Der 44-Jährige gilt als Enfant terrible der Kunst. Seinem Marktwert schadet das keineswegs.

Hamburg. Atelier reimt sich auf Bankier. Der Gleichklang muss Schorsch Kamerun sehr gelegen gekommen sein, um mit seiner Band Die Goldenen Zitronen die Verquickung von Kunst und Kapital, Malerei und Markt zu besingen. Vorbild dazu dürfte sein Freund Daniel Richter gewesen sein.

Beide waren einst "SH-Punks", Schleswig-Holstein-Punks. Kamerun mischte in Eutin die Strand-, Richter in Lütjenburg die Land-Idylle auf, bevor sie nach Hamburg zogen. Beide eint, dass sie sich mit ihrer Energie, mit ihren nagenden Fragen zu sozialen Schieflagen im Kulturbetrieb etabliert haben. Kamerun ist gefragter Theaterregisseur. Richter arbeitet als Maler, der mittlerweile konsequent in einem Atemzug mit seinen heiß gehandelten Kollegen Neo Rauch und Jonathan Meese genannt wird.

Der Marktwert vieler seiner Bilder klettert derzeit in Richtung einer halben Million Euro. Und wenn die Galerie der Gegenwart dem 44-Jährigen nun noch eine große Retrospektive widmet, schlägt der Hype Salti. Die Presse kann die bewegte Vita in griffige Zeilen schmieden. "Vom Revoluzzer zum Kunst-Darling" ("Mopo"), von der "Hafenstraße in die Hamburger Kunsthalle" ("Focus").

In einer sich beschleunigenden Welt, in der medial alles verfügbar (und beliebiger) zu sein scheint, lechzt der Betrachter nach Authentizität. Da hängt man sich gern das krachende, von Popkultur- und Kunstgeschichtszitaten überbordende Werk eines Enfant terrible übers Sofa (oder deponiert es wie ein Aktienpaket). Und die Delegierten der Deutschen Bank werden wohl mal ein bisschen damit kokettieren, wie sie den Maler in seiner Werkstatt in Berlin besuchten.

"Ja, die Bankiers. Die lungern morgens schon vor meiner Ateliertür rum. Die muss ich mit dem Wasserschlauch wegspritzen, so aufdringlich sind die." Auf die Frage, ob der Durchbruch vor vier Jahren seinen kreativen Alltag verändert hat, reagiert Richter genervt, übertreibt, driftet ins Zynische. Ihm gegenüber, auf der Bistro-Terrasse der Galerie der Gegenwart, sitzt Albert Oehlen, bei dem Richter nach dem Kunststudium Assistent war. Er solle jetzt mal essen, hatte der Künstlerfreund Richter ermahnt, als dieser gerade durch den extra entkernten Ungers-Bau lief, seinen sechs Monate alten Sohn David vor den Bauch geschnallt.

Die Schau, die mehr als 50 Großformate aus den vergangenen zwölf Jahren sowie eine Auswahl von Skizzen enthält, beginnt mit "Phienox" aus dem Jahr 2000. Der Titel, ein für Richter typischer Buchstabendreher, spielt mit dem Mythos des Phoenix. Obwohl das Werk auf ein Foto zurückgeht, das den Anschlag auf die US-Botschaft in Nairobi 1998 zeigt, wird es oft als Sinnbild für den Mauerfall interpretiert. Für Richter kein unbedingter Widerspruch. "Das Ende des Kalten Krieges hat den Fundamentalismus in seiner heutigen Form erst möglich gemacht", erklärt er ein wenig fahrig. Zu oft schon habe er über dieses Bild geredet. In dem Gemälde sind sie bereits enthalten, die fluoreszierenden Figuren, die sich später, etwa in Werken wie "Duueh" (2003), aufzulösen scheinen. Geisterhafte Identitäten, die in Extase kollidieren, kämpfen oder feiern, je nach Perspektive.

Immer wieder stellt sich der 1,90-Meter-Mann in der Ausstellung auf, markiert Sichtachsen und deutet Widersprüche an, die er mit der Hängung provozieren will. "Den Overkill organisieren", nennt er das. Etwa, wenn "das süßliche Rosarot" von "Wutang" (2000) mit dem "verlogenen Frauenbild" kommunizieren soll, das er in der Rotlicht-Szene "E.R." (2007) gemalt hat. Das Abstrakte, bis zum Jahrtausendwechsel praktiziert, trifft auf Richters aktuelle Phase, das Figurative.

Seine Grundmotivation sei "Wahrheitsfindung". Im Gegensatz zu Menschen dürften Bilder nicht lügen, um jemandem einen Gefallen zu tun. Ein ehrliches Statement, das mit Geld nicht zu bezahlen ist.

  • Galerie der Gegenwart: 4.5. bis 5.8.; Katalog "Die Palette": 28 Euro .