im 'Woyzeck' am Thalia zum Beispiel."

Sagt's und lächelt dieses sehr ungekünstelte Lächeln unter den vorwitzig sich kräuselnden Blondlocken. Ein Türöffner. Auch am Theater. Zuerst bei Intendantin Anna Badora, die den noch Studierenden an der staatlichen Schauspielschule Stuttgart entdeckte und 2006 ans Schauspielhaus Graz verpflichtete. "Ich war da sehr glücklich und konnte viel spielen", so Greis. Später dann bei Joachim Lux, den Greis nach Graz einlud und der ihn 2009 prompt ans Thalia engagierte, wo er seither in Inszenierungen wie "Merlin oder Das wüste Land" oder "Der zerbrochne Krug" glänzte. Greis ist der 32. Preisträger, der als junger, herausragender Schauspieler an einer Hamburger Bühne mithilfe der dotierten 10 000 Euro einen Karriereschub erfahren soll. So wie vor ihm Ulrich Tukur, Martin Wuttke oder Fritzi Haberlandt. Nun arbeitet Greis fieberhaft an dem Bühnenprogramm, das die Preisträger traditionell ausrichten.

Die von der Jury lobend hervorgehobene Rolle des Parzival in Tankred Dorsts voluminösem "Merlin oder Das weite Land" begleitet ihn schon länger. 2006 erhielt er für seine Darstellung bereits eine Auszeichnung beim Schauspielschultreffen in München. Damals hat er eher die kindliche Seite bedient. Diesmal, in Antú Romero Nunes' viel gelobter Thalia-Produktion, lag der Fokus eher auf dem Gottsucher.

Noch immer schwärmt er von Tom Lanoyes Kriegsparabel "Atropa". Die Produktion in der Gaußstraße lief leider nicht sehr erfolgreich, dabei war es eine Freude, den vier Jungdarstellern dabei zuzusehen, wie sie zunächst als Schauspielerpersönlichkeiten agierten und anschließend in ihre Rollen traten. Und Julian Greis war als Helena eine kämpferische Außenseiterin mit wild geschüttelter Perücke. Die Distanz zwischen Darsteller und Figur offenzulegen behagt ihm genauso wie die durchinszenierten Formen, die Jette Steckel oder Bastian Kraft bevorzugen.

Das Spielen war ihm stets eine innere Notwendigkeit. "Ich war ein lautes Kind", sagt Julian Greis. Regelmäßig lud er die Nachbarskinder zu Zirkusvorstellungen ein. Sieht sich aber nicht als Clown, eher als Geschichtenerzähler. So wie sein Großvater. Seine Eltern sind beide Lehrer für Gehörlose. Um mit seiner gehörlosen Tante zu kommunizieren, erlernte auch Greis die Gebärdensprache. "Ruhrpott" ist eine weitere Sprache, die er beherrscht. Denn da kommt er her. Aus Hattingen. Mehr durch Zufall landete Greis, Jahrgang 1983, am jungen Schauspielhaus in Bochum. Dort reifte die Erkenntnis, dass das einfach sein Beruf sein musste.

Am Thalia-Theater fühlt er sich heute gut aufgehoben. Seine Texte lernt er am liebsten beim Spülen. Zu Hause, in der Nähe der Ottenser Probebühne. Privat ist er nicht der große Kiezgänger. Eher einer, der gerne liest und kocht und sich mit Freunden trifft. Auch das klingt sympathisch. Bloß immer die netten oder tollpatschigen Zeitgenossen mimen, möchte er nicht. Lieber mal einen Marat. Im Weihnachtsmärchen "Geisterritter" gibt er gerade mit William Longspee erstmals einen heroischen Helden. Eine Rolle, in die er sich erst einfinden musste. Der Preis nehme einem die Unsicherheiten, die einen als Künstler ständig begleiten, so Greis. Auf ihn warten noch viele Gelegenheiten, zu zeigen, was er kann.

Verleihung des Boy-Gobert-Preises 2012 So 2.12., 11.00, Thalia-Theater (U/S Jungfernstieg), Alstertor, Anmeldung: www.koerber-stiftung.de