Der ARD-Film “Vom Traum zum Terror“ über das Attentat auf die israelische Olympiamannschaft in München überzeugt kaum.
Nach zwei Minuten, der Vorspann des ARD-Dokudramas "Vom Traum zum Terror - München 72" ist gerade vorbei, droht ein Déjà-vu: Zu Bildern vom olympischen Dorf in München ertönt der T.-Rex-Hit "Get It On" von 1971. T. Rex und Olympia 1972 - war da nicht was? Allerdings: Der Fernsehfilm "München 72 - Das Attentat" von Dror Zahavi, den das ZDF bereits am 19. März zeigte, beginnt mit Bildern bunt gewandeter Menschen, die durch den Münchner Olympiapark flanieren. Dazu erklingt T. Rex - allerdings nicht "Get It On", sondern "Jeepster".
Es ist das Problem des von den "Spiegel TV"-Autoren Marc Brasse und Florian Huber gedrehten Dokudramas über den Anschlag auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen 1972, bei dem 17 Menschen starben, dass er vier Monate nach dem ZDF-Film läuft. Allerdings nicht, weil sich beide Streifen stark ähneln würden. Abgesehen von der T.-Rex-Doublette gibt es nur eine weitere Parallele: Brasse und Huber drehten ebenso wie Zahavi die Szenen, die auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck spielen, auf einem ehemaligen Fliegerhorst im niedersächsischen Oldenburg.
Im Gegensatz zu "München 72 - Das Attentat" interessiert sich "Vom Traum zum Terror" vor allem für die Perspektive der mit der leider gänzlich erfolglosen Lösung der Geiselnahme befassten deutschen Politiker und Sicherheitskräfte. In den Spielszenen des Films kommen die Terroristen vergleichsweise selten und die Geiseln noch etwas weniger vor. Bis auf eine Ausnahme - die israelische Sprinterin Esther Roth, die selbst nicht unter den Geiseln war - sind sämtliche Zeitzeugen Deutsche. Unter ihnen sind auch die deutschen Leichtathleten Ulrike Meyfarth, Heide Rosendahl und Manfred Ommer sowie ein Sportreporter. Brasse und Huber ist es wichtig, möglichst viel von dem Flair rüberzubringen, das vor der Geiselnahme während der Spiele von München herrschte. Wohl deshalb ist in den ersten 25 Minuten von den Schrecken, die da kommen werden, kaum die Rede. Stattdessen geht es um die Erfolge des Wunderschwimmers Mark Spitz und die der Turnerin Olga Korbut sowie um die Partystimmung im olympischen Dorf.
Das kann man so machen. Problematisch ist aber, dass die Autoren dann, wenn die Geiselnahme in den Fokus rückt, sich ausschließlich auf ihre deutschen Zeitzeugen verlassen. Die deutschen Sicherheitskräfte agierten damals geradezu unglaublich dilettantisch. Das kann man nicht verschweigen. Und Brasse und Huber tun es auch nicht. "Wir kamen uns vor wie Bergsteiger in Badehose und Sandalen im Himalaja-Gebiet", lassen sie etwa den Sonderfahnder Heinz Hohensinn sagen. "Dieser Einsatz war einige Nummern zu groß für uns. Das wussten wir von Anfang an."
Und doch scheinen die Autoren nicht alle Aussagen ihrer Zeitzeugen überprüft zu haben. So kann Hans-Dietrich Genscher, damals Bundesinnenminister, nicht nur unwidersprochen erzählen, er habe den israelischen Sicherheitskräften angeboten, die Mannschaft selbst zu befreien, was die Israelis aber abgelehnt hätten. Der Film macht sich diese Aussage zu eigen. Damit ignoriert er israelische Zeitzeugen, die das exakte Gegenteil behaupten. Dem historischen Berater des ZDF-Films "München 72 - Das Attentat", der auch Autor der ZDF-Doku "München 72 - Die Dokumentation" ist, erzählte etwa der heutige israelische Verteidigungsminister Ehud Barak, damals Leiter von Sonderkommandos der israelischen Armee, auf dem Flughafen Lod in Tel Aviv hätten Maschinen mit laufenden Motoren gestanden, um seine Leute nach München zu bringen. Die Bundesregierung habe einem solchen Einsatz aber ihre Zustimmung verweigert.
Folglich gibt es in "München 72 - Das Attentat" einen israelischen Geheimdienstler, der Zugang zum deutschen Krisenstab hat und vehement, aber vergeblich, den Einsatz israelischer Kräfte fordert. In "Vom Traum zum Terror" kommt er nicht vor.
Dafür gibt es in der ARD-Produktion eine schon fast unfreiwillig komische Szene. Als der in den Spielszenen von Peter Lohmeyer gespielte Bürgermeister des olympischen Dorfes Walther Tröger von der Geiselnahme der israelischen Mannschaft durch palästinensische Terroristen erfährt, ruft er aus: "Wie sind die denn bloß hier reingekommen?" Das ist insofern erstaunlich, da nur wenige Filmminuten zuvor derselbe Tröger (Lohmeyer) am Zaun des olympischen Dorfes stand und sich von einem Sicherheitsbeamten erklären ließ, dass es praktisch unmöglich sei, irgendjemanden am Überklettern dieses Zaunes zu hindern. Tatsächlich gelangten die Terroristen auf exakt diesem Weg ins olympische Dorf.
Ansonsten kann in den sehr bieder inszenierten Spielszenen des Dokudramas kein Schauspieler glänzen: weder Lohmeyer noch Michael Brandner, der Hans-Dietrich Genscher gibt, oder Stephanie Stumph, die als Esther Roth zu sehen ist. Ebenso wenig Matthias Koeberlin, der den Hubschrauberpiloten Klaus Bechler spielt, der Geiseln und Terroristen vom olympischen Dorf zum Flughafen Fürstenfeldbruck flog.
"Vom Traum zum Terror" ist auch in dieser Hinsicht "München 72 - Das Attentat" deutlich unterlegen. Der ARD-Film ist sowohl inhaltlich als auch in puncto Inszenierung ein braves Dokudrama - mehr leider nicht.
"Vom Traum zum Terror - München 72" Sonntag, 21.45 Uhr, ARD