Liebe Sabine Christiansen,

gestatten Sie, dass ich Sie so vertraulich anrede, obwohl Sie mich ja gar nicht kennen und so viel Intimität eigentlich auch nicht meine Art ist. Aber es gibt Menschen in meinem Leben, die mir ans Herz gewachsen sind. Sie gehören dazu, seit Jahren. Nein, seit Jahrzehnten.

Zunächst waren es die "Tagesthemen", die Sie moderierten. Immer ein bisschen spröde, und bei Ihren Interviews aus jenen Zeiten hörte ich oft eine gewisse Unsicherheit heraus. Spontane oder gar scharfe Nachfragen waren eher die Seltenheit. Das bedauerte ich manchmal. Aber anderen so richtig auf den Zahn fühlen, das merkte ich bald, passte nicht zu Ihrer hanseatischen Art.

Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie hässlich manche meiner Kollegen damals gelegentlich über Sie schrieben. Das hörte leider auch nicht auf, als Sie danach Talkmasterin wurden und Sie Ihrem Stil zunächst treu blieben. Ständig wurde an Ihnen herumgemeckert. Ja, ich gebe zu, gelegentlich war ich auch nicht ganz frei davon. Ich hoffe, ich finde heute Ihr Pardon. Auch dafür, dass ich gelegentlich "fremdgegangen" bin und glaubte, bei der Illner oder Maischberger ginge es interessanter zu. Das war vielleicht auch richtig, aber was diesen Damen fehlte, war Ihre unübertroffene Naivität. Und Ihre herrliche Aufgeregtheit. Von wegen "kühle Blonde".

Sie haben sich aus Kritik nicht viel gemacht. Und das war gut so. Denn unterschätzt zu werden hat schon vielen in ihrer Karriere geholfen. Denken Sie nur an unsere Bundeskanzlerin. Ein zu hoch angesetzter Vergleich? Keineswegs, liebe Frau Christiansen, ich kenne derzeit keine Frau außer Ihnen, die in diesem unseren Land ähnlich populär ist.

Und nun wollen Sie sich anderen Zielen zuwenden. Das bedauere ich sehr. Seit ich weiß, dass Sie Ihre Talkshow abgeben, habe ich noch mehr als zuvor jener magischen Zeit am Sonntagabend um 21.45 Uhr entgegengefiebert. Ich schäme mich nicht, hier ein Geständnis zu machen: Ein Sonntagabend ohne Sabine Christiansen, das ging gar nicht. Dafür habe ich sogar meine Familie sitzen lassen, die sich wegen meiner Sucht aufrichtig Sorgen machte.

Ich konnte das nie verstehen, aber da teile ich wohl das Los mit anderen Abhängigen. Die merken es oft auch nicht, wie es mit ihnen wirklich steht.

Im Kollegenkreis ging mir das mit der Anteilnahme nicht anders. Wenn ich denen am Montag in der Konferenz die Frage stellte: "Habt ihr gestern die Christiansen gesehen? da war wieder richtig was los!", hatten die für mich nur mitleidige Blicke und Achselzucken übrig.

Mir war das egal. Ich konnte mich auch noch am nächsten Tage über Claudia Roth aufregen, die mir mit ihrer ständigen Betroffenheitsattitüde auf die Nerven ging. Wären Sie nicht da gewesen, liebe Sabine Christiansen, ich hätte die Fernbedienung schon bei der Vorstellung mancher Teilnehmer benutzt.

Das habe ich auch oft genug getan. Eine ganze Stunde durchzuhalten gelang auch mir nicht immer. Aber das war ja das Schöne an Ihrer Sendung, richtig verpasst hat man in der zweiten Hälfte wenig. Bei Ihnen wurde das Pulver gleich in den ersten 30 Minuten verschossen. Kein langes Herumreden. Auch dank Ihrer charmanten Moderation. Wurde etwas zu technisch, zu wissenschaftlich oder gar zu kompliziert, entzogen Sie dem Redner einfach das Wort. Und die dann folgende Frage hatte garantiert nichts mit dem zu tun, was gerade eben noch diskutiert wurde. Das brachte jedenfalls wieder Ruhe in die Runde.

Ich habe Sie oft bewundert, wie Sie sich in diesem Kreis behauptet haben. Guido Westerwelle, Friedrich Merz oder Gregor Gysi, das waren schon eisenharte Brocken. Aber sie schmolzen alle dahin, wenn Sie Ihre entzückende Brille mit den großen Gläsern zurechtrückten oder Ihre schlanken Beine lässig übereinanderschlugen. Da war es wirklich nicht mehr so wichtig, ob Ulla Schmidt zum x-ten Male versuchte, uns über ihre Gesundheitsreform aufzuklären.

Vorbei, alles vorbei. Künftig muss ich dann wohl wieder in die langweiligen Parlamentsdebatten reinschauen, um auf dem Laufenden zu bleiben. Das haben Sie mir, Frau Christiansen, jahrelang erspart. Denn was wurde da noch unter dem Bundesadler beredet, was nicht längst Koalitions- und Oppositionspolitiker von Ihren Stühlen in der Blauen Kuppel dem Volk verkündet hatten! Sie waren das Parlament im Wohnzimmer! Und ich möchte gar nicht darüber nachdenken, wo wir Deutsche heute mit unserer politischen Bildung stünden, hätte es Sie nicht gegeben.

Aber alles im Leben geht einmal zu Ende. Es ist also Zeit, Abschied zu nehmen. Und Dank zu sagen. Sie werden mir fehlen. Ganz ehrlich.

Alles Gute für Sie,

Ihr Holger Dohmen

  • Sabine Christiansen Sonntag, 24. Juni um 21.45 Uhr im Ersten.