Die Lobeshymnen auf amerikanische Serien wie “Sopranos“, “The Wire“ und “The West Wing“ münden in einer eigenen Buchreihe im Diaphanes-Verlag
Hamburg. In der zweiten Staffel der Mafia-Serie "The Sopranos" muss die Psychoanalytikerin Jennifer Melfi ihrem eigenen Analytiker etwas beichten: Sie ist fast schon abhängig von den Therapiesitzungen mit Tony Soprano. Dies ähnelt dem Suchtverhalten des Betrachters: Der kommt vom Flimmerkasten gar nicht mehr weg, weil ihn die Abenteuer der Sopranos-Dynastie so in ihren Bann ziehen.
Wir können genau wie Melfi nicht genug von den aufregenden, fremdartigen und sinistren Geschichten des New-Jersey-Paten bekommen: Und so spiegelt sich unser Begehren in dem der Serienfigur Melfi. Klingt ganz schön weit hergeholt? Oder ganz schön klug? Wahrscheinlich trifft es genau die Mitte zwischen diesen beiden Polen. Nachzulesen ist der interessante Gedanke zur Sucht-Analogie von Analytiker und Zuschauer in Diederich Diederichsens schmalem Essayband, der schlicht den Titel "The Sopranos" trägt.
Diedrichsen, der 1957 in Hamburg geborene Kulturkritiker und Uni-Professor, analysiert die zwischen 1999 und 2007 ausgestrahlte Serie in vielen Facetten, und seine Einlassungen zur Sopranos-Sucht sind die naheliegendsten. Denn die berühmten Serien des amerikanischen PayTV-Senders HBO gehören längst zum Allgemeingut auch in deutschen Wohnzimmern. Und sie haben mittlerweile einen beinah penetrant guten Ruf: Wohin man auch kommt, werden die neuen Episoden gerühmt. Und gerne auch gleichzeitig die verstaubten Serien von früher und besonders gerne alles, was in Deutschland produziert wird, belächelt.
Die Lobeshymnen auf Serien wie "Breaking Bad", "Damages" oder "Boardwalk Empire" treffen im Kern allerdings allesamt ins Schwarze.
Die zwischen romanhaftem und filmischem Erzählen angesiedelten Qualitätsserien sind brillant und vermitteln, ausgehend von der amerikanischen Gesellschaft, ein Bild von unserer Welt. Sie sind Gegenstand von wissenschaftlichen Arbeiten und großen Feuilletonartikeln. Und jetzt auch einer eigenen Buchreihe: Der Zürcher Diaphanes-Verlag widmet sich in den ersten drei Lieferungen den "Sopranos", "The Wire" und "The West Wing".
Die "Sopranos" gelten als erste dieser erzähltechnisch hochwertigen Reihen, ihr Ruhm überstrahlt den der anderen immer noch um einiges. Und so ist es nur konsequent, der Schöpfung des Drehbuchautors und Fernsehproduzenten David Chase die allererste der Analysen in Booklet-Form zu widmen. Diederichsens "Sopranos"-Expertise ist so erhellend und kenntnisreich, wie es ein analytisches Stück über ein Erzählwerk nur sein kann.
Sicher, man muss es mögen, dass andere einem erklären, wie etwas zu verstehen ist. Aber der popkulturelle Riese "The Sopranos" ist ohnehin kaum zu fassen. Die Geschichte um den grobschlächtigen, gewalttätigen und schwerkriminellen Vorstadt-Mafioso Tony Soprano, der wegen akuter Stresssymptome zum Seelenklempner muss und mit seiner italo-amerikanischen Mischpoke grundsätzlich Zores hat, ist eine Art Bergwerk. Diederichsen kann nur einige der vielen Schätze zutage fördert: indem er zum Beispiel untersucht, wie die Sache mit den Zugängerperspektiven funktioniert. Die Zugänge, die die Fans zu einer Serie finden, haben immer mit den jeweiligen Figuren zu tun.
Was banal klingt, erklärt der professionelle Zeichenleser Diederichsen mit schlüssigen Deutungen: Wie verhalten sich die Charaktere der kulturbeflissenen, pragmatischen Carmela (Tonys Frau), der amoralisch-moralischen Ärztin Jennifer, des mordenden, aber gesellschaftlich ehrgeizigen Tony und des nicht weniger ehrgeizigen, erlebnisorientierten Nachwuchs-Paten Christopher zueinander? Es geht bei den Sopranos um Macht, Sex und Gewalt, also das, um was es immer geht.
Was die Diaphanes-Booklets eint: Sie verführen zum DVD-Gucken. Sie machen uns zu Wiederholungstätern. Jeden Band beschließen sogenannte Anspieltipps, die zum abermaligen Schauen einzelner Folgen einladen. Denn bei den Qualitätsserien ist es ja so, dass (fast) jede Folge für sich genommen ein Meisterstück ist: mit der einen Handlungsebene und den vielen bedeutungsvollen Unterströmungen, die auch auf andere Werke verweisen.
Die Lobhudelei (die Diaphanes-Reihe reiht sich da ein) kann auch enervierend sein. "The Wire" als Balzac des 21. Jahrhunderts? Anstrengend! Eine Kritikerin polemisierte, die Serien aus Übersee terrorisierten mit ihrer durchgestylten Perfektion und Komplexität - jede einzelne Erzählminute wird extrem verdichtet. Man könne dabei gar nicht mehr bügeln. Das stimmt.
Die Diaphanes-Booklets zu "The Wire", "The Sopranos" und "The West Wing" erscheinen im Diaphanes-Verlag und kosten je zehn Euro.