Interview: Konstantin Wecker über die Siege nach den Niederlagen. Ein Vierteljahrhundert protestiert - und ganz entspannt im Hier und Jetzt: der Liedermacher über seine Lebenseinstellung.
Hamburg. Jeans, Cordjackett, Lachfalten. Die obersten Hemdknöpfe offen. Durchs Fenster blendet die Wintersonne. Konstantin Wecker ist absolut entspannt. Vielleicht, weil er seit einigen Jahren regelmäßig meditiert, vielleicht, weil er viel raucht. Er hat Anti-Kriegs-Lieder gesungen, Anti-Armuts-Lieder und Anti-Faschismus-Lieder. "Willy", einen seiner bekanntensten Protestsongs, gibt es in fünf oder sechs Versionen, und eigentlich hat Wecker keine Lust, immer neue Varianten zu schreiben, bloß weil die Welt noch immer schlecht ist. Wenn's sein muß, macht er's trotzdem. Konstantin Wecker ist ein Engagierter, einer, der sich einsetzt. Für eine bessere Gesellschaft. Daß es einen wie ihn überhaupt noch gibt, ist erstaunlich genug. Nicht weil er seine Kokainsucht überstanden hat. Sondern weil er, der Friedensbewegte, eigentlich ein Relikt aus einer anderen Zeit ist.
ABENDBLATT: Haben Sie heute morgen schon meditiert?
KONSTANTIN WECKER: Ehrlich gesagt: nicht. Obwohl doch, in gewisser Weise schon: Ich war im Dampfbad. Eigentlich meditiere ich immer, bevor der Tag beginnt. Wenn die Kinder in die Schule müssen, steh' ich dafür manchmal schon um sechs Uhr auf.
ABENDBLATT: Und dann? Wie genau meditieren Sie?
WECKER: Meditation hat mit dem Atmen und einer ruhigen Sitzhaltung zu tun. Ich hab' vor zehn Jahren angefangen, da fand ich vier Minuten ruhig sitzen schon entsetzlich. Man macht ja so viele Fehler. Oft gerät man in ein Art spirituellen Stress: Plötzlich will man "gut" meditieren. Völliger Blödsinn. Man darf nicht erwarten, daß etwas Besonderes passiert. Am schönsten ist es, wenn man das Gefühl hat, es braucht nichts anderes, es genügt zu sitzen und zu atmen, dann beginnt man sich selbst zu entdecken.
ABENDBLATT: Die Ruhe, die Konzentration ist eine Seite von Ihnen. Die andere ist Ihre Lust, sich aufzuregen, über Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft zu streiten. Wie paßt das zusammen?
WECKER: Das gehört zusammen. Ich mißtraue einer Spiritualität, die sich nicht engagiert. Das ist dieser esoterische Narzißmus. Man klinkt sich aus der Welt aus und wandert "Om" singend durch den Elfenbeinturm. Spriritualität hat mit dem Leben zu tun!
ABENDBLATT: Aber Sie singen und singen, gegen Krieg, gegen Diktatoren, und es ändert ja doch nichts. Frustriert Sie das nicht?
WECKER: Tja. Seit 25 Jahren singe ich als bekennender Pazifist für den Frieden, aber auf Grund meiner Lieder ist die Welt nicht unbedingt friedlicher geworden. Da fragt man sich schon nach dem Sinn. Aber es geht nicht immer um Erfolg, nicht immer ums Siegen, es geht manchmal einfach um das Tun. Stellen Sie sich vor, es hätte die Geschwister Scholl nie gegeben. Die haben leider auch nichts bewirkt, aber hätte es ihren Widerstand nicht gegeben, wüßte ich nicht, wie wir heute überhaupt weiterleben könnten mit unserer Vergangenheit.
ABENDBLATT: Haben Sie je überlegt, auf die politische Bühne zu wechseln?
WECKER: Nein. Ich wär' auch zu phantasievoll! Die Krux der Politik ist Phantasielosigkeit. Und das ist jetzt nicht die übliche Politik-Schelte. Wir brauchen Politik, sonst können wir nicht miteinander auskommen. Aber wir brauchen eben auch die Künstler, die den Politikern ein bißchen Phantasie anbieten. Ich habe das Gefühl, die Kultur hat sich bei den Parteien irgendwie erledigt. Damit sich in der Politik wer um Kultur kümmert, muß er aber auch ein kulturvoller Mensch sein.
ABENDBLATT: Sind Sie schon mal von einer Partei gefragt worden?
WECKER: Ja. Aber das habe ich sofort abgeblockt. Nie und nimmer! Jemand von der jetzigen Linkspartei hat mich mal angesprochen. Das war keine offizielle Anfrage, der hat halt gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte. Aber das würde mir mein Publikum zu Recht nicht verzeihen. Ich müßte ja einen gewissen Parteigehorsam erfüllen, oft auch gegen die eigene Meinung. Das wär' der künstlerische Untergang.
ABENDBLATT: Gefiel Ihnen die "Du bist Deutschland"-Kampagne?
WECKER: Ich hab' selten was Dümmeres gesehen. Der Text ist unerträglich. Diese Kampagne hat etwas sehr Völkisches an sich. Und nicht zuletzt ist es ein Spruch, der schon 1938 verwendet wurde. Gegen so etwas muß man sich unbedingt eine Gegenöffentlichkeit überlegen.
ABENDBLATT: Wie Ihr Webmagazin "Hinter den Schlagzeilen"?
WECKER: Zum Beispiel. Man darf sich nicht mit dem zufriedengeben, was einem vorgesetzt wird. Wenn du dich zurücklehnst, wirst du fröhlich bedient mit volkstümlicher Musik und Superstars und alldem. Ich hab' ja gar nichts dagegen, daß es das auch gibt. Aber es herrscht wirklich Panem et Circenses.
ABENDBLATT: Was sind Ihre Themen in dem Web-Magazin?
WECKER: Hauptsächlich Friedenspolitik. Brecht hat einmal gesagt, solange ein Mensch an Waffen Geld verdient, wird es Kriege geben. Genau so ist es.
ABENDBLATT: Sind Pazifisten wie Sie eine aussterbende Gattung?
WECKER: Was ist Pazifismus heute? Man kann ja nicht blauäugig sagen: Ab morgen gibt's keine Waffen mehr, und wir umarmen uns alle. So dumm war Pazifismus noch nie. Aber es ist doch so: Man steht vor einer Krise und sagt, jetzt müssen wir aber militärisch einschreiten. Ob man vorher hätte helfen können, etwa mit einer anderen Wirtschaftspolitik, überlegt keiner.
ABENDBLATT: Wie setzen Sie solche Ansätze privat um? Kaufen Sie etwa nur Fair-Trade-Kaffee?
WECKER: Wir bemühen uns. Das sind Lern- und Entwicklungsprozesse. Wir sehen uns die Herkunft vieler Produkte genau an, kaufen in Bioläden, weil das eine wichtige Unterstützung gegen die Konzernisierung der Lebensmittel ist. Ich habe langsam das Gefühl, alles, was im Fernsehen an Lebensmitteln beworben wird, sollte man schon mal nicht kaufen.
ABENDBLATT: Und das halten Sie durch mit zwei Kindern?
WECKER: Es ist ein täglicher Kampf. Die Kinder wollen Kellogg's, wir wollen Bioladen. Aber ideologisch verbissen geht's bei uns nicht zu. Die Kinder wissen, daß ich nicht mit Ihnen zu McDonald's gehe. Aber mit anderen gehen sie natürlich schon, das ist mir auch klar. Das verbiete ich nicht, ich versuche zu erklären, warum ich das nicht gut finde (lacht). Wohlwissend, daß sie es nicht allzu ernst nehmen. Ich muß wohl auch befürchten, daß bei dem eindeutig friedenspolitischen Einsatz in unserem Haushalt einer meiner Söhne irgendwann aus lauter Trotz in Bundeswehr-Uniform vor mir steht.
- WeckErlebnisse Konstantin Wecker und die Münchner Symphoniker, 27.2., 20 Uhr, Laeiszhalle, Gr. Saal. Karten (15-50 Euro) in den VvK.-Stellen.