Brechts Held als Sänger einer Band

Einen "Sichausleber", einen "Andreausleber" hat Brecht seinen "Baal" genannt. Diesen Frauenverbraucher, der sich so wütend aufs Leben stürzt. Als Brecht seinen anarchistischen Wüstling 1923 zum ersten Mal öffentlich vorführte, am 8. Dezember in Leipzig, kam es zum Eklat: Der Oberbürgermeister ließ das Stück sofort verbieten.

Seitdem ist das dramatische Schmerzenskind - Brecht hat seinen Bühnenerstling mehrfach umgearbeitet - unverwüstlich. Die erste große Renaissance kam in den späten Sechzigerjahren. Volker Schlöndorff verfilmte den Stoff, 68er und Grüne lasen den Text als Befreiungs- und Zurück-zur-Natur-Programm. Anfang der Achtzigerjahre folgte die Uraufführung von Friedrich Cerhas "Baal"-Oper, und nach der Wende ging eine neue Welle von "Baal"-Inszenierungen durch die deutschen Theater. Populärster Hauptdarsteller: Ben Becker.

Jetzt kommt "Baal" ins Fernsehen. Text: Brecht, Kamera: Christopher Rowe. Dazu: jede Menge Techno, Rock und Metal. Und man wundert sich, wie das zusammenpasst. Die wunderbare Wucht und Zärtlichkeit der Sprache - "Die Liebe reißt einem die Kleider vom Leibe wie ein Strudel und begräbt einen nackt mit Blattleichen, nachdem man Himmel gesehen hat" - mit den gehetzt, zerhackt verfremdeten Bildern.

Regisseur der vom ZDF-Theaterkanal und Arte in Auftrag gegebenen Theaterverfilmung ist Uwe Janson, der 1990 für seinen Kinofilm "Verfolgte Wege" mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet wurde und den man 1993 für die Fernsehproduktion "Gefährliche Verbindung" für den Grimme-Preis nominierte. Janson, Jahrgang 1959 und Gründungsmitglied der Deutschen Filmakademie, hat Brechts Stück in die Jetztzeit verlegt. Bei ihm ist Baal nicht Dichter, sondern Sänger einer Band, die in Berliner Abbruchhallen haust und ihre ruppige Begleitmusik zu den düsteren Großstadt-Tristessen macht.

Matthias Schweighöfer spielt diesen Außenseiter, der am Ende einsam verreckt. Er kämpft, er wütet, er liebt und vergewaltigt, er brüllt - und spricht Brechts Text mit fast schon Hölderlinschem Ton.

Die Berliner Filmfestspiele haben diese außerordentliche Teamworx-Produktion im Februar mit einer Voraufführung im Rahmen ihrer Reihe "Perspektive Deutsches Kino" geehrt. In der Ankündigung hieß es zu Recht: "Baal ist eine wüste Eloge auf die Selbstliebe und eine Absage an Gleichgültigkeit und Nivellierung der Menschen. Mit jungen Schauspielern hat Uwe Janson das Stück neu erzählt und szenisch in eine Gegenwart der Gegensätze transformiert. Die dynamische Inszenierung unternimmt das Wagnis, einen heutigen Baal zu erzählen, ohne den ursprünglichen Baal aus dem Brecht-Stück zu verraten." (Barbara Möller)

  • Drama: Baal. 20.45 Uhr Arte