Charakterrollen: Barbara Nüsse liebt kraftvolle Frauenfiguren. Morgen steht sie als “Martha Jellneck“ auf der Bühne der Kammerspiele.

Hamburg. Es gibt Menschen, die sind wie Bäume. Im Leben verwurzelt. Gefühlssicher und von gesunder Gescheitheit. Darin ähneln sich "Martha Jellneck" und ihre Darstellerin Barbara Nüsse. Vielleicht reizte sie gerade aus diesem Grund die Hauptrolle in Knut Kochs Bühnenfassung des gleichnamigen Films von Kai Wessel. Er führt auch Regie bei der Uraufführung morgen Abend in den Kammerspielen.

Als Martha kehrt die fulminante Charakterspielerin an die Hartungstraße zurück. Sie spielt eine von Arthritis geplagte, einsame, nur mit der lieben Dackelhündin Alfa lebende alte Frau. Im Gegensatz zur Mutter-Megäre in Bernhards "Am Ziel", die Nüsse voll Lust an Bosheit zuletzt an den Kammerspielen gab, ist Martha eine stille, herzensgute, trotz der Krankheit kein bisschen wehleidige Dame. Die Nüsse brillierte beim früheren Intendanten Ulrich Waller noch in Millers "Scherben" und Becketts "Glückliche Tage". Unvergessen natürlich ihre bereits legendäre "Lebensrolle": Molly Bloom im "Penelope"-Monolog von Joyce.

Kraftvolle Frauenfiguren in den Facetten zwischen Komik und Tragik sind Sache der Ausnahmespielerin, die an allen großen Theatern zwischen Berlin, Hamburg, München, Wien und Zürich gastiert.

Der Fall von Marthas Bruder Franz könnte einer von vielen sein, die zurzeit in der "Wehrmachtsausstellung" auf Kampnagel dokumentiert sind. Als Zeuge eines Kindermords durch einen SS-Offizier wurde er kurz vor Kriegsende selbst zum Opfer. Nach 50 Jahren steht der Täter unter dessen Namen der Schwester gegenüber, reagiert aber nur arrogant und zynisch. "Martha glaubt an das Gute, will sich eigentlich nur mit dem Mann aussprechen", erklärt Nüsse. "Die kalte, aalglatte Selbstgewissheit dieses wirklichen Mörders ohne jegliches Schuldbewusstsein verletzt sie tief.

Martha übt spontan Selbstjustiz. Eine starke Tat, die Nüsse in gewissem Sinn verstehen kann. "Natürlich hat der Junge vom Essensdienst Recht: Solchen Leuten kommt man nur vor Gericht bei. Sie hätte ja Beweise genug. Aber trotzdem denkt man für Momente: Die Frau hat Recht."

Das Stück ist kein wütendes Pamphlet. In der Langsamkeit und Stille liegt seine Stärke, findet die Schauspielerin. "Die Geschichte wird gerade erzählt, ganz ruhig und theatralisch unaufwendig. Find ich wunderbar." Sie kannte Wessels 1988 entstandenen Film mit Heidemarie Hatheyer nicht, lernte den Hamburger Regisseur vor anderthalb Jahren bei den Dreharbeiten zu "Juls Freundin" kennen. "Da hab ich schon mit Anneke Kim Sarnau zusammengespielt. Sie ist jetzt die Nachbarin Hanne im Stück." Nüsse hält Wessel für einen einfühlsamen Schauspielerregisseur: "Er interessiert sich für die Wirklichkeit und geht sehr genau auf die Figuren ein."

Dass Ex-Intendant Ulrich Waller die Rückkehr "seiner" Protagonistin an die Kammerspiele ungern sieht, kommentiert Nüsse gelassen: "Hat der Uli doch gar nicht nötig, sich deshalb aufzuregen. Das Theater muss doch nicht schließen, weil er weggegangen ist. Das will er hoffentlich nicht."

Rolle wie Projekt haben Nüsse einfach imponiert und gefallen. "Ich bin hier, weil mich ein bestimmter Regisseur gefragt hat, in einer bestimmten Inszenierung mitzumachen. Als unabhängige Schauspielerin muss ich arbeiten, will ich Theater spielen. Das habe ich immer getan."

Zuletzt am Maxim-Gorki-Theater in Berlin, wo Nüsse in Kazuko Watanabes Regie die Frau Alving in Ibsens "Gespenster" war. Oder am Wiener Volkstheater der Chor bei Thirza Brunckens "Antigone"-Inszenierung in der Fassung Hölderlins. "Seine Verse zu sprechen ist doch großartig. Dann wieder die schlichte Alltagssprache der Martha." Sie sei beispielhaft durch ihren Humor und inneren Reichtum. "Ich kenne wenige Frauenfiguren, die so mit sich eins sind."

  • Uraufführung am 20. 2., 20 Uhr in den Kammerspielen Karten: Tel. 0800-41 33 440. Barbara Nüsse ist auch in "Juls Freundin" zu sehen. Kai Wessels Film wird nach der arte-Ausstrahlung erstmals in der ARD am 24. 3. (20.15 Uhr) gesendet; Nüsse spielt auch in Marti Geschonneks neuem Film "Die Ärztin" am 15. 3. (ZDF, 20.15 Uhr).