Der eine hält den Wagner-Schwestern Verlogenheit vor, der andere verteidigt sie – nach dem Eklat um Nazi-Tattoos des russischen Sängers Nikitin stehen nicht nur die Leiterinnen der Bayreuther Festspiele im Feuer. Auch Nikitins Management muss Kritik einstecken.
Bayreuth. Nach dem erzwungenen Rückzug des Sängers Evgeny Nikitin bei den Bayreuther Festspielen wegen Nazi-Tattoos stehen die Wagner-Schwestern und das Management des Bassbaritons gleichermaßen in der Kritik. Der Münchner Staatsopernintendant Nikolaus Bachler warf den beiden Festivalleiterinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier am Montag Verlogenheit vor. Dirigent Christian Thielemann – er leitet die Neuinszenierung der Richard-Wagner-Oper „Der fliegende Holländer“ an diesem Mittwoch – verteidigte hingegen die Auswechslung Nikitins bei den Bayreuther Festspielen.
Der 38-jährige Russe hatte am Samstag – vier Tage vor der Eröffnungspremiere – auf Druck der Festspielleitung die „Holländer“- Titelpartie zurückgegeben. Zuvor war bekanntgeworden, dass er sich in seiner Jugend als Mitglied einer Heavy-Metal-Band Tätowierungen mit nationalsozialistischen Zeichen auf den Oberkörper stechen ließ.
„Ich sehe in der Causa Nikitin zunächst mehr ein Problem Bayreuths und der Wagner-Familie als eines des Sängers“, sagte dazu Bachler. „Dass die Torheit eines 16-jährigen Rocksängers, der diese längst bereut und versucht hat, ungeschehen zu machen, ausgerechnet nun von der Wagner-Familie geahndet wird, finde ich verlogen.“ Bachler warf den Halbschwestern vor, sie zeigten mit dem Finger auf jemanden anderen, „weil man mit der eigenen Geschichte ein Problem hat“.
Nikitin habe den Vorfall nicht nur bedauert, sondern auch Reue gezeigt. „Eine Reue, die ich von der Familie Wagner in den letzten 50 Jahren nie vernommen habe“, sagte Bachler. „Das Ganze ist eine zutiefst unschöne Geschichte und zeigt, wie die Vergangenheit immer noch gegenwärtig ist.“ Bachler, an dessen Münchner Staatsoper der Bassbariton Nikitin bereits auftrat, spielte damit auf den schwierigen Umgang der Familie Wagner mit der Nazi-Vergangenheit der Bayreuther Festspiele an.
Thielemann hingegen zielte mit seiner Kritik auf das Management des international gefeierten Bassbaritons. „Wie kann man einen Sänger so ins Messer laufen lassen? Man hätte Nikitin besser schützen sollen und ihm zumindest erklären müssen, dass er mit diesen Tätowierungen für Irritationen sorgen wird“, sagte Thielemann der Berliner Tageszeitung „B.Z.“ (Montag). „Ein Hakenkreuz geht nie, nicht nur in Bayreuth! Das geht auch in Australien nicht!“
Generell lehnt Thielemann Inszenierungen mit einem Bezug zum NS-Regime ab: „Ich mag es auch auf der Bühne nicht sehen, keine Hakenkreuze, keine Stiefel, keine Mäntel. Ich hab die Schnauze voll von diesem ganzen Personal“, sagte er der Zeitung.
Derweilen versucht der Opernbetrieb auf dem „Grünen Hügel“ in Bayreuth, die Aufregung um die Nazi-Tattoos des bereits abgereisten Russen buchstäblich wegzusingen und zu -spielen. Samuel Youn, der die Partie nun übernimmt, bereitete sich am Montag mit einer Extraprobe auf seinen „Holländer“-Einsatz vor. Man habe den Sonderprobentag kurzfristig angesetzt, sagte Festspielsprecher Peter Emmerich der Nachrichtenagentur dpa. Youn – als Zweitbesetzung für die Titelrolle vorgesehen – hatte bereits am Samstag die Generalprobe bestritten.
Viele kleinere Opernhäuser können sich finanziell keine Zweitbesetzungen mehr leisten. „Fällt ein Hauptdarsteller aus, muss die Vorstellung oft abgesagt werden“, sagte Jörg Löwer, Referent bei der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA). Viele Theater schauen sich bei einem Ausfall um, ob anderswo in Deutschland das gleiche Stück gerade gespielt wird. „Man kann sich dann untereinander aushelfen.“ Emmerich ergänzte, dass das Thema Zweitbesetzung bei der Suche nach Sängern für Bayreuth durchaus eine Rolle spiele. Es werde darauf geachtet, dass die Künstler mehrere Partien beherrschen. „Das ist bei den meisten Sängern der Fall“, betonte Emmerich. (dpa)