Das Reeperbahn-Festival bietet 290 gute Gründe für einen Kiezbummel
Oh, es macht Spaß, sich auf das Reeperbahn-Festival 2012 vorzubereiten, auch wenn viel Zeit investiert werden muss: 290 Bands drängen sich vom 20. bis zum 22. September um mehr als 30 Clubs und Bühnen. Auf der Webseite des Festivals werden sie alle vorgestellt, die Homepage-eigene "Musicbox" und der Kanal auf dem Internet-Streamingportal Spotify liefern Seh- und Hörproben, und mit der Festival-App für das Smartphone kann man sein eigenes Programm zusammenstellen.
Und, oh, es macht Spaß zu erleben, wie sich die ganze Vorbereitung in Wohlgefallen auflöst, sobald die italienische Folk-Band Moustache Prawn am Festival-Donnerstag (16.30 Uhr) die ersten Töne auf der Westbühne des Spielbudenplatzes anschlägt. Denn bereits ein Einlass-Stopp im gewohnt rappelvollen Molotow, in dem am Donnerstag (22.45 Uhr) die hörenswerten Londoner Schwestern Colette und Hannah Thurlow alias 2:54 auftreten, erfordert Alternativen. Ins Schmidts Tivoli zu Lena Meyer-Landrut (23.30 Uhr), die das erste Album ihrer Post-Raab-Ära live vorstellen will? In die Kiez-Filiale der Haspa zur Schweizer Indie-Pop-Hoffnung The Bianca Story (22.15 Uhr)? Ins Docks zu den durchgeknallten Disco-Zerstörern Kakkmaddafakka (23.45 Uhr)? Wo man auch hingeht, irgendwo lauscht man doch wieder in einen Club, der auf dem Weg liegt, und bleibt hängen.
Der vorgemerkte Geheimtipp entpuppt sich als Flop. Ein Spontanabstecher wird zu einem Konzert des Jahres. Und angesichts der Fülle der Möglichkeiten erlebt keiner der Gäste und der wieder zahlreich anreisenden Vertreter der internationalen Pop-Branche, die sich auf dem "Campus" austauschen, das Reeperbahn-Festival in gleicher Weise. Das ist die Faszination des Kiez-Marathons: Schatzsuchen und Perlentauchen im Pop von Morgen. Den Grund aufwühlen. Und es gibt 290 gute Gründe dafür, auch weil die nachmittäglichen und abendlichen Showcases mit Länderschwerpunkten wie Italien, Niederlande und Kanada, Estland und Lettland, Israel und Südostasien in diesem Jahr für alle Festivalgäste offen sind. Sogar Luxemburg schickt am Freitag vier Bands in den Kaiserkeller, die zwischen Electro-Pop (Monophona, 20 Uhr) und Indie-Rock (Plankton Waves, 22.30 Uhr) pendeln.
Und doch werden sich, das liegt in der Natur der Sache, wieder viele Reeperbahn-Bummler bei den bekannten Namen versammeln. Schließlich ist der Auftritt von Rap-Panda Cro am Festival-Sonnabend im Docks (0.30 Uhr) die einzige kleine Chance, den Durchstarter zu Gesicht zu bekommen - die drei Konzerte im Januar an gleicher Stelle sind längst ausverkauft. Auch bei Bonaparte (Freitag, 0.30 Uhr, Freiheit) und Jupiter Jones (Freitag, 20.30 Uhr, Molotow und Sonnabend, 22.55 Uhr, Fliegende Bauten) wird es wohl oder übel lange Schlangen geben.
Auf der anderen Seite der Nahrungskette ist aber noch viel mehr zu entdecken: Das charmante US-Surf-Pop-Duo Best Coast (Freitag, 22.20 Uhr, Gruenspan), die britische Neo-Pop-Chanteuse Foxes (Sonnabend, 22.05 Uhr, Café Keese) und die Französin Mina Tindle (Donnerstag, 20.30 Uhr), der norwegische Lyrik-Ausroller Einar Stray (Sonnabend, 22.50 Uhr, St.-Pauli-Kirche) oder die Hamburger Audiolith-Electro-Rapper Neonschwarz (Freitag, 23.30 Uhr, Moondoo). Und nach den letzten Songs ist noch lange nicht Schluss, denn nach der Zugabe ist vielerorten vor der Aftershow-Party.
Auch in diesem Jahr wird MTV-Legende Ray Cokes bei seiner täglichen Reeperbahn-Revue im Schmidt-Theater (jeweils 17 Uhr) einige ausgesuchte Bands unplugged vorstellen und ausquetschen. Internationale Fotografen, Maler und Literaten stellen sich ebenfalls vor oder bieten Konzert-Plakate bei "Flatstock Europe" auf dem Spielbudenplatz (täglich 14 Uhr bis 23 Uhr) feil. Überall zwischen Nobistor und Millerntor gibt's große Kunst in Wort, Bild und Ton. St. Pauli - State of the Art.
Reeperbahn-Festival 2012 Do 20.9.-Sa 22.9., diverse Clubs auf St. Pauli, Karten ab 32,- (Tagesticket) bis 65,- (3-Tage-Ticket) im Vvk. u. an den Tageskassen Spielbudenplatz u. (nur Fr/Sa) Große Freiheit 36 u. Knust; www.reeperbahn-festival.com