Die Verfilmung des berühmten Romanzyklus “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ läuft am Freitagabend in zwei Teilen auf Arte.

Hamburg. Den größten Roman aller Zeiten durchzieht eine traumgleiche Atmosphäre: Die Handlung läuft vor dem Erzähler und seinen Lesern gleichsam wie hinter einem Schleier ab. Und die Hauptfigur in "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" liegt ja auch tatsächlich, wenn sie nicht gerade über Strandpromenaden oder Boulevards stolziert, wenn sie nicht die Salons und Abendgesellschaften besucht, immerzu in ihrem Bett.

Marcel Prousts "À la recherche du temps perdu", wie der siebenbändige Roman im Original heißt, gilt eigentlich als unverfilmbar. Kein Wunder, bei dieser Länge: Die 2400 Seiten des Buchs zu einem Film zu machen, das ist eine gewaltige Aufgabe. In etwa so, als wolle man ein hektargroßes Weizenfeld mit einer Nagelschere abernten.

Die französische Filmemacherin Nina Companeez hat sich nicht abschrecken lassen, sie hat den Romanzyklus im Jahr 2010 verfilmt. Auf Arte ist die zweiteilige Fassung nun erstmals auf Deutsch zu sehen. Wer sich für knapp vier Stunden in die Welt der französischen Haute-Volée um die vorletzte Jahrhundertwende begibt, der bekommt von der ersten Minute an das Proust-Gefühl - wenn er denn zumindest Teile des Romanwerks gelesen hat. Prousts wuchernde und mit Metaphern aus der Pflanzenwelt arbeitende Sprache ist ja unvergleichlich. Unvergleichlich blumig: "Es war kaum möglich, noch seltenere Arten als diese jungen Blumen zu finden, die in diesem Moment vor mir die Horizontlinie des Meers unterbrachen, mit ihrer luftigen Hecke, gleich einem Bukett aus Pennsylvania-Rosen."

Was der junge Mann vor sich sieht, ist übrigens nicht die Arbeit eines Floristen, sondern eine Gruppe junger Damen, die ihm allesamt im Seebad Balbec den Kopf verdrehen. Die Erzähler-Stimme ist häufig aus dem Off zu hören; dies verlängert den epischen Atem des Riesenwerks im Fernsehen, und welches Buch kennen wir eigentlich, das einen epischeren Umfang hat als Prousts "Suche nach der verlorenen Zeit"?

+++ Die Suche nach Marcel Proust +++

Die mal schläfrige, mal hellwache Teilnahme am Geschehen des in der Ich-Form erzählenden Helden überträgt der Film perfekt auf die Leinwand: Erzählt werden die gesellschaftlichen Unternehmungen eines jungen Mannes, der unbedingt Schriftsteller werden will. Er gehört einer großbürgerlichen Pariser Familie an, und sein Ehrgeiz ist es, auch in den aristokratischen Kreisen zu verkehren. Es ist eine Welt der Konventionen, Regeln und Rituale, die nicht jedem Einlass gewährt. Wer nun den von Micha Lescot verkörperten Jüngling bei seinen Abenteuern in den besseren Kreisen begleitet, der taucht mit ihm ein in seine Sehnsüchte und Begierden, die sich aus heutiger Sicht allzu putzig ausnehmen.

Was soll so toll daran sein, mit dekolletierten, aufgeplusterten Damen und spitzbärtigen, feisten Herren Konversation zu machen? Der steife Pomp der Belle Époque wird in dem Fernsehfilm, der den langsamen Flow des Romans hat, in seiner ganzen Pracht ausgestellt. Companeez steckt ihre Darstellerin in adäquate Kostüme: Die erste Szene der gleichermaßen süßlich parfümierten (dieser gefühlige Überschwang hinter der Konvention!) wie herb duftenden (diese blasierte Kälte der Großbürger!) Literaturverfilmung dient als Brücke, die den Zuschauer in eine längst untergegangene Zeit geleitet. Sie zeigt das Personal bei der Kostümprobe. Beim Übertritt in den wirklichen Film, der die sechs Bände ab "Im Schatten junger Mädchenblüte" komprimiert, wirft der Held einen amüsierten Blick auf das ihm folgende Partyvolk.

So hätte man die hohe Gesellschaft damals nie genannt, dabei war und ist sie nichts anderes. Wobei die rituellen Zusammenkünfte in den Salons vor hundert Jahren noch entschiedener Angelegenheiten von nutzloser Schönheit gewesen zu sein scheinen als die Society-Sausen von heute.

In der zugeknöpften und diskreten Gesellschaft herrscht ein Kampf der Blicke: Züchtig niedergeschlagene Augen, deren glutvolles Gegenteil; affektierte Bewegungen des Kopfes, die Zugeneigtsein oder Ablehnung ausdrücken. Der Erzähler ist ein verzärtelter Muttersohn, der sich zunächst als verklemmter, dann bestimmter auftretender Neuling Zugang zu den Snobs und Salondamen verschafft.

Prousts "Suche" ist ein Roman der Erinnerung. Durch die Erzählstimme wird das Motiv in den Film übertragen. Dieser überrascht im Übrigen mit seinen komischen Elementen, die einem beim Lesen des Werks manchmal glatt durchgehen - obwohl Prousts Sinn für Humor nie unterschätzt werden darf.

Der dekadente Auftritt der Dandys, Stutzer und Gentlemen gipfelt in den ohne jedes schlechte Gewissen durchgeführten Stalker-Aktivitäten des Erzählers: Er schleicht der Herzogin von Guermantes nach, und er lässt bei ihr vorsprechen: "Könntest du ihr sagen, was du von mir hältst? Übertreib ruhig. Man hat mir gesagt, dass sie mich für einen Idioten hält!" Proustianer werden jeden Satz mit denen des Buchs abgleichen, und sie werden an der Verfilmung Vergnügen finden.

"Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" heute, 20.15 Uhr, Arte