Simone Young und das Ensemble überzeugten musikalisch. Die Inszenierung blieb an der Oberfläche.

Hamburg. Generalmusikdirektorin Simone Young ist eine sehr hartnäckige Frau. In dieser Staatsopern-Spielzeit hat sie sich vorgenommen, Opern von Richard Strauss zu propagieren, mit aller Macht, die ihr die Doppelspitze als Intendantin und Generalmusikdirektorin bietet. Die ersten beiden Anläufe, eine plump endende "Frau ohne Schatten" und ein bildhübsch verstolperter "Rosenkavalier", ließen szenisch etliches zu wünschen übrig. Auch der dritte Strauss-Streich dieser Saison, der am Sonntag ohne Wenn und Aber vom Hamburger "Premieren"-Publikum goutiert wurde, gelang in dieser Hinsicht nur sehr bedingt.

Doch die gute Nachricht, bevor Mitte April eine konzertante "Daphne" das Viererpack komplettiert: Diese "Arabella", eine gut ein Jahr alte Koproduktion mit der Wiener Staatsoper, ist sehr empfehlenswert für alle, die eine handwerklich korrekte, aber fade Inszenierung nicht von gerechtfertigter Freude über Gehörtes abhalten kann.

Mit der letzten Teamarbeit von Strauss und Hofmannsthal hat sich Young einen Leckerbissen ausgesucht, der alles bietet, was das melomane Herz im Zuschauerraum begehren kann und was gleichzeitig auch für dirigentische Herausforderungen sorgt: den satten Zuckerguss des Wiener Schmäh, großes Wallen und Walzern à la "Rosenkavalier", das alles aber in eine Partitur verpackt, die komplett auf harmonische Schärfen und Kanten verzichtet. Mehlspeisen für die Ohren.

Für eine ausgewachsene Strauss-Oper ist auch die Handlung erstaunlich übersichtlich: Seelchen Arabella aus verarmtem Wiener Adel soll gewinnbringend vermählt werden, weil der Pleitegeier über der Familie kreist; Schwester Zdenka hat eine Schwäche für den einen Kandidaten. Der andere ist zwar reicher, aber erst nach amourösem Durcheinander als ideale Partie für die Frau ohne Gatten gesichert. Kurz: Herz, Schmerz und dies und das.

Sven-Eric Bechtolfs Regie-Konzept verlegte diese operettige Handlung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in die auf lasziv geschminkten 1920er-Jahre. Das gab dem Ganzen aber nur den Anstrich einer aktualisierenden Kostümierung, die Notwendigkeit des Epochensprungs erklärte sich nicht, sondern wirkte nur als Schauwert, der das sehr dekorativ angerichtete Art-deco-Dekor von Rolf und Marianne Glittenberg zu legitimieren hatte. Doch das waren nur kleinere Gründe zur Unfreude. Denn mittlerweile wirkt es fast so, als bekämen die Hauptpersonen der Staatsopern-Neuinszenierungen Magnete ins Kostüm eingenäht, die sie aus jeder beliebigen Position in wenigen Minuten zielsicher in Richtung Rampen-Mitte lotsen.

Dass anstelle von Bechtolf nur seine Wiener Assistentin Karin Woykovitsch für eine "szenische Einstudierung" zu sorgen hatte, trug auch nicht zur Verbesserung der Sachlage bei. Wann immer es ging, manövrierten sich alle vor den Souffleurkasten. Und damit auch vor den resolut geführten Taktstock der Hausherrin, die das Philharmonische Staatsorchester in den letzten Wochen auf ihre Strauss-Linie gebracht hatte: geschmeidig in den Details, straff, aber nicht dicklich im Gesamtklang. Hier kam ihr zugute, dass Strauss sein Vokabular mit enormer Wirkungssicherheit dosiert hatte. Falls Young damit kalkuliert hatte, dass es mehr als nur eine Opern-Einstudierung braucht, bis die Philharmoniker sich in Strauss' raffinierter Klangwelt nicht nur heimisch fühlen, sondern auch mit eleganter Dezenz bewegen - diese Rechnung ist aufgegangen.

An der Bühnenkante konzentriert, wurde unterdessen mit demonstrativer Inbrunst gesungen. Allen voran ist Bo Skovhus für seine Leistung zu loben. Er verkörperte und vertonte einen sehnig-sehnsuchtsvollen Mandryka, der hin- und hergerissen war zwischen der echten Liebe zu Arabella und den restlichen falschen Fuffzigern.

Skovhus fing schon toll an und wurde danach in seinem Rollendebüt immer besser. Wer noch seinen herausragenden, zutiefst verstörenden Hamburger "Wozzeck" in Erinnerung hat, wird bei diesem Wiedererleben nach langer Zeit einen enorm wandlungsfähigen Charaktersänger neu entdecken können, einen Gefühlsriesen mit erstklassig geführtem Bariton, dessen Bühnenpräsenz aus jedem Nebensatz eine Hauptsache machen kann.

Ebenbürtige Partnerin war Emily Magee in der Titelpartie, die, obwohl in ihrem Timbre immer auch schon ein Hauch der charakterverwandten Marschallin mitschwang, jugendlich blieb. Vielleicht war es die Nervosität über das Debüt in dieser Rolle, dass ihrem Auftritt zunächst etwas Verspanntheit anhören ließ. Doch das gab sich im Laufe des Abends.

Charmant und leuchtend: Kari Postma, die sich in ihrer Hosenrolle als Zdenka in den Duetten mit ihrer Schwester Arabella apart ergänzte und typgerecht spielte. Kleinere Rollen, ebenfalls große Wirkung: Daniela Fally, die als Fiakermilli nicht nur ihre Koloraturen nervenstark absolvierte, sondern auch noch einen 1a-Spagat als Zugabe brachte. Hinreißend als Ochs-Wiedergänger: Artur Korn als prall aufschneidender Pleitier Graf Waldner; auch Matthias Klinks agiler Tenor war als Matteo erfreulich anzuhören.

Alles in allem: eine komplett entbehrliche, weil handschriftlose Inszenierung. Aber andererseits eine musikalische Leistung, die deutlich oberhalb des szenischen Niveaus agierte. Fragt sich, was für einen bleibenden Erfolg den Ausschlag gibt.

  • Weitere Vorstellungen: 6./9./12./15./24. Februar. Karten (4-77 Euro) unter Tel. 35 68 68