Starschnitte, Popstar-Geschichten und Aufklärung von Dr. Sommer machten “Bravo“ unverzichtbar für Generationen von Jugendlichen.

Hamburg. Ein Fuß. Mehr nicht. Hätte jedem gehören können. Besonders wurde er nur dadurch, dass er im mittleren Teil der "BRAVO" auf einer Doppelseite abgebildet war und den Anfang eines 44-teiligen Riesenpuzzles verhieß. 43 Ausgaben würde es nun also dauern, bis der Fuß Sinn machen und sich lückenlos in den Starschnitt der Beatles einfügen würde. 43 Ausgaben lang! Das bedeutete: das Taschengeld zusammenzuhalten, 43 Donnerstage hintereinander die "BRAVO" zu kaufen und im Krankheitsfall die Freundin als Vertretung zu beauftragen. Auf Eltern war in dieser Hinsicht kein Verlass, sie erkannten einfach den Ernst der Lage nicht. Dabei hätte einmal aussetzen bedeuten können, dass am Ende ein Teil von Ringos Pelzkragen gefehlt hätte. Oder - schlimmer noch - das Gesicht von Paul McCartney!

Keine Frage: Wir bekennenden Beatles-Fans mussten genauestens planen, als die Band Mitte der 60er-Jahre komplett und in Lebensgröße im "BRAVO"-Starschnitt erschien. 44 Teile - das war der Hammer! So viele waren es bis dahin noch nie gewesen. Rückblickend verteilten sie sich dann zwar auf nur 40 Ausgaben, aber die Belastungsgrenze der Sammler war ohne Frage erreicht. Offenbar war das den Blattmachern zu Ohren gekommen, denn 14 Jahre später konnten diejenigen, die die Village People gut fanden, die 53 Teile in vergleichsweise lächerlichen 25 Ausgaben zusammenkaufen.

Der Sinn des Ganzen, den wir damals allerdings weder wissen wollten noch erkennen konnten, war eine kalkulierte Leser-Blatt-Bindung. Der erste Schritt in diese Richtung war bereits 1959 geschehen. Mitten in die sauber gescheitelte Bürgerlichkeit der Adenauer-Ära platzte Brigitte Bardot im Badeanzug, die sich der geneigte Leser in Originalgröße an seine Zimmerwand pinnen konnte. Er musste dafür eben nur elfmal hintereinander das Heft kaufen. Dass das Sozialministerium von Rheinland-Pfalz und mit ihm die vereinigten Sittenwächter das Blatt am liebsten auf den Index gesetzt hätten, müsste den Verantwortlichen mehr als willkommen gewesen sein, bekam ihr drei Jahre zuvor als "Zeitschrift für Film und Fernsehen" ins Leben gerufenes Magazin doch nun endlich den Anstrich des Rebellischen und damit Jugendlichen, dessen Sprachrohr es gerne sein wollte. Die Bindung der Leser an das Blatt festigte sich.

Vor allem in den 60er-Jahren fühlte sich der Großteil der Jugend "BRAVO", ohne dass es ihnen wie heute ein entsprechender Werbeslogan diktierte. Keine große Pause, in der nicht auf dem Schulhof das aktuelle Heft durchgekaut wurde. Der Junge aus der Nachbarschaft, der sich entblödet hatte, am Kiosk das Magazin "OK" zu kaufen, erntete nur mitleidige Blicke und zwar nicht nur, weil er statt "okay" (denn so sprach man den Namen aus) ein "Ock" verlangt hatte. Er war damit einfach raus aus der großen "BRAVO"-Familie. Wir anderen hatten das gute Gefühl, im großen Strom der erwachenden Jugendkultur mitzuschwimmen und zu wissen, was die Masse der Gleichaltrigen bewegte.

Zunächst natürlich die Geschichten über Stars. Die zu dieser Zeit noch übersichtliche Musikszene spaltete sich bekanntermaßen in das Lager der Beatles und das der Rolling Stones, und "BRAVO" reagierte. Mit Informationen und Geschichten zu den Bands, mit Starschnitten und - ein Höhepunkt in der 50-jährigen Geschichte des Blattes - mit der 1966 veranstalteten "BRAVO-Beatles-Blitztournee". Die Ankündigung "Sie kommen!" in Ausgabe 11/1966 grätschte mitten hinein in das Sammeln der 44 Starschnitt-Teile und fachte den zu erlahmen drohenden Enthusiasmus an.

An fünf Tagen, vom 23. bis 27. Juni , spielten die Fab Four auf der Höhe ihres Ruhms in München, Essen und Hamburg, und wer sich keine Karte leisten konnte oder nicht zum Konzert durfte, der hatte immerhin die "BRAVO". Dort erschien der große Sonderbericht sowie die Fleißarbeit des Chef-Reporters Thomas Beyl, der in "Meine Tage mit den Beatles" jede einzelne Stunde dieser Tour dokumentierte. Zu allem Überfluss gab es noch die beiliegende Schallfolie, auf der, wenn man es denn schaffte sie abzuspielen, George Harrison sich bei den Fans bedankte! Die Qualität des Tonträgers war zwar bescheiden, aber: geschenkt! George sprach zu uns! Direkt! Und "BRAVO" hatte es ermöglicht.

Wir Beatles-Fans waren spätestens jetzt auf das Blatt eingeschworen. Und die vom Stones-Lager konnten sich auch nicht beschweren. Nachdem sich das Blatt anfangs schwergetan hatte mit der rüden Attitüde von Mick Jagger, Keith Richards und Brian Jones, war es 1965 umgeschwenkt und hatte auch deren Tournee präsentiert.

Ein Trendsetter im Musikbereich war "BRAVO" nie. Liest man den 784 Seiten starken, sorgfältig zusammengestellten Bildband "BRAVO 1956-2006" (Hrsg. Teddy Hoersch, Collection Rolf Heyne, 58 Euro ), wird klar, dass das Blatt häufig auf Trends reagiert, aber nie welche gesetzt hat. Es brauchte 15 Ausgaben, um die aus Amerika herüberschwappende Rock'n'Roll-Welle nicht länger als "Lärmschlägerei" zu verzeichnen, sondern sie aufzugreifen und Elvis Presley ein zweiseitiges Porträt zu widmen.

Mit "Hässlichkeit verkauft sich gut" verhöhnte eine Schlagzeile noch 1964 die Stones und begriff erst ein Jahr später, dass die Band ganz hoch im Kurs der Jugend stand. Und natürlich dominierten in den 90ern Take That, die Backstreet Boys, die Spice Girls und Britney Spears die Seiten - und eben nicht Nirvana mit ihrem zerrissenen Frontman Kurt Cobain, obwohl gerade diese Band zu den wichtigsten der Dekade zählte.

Aber "BRAVO" wollte ja auch nie ein Musikfachblatt sein, sondern eine Zeitschrift für möglichst alle Jugendlichen. Verschrecken wollte man niemanden. Deshalb zierten selbst in den 60er- und 70er-Jahren, in denen man mit der Elterngeneration abrechnete und alles umstürzte, was verkrustet und verlogen schien, massenkompatible Gesichter wie das von Freddy Quinn, Pierre Brice alias Winnetou oder John Travolta die Titelseiten. Bis heute hat sich diese Strategie nicht geändert. Avril Lavigne oder Sarah Connor sind genauso harmlos wie einst Gitte und Rex Guildo. Nur dass sie dem potenziellen Leser mit Zeilen wie "Ich heirate!" oder "Angst um Sarah!" entgegenbrüllen, um in der Fülle von Jugend-Magazinen überhaupt noch Aufmerksamkeit zu finden.

Harmlose Gesichter hin, Massengeschmack her. Tatsächliche Pionierarbeit leistete "BRAVO" mit Dr. Sommer. Wegen des Namens vermuteten wir damals, dass es sich selbstverständlich um nur einen einzigen Mann handelte, der allerdings über gottähnliche Qualitäten verfügen musste. Auf alles schien er eine Antwort zu haben. Um das auszutesten, setzten wir uns in unserer persönlichen "BRAVO"-Anfangszeit mit vier Mädchen zusammen und erfanden ein herzzerreißendes Problem, das wir auf zartrosa Briefpapier niederschrieben. Zum Abschluss bespritzten wir einige Zeilen mit Wasser (Dr. Sommer sollte denken, wir hätten geweint), besprühten den Umschlag mit Parfüm und schickten den Brief an die Redaktion, Abteilung "Was dich bewegt" zu SEINEN Händen. Wir bekamen niemals eine Antwort, und das deutet darauf hin, dass Dr. Sommer eben doch gottähnlich war. Denn er hatte unsere Albernheit und Unreife durchschaut und den rosaroten Blödsinn wahrscheinlich einfach in den Müll geworfen.

Viel später, vielleicht sogar erst rückblickend als Erwachsene, lernten wir schätzen, dass sich hier ein Team aus Sexual- und Sozialwissenschaftlern, aus Jugendtherapeuten und Familienberatern ganz ernsthaft mit partnerschaftlichen und sexuellen Problemen von Heranwachsenden auseinandersetzte und wertvolle Hilfen gab. Wie viele von uns damals waren denn tatsächlich so aufgeklärt, dass sie auf alle Fragen eine richtige Antwort wussten? Wessen Eltern hatten sich denn die Zeit genommen und ihren Kindern erklärt, was in der Pubertät mit ihrem Körper vor sich ging? Und wer von uns hatte so viel Vertrauen zu seinen Eltern, dass er mit ihnen über seinen ersten Geschlechtsverkehr sprechen konnte?

Zugegeben oder nicht, die meisten von uns lasen diesen Teil des Heftes mit besonderer Aufmerksamkeit, und selbst wenn die ganz Coolen behaupteten, sie hätten es nicht nötig, sickerte irgendwann durch, dass sie die lila grundierte Aufklärungsserie "Entdecke deinen Körper" doch heimlich gelesen hatten. Die war nämlich ausführlicher, genauer und anschaulicher als jedes Bio-Buch, aber nicht weniger wissenschaftlich, und wer sich durch diese engbeschriebenen, dreispaltigen Seiten mit den Grafiken und Zeichnungen durchgeackert hatte, wusste Bescheid. Der fühlte sich als Jugendlicher ernst genommen und als Teil einer großen Gruppe. Von Altersgenossen, die wie wir selbst erst eigene Tipps abgaben und erst dann die Chartlisten (früher: Hitparaden) aufschlugen. Die wie wir neugierig und lästerwillig die unzähligen Fotos mit den Vorschlägen für das "BRAVO"-Girl und den "BRAVO"-Boy des Jahres taxierten, persönliche Voten abgaben und bis zur endgültigen Bekanntgabe Wetten laufen ließen.

Waren das die Momente, in denen wir uns "BRAVO" fühlten? Vielleicht. Wahrscheinlich fühlen sich die Grüppchen, die sich heute auf dem Pausenhof um die letzte Ausgabe des Magazins scharen, anders als wir damals. Aber sicher auch ein bisschen "BRAVO", irgendwie.

  • 50 Jahre "Bravo" ProSieben überträgt die Geburtstagsgala am Sonnabend, 21.10., von 20.15 Uhr an live aus der Color- Line-Arena. Die Veranstaltung ist ausverkauft.