Pianist Igor Levit ist ein junger Meister seines Fachs. Am Montag gibt er unter dem Motto “Liszt in Italien“ Solodebüt in Hamburg.
Hamburg. Wer Igor Levit sucht, der geht am besten ins Zurück zum Glück schräg gegenüber der Hannoveraner Musikhochschule. Die Chancen, ihn in dem Café mit den Biospezialitäten anzutreffen, sind ziemlich hoch - wenn er mal in der Stadt ist. Das kommt allerdings immer seltener vor. Levit katapultiert sich nämlich gerade in die vorderste Pianistenriege. Und Erfolg ist für einen Musiker gleichbedeutend mit Reisen.
Levit ist begeisterter Hannoveraner. Die Speisekarte des Cafés kennt er auswendig. "Ich bin dreimal am Tag hier. Nur gekellnert habe ich noch nicht - das wäre deren Ruin!", sagt er und lacht. Dafür geht er mit den Schwestern, die das Zurück zum Glück betreiben, schon mal zu Hannover 96. Wie sehr er die häufig als bieder belächelte Stadt liebt, das schimmert durch jeden seiner Sätze hindurch. Seine Rede hebt gleich im ersten Moment ab, es fliegt, es stürmt voran, so viel gibt es zu erzählen. Von seiner Freude über Lenas erste Erfolge und vom Selbstmord des Torwarts Robert Enke. Von der deutschen Sprache, die Levit, geboren im russischen Nischnij Nowgorod, seine große Liebe nennt und die er vollendet, akzentfrei und spielerisch-nuanciert beherrscht. Oder von der Musik, die den 24-Jährigen tagein, tagaus begleitet. Im Kopf und am Klavier.
Am kommenden Montag gibt Levit unter dem Motto "Liszt in Italien" sein Solodebüt in der Laeiszhalle. Aufs Programm hat er neben Liszt, Bach und Beethoven auch den barocken Komponisten Johann Kaspar Kerll gesetzt, dessen Name heute nur Eingeweihten geläufig ist. Levit kann sich so eine eigenwillige Programmgestaltung leisten. Nichts scheint mehr unerreichbar für diesen eminent und vielfach Begabten, kaum ein renommiertes Festival oder Konzerthaus Mitteleuropas, in dessen Programm sein Name nicht auftaucht. Vor einigen Jahren hatte Levit noch als Stipendiat der Deutschen Stiftung Musikleben im Steinwayhaus an einer Art Klassenvorspiel teilgenommen: ein pummeliger Junge, dessen vor Energie berstender Prokofjew den kleinen Raum förmlich zu sprengen schien. 2009 debütierte er beim NDR Sinfonieorchester. Seit ihn die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" vergangenes Jahr zu einem der "großen Pianisten des Jahrhunderts" erhob, zeigt die Karrierekurve noch steiler nach oben.
"Ich spiele aber immer noch genauso Klavier wie vorher", betont Levit. Das ist ein Glück. Auch wenn seine Antennen sonst ununterbrochen auf Empfang stehen, am Klavier wirkt er vollkommen zentriert. Am liebsten musiziert er, ohne zwischendurch abzutreten oder auch nur Applaus entgegenzunehmen, und wahrt so inneren Zusammenhang zwischen den Werken.
Für jeden Komponisten findet er einen individuellen Tonfall. Sein Bach ist nicht nur stilistisch traumwandlerisch sicher, sondern so intim, so frei und farbig im Klang, wie man es einem lackschwarzen Ungetüm von Steinwayflügel nicht zutrauen würde. Und wenn er Liszt spielt, dann hat man selbst an den aberwitzig virtuosen Stellen das Gefühl, sie müssten so und nicht anders sein: Hier wagt einer Sinnsuche und Bekenntnis, statt klingelnd die Tastenlöwenpranke zu schwingen.
Levit hat seinen ganz eigenen Zugang zur Musik. Seit seiner Kindheit spielt er, was immer er in die Finger bekommt - ob es nun ein Klavierkonzert ist oder die Partitur einer Bachkantate. Womöglich hat ihn das Schicksal mit voller Absicht nach Hannover und an dessen hervorragende Musikhochschule verschlagen. Dort hat er nämlich nicht nur ganz bürgerlich Klavier studiert, unter anderem bei dem renommierten Pianistenmacher Karl-Heinz Kämmerling. Vor allem ist Levit dort an einen der Orte geraten, von denen aus vor rund 30 Jahren die Originalklangbewegung ihren Siegeszug durch Deutschland angetreten hat. Über Lajos Rovatkay, den Pionier und Impulsgeber von damals, sagt Levit: "Er prägt mich unfassbar!" Noch im sechsten Jahr dieser Künstlerfreundschaft schwingt ein dankbares Staunen mit. "Wenn ich ihm etwas vorspiele und er sagt, das war ja wundervoll - Komma - aber ..., dann weiß ich, ich komme hier drei Tage nicht raus!" Der junge Pianist und der emeritierte Professor fressen sich durch ein Repertoire von Monteverdis Marienvesper über barocke Cembalowerke bis hin zu Messen des Frührenaissancemeisters Josquin Desprez.
Zu dessen Lebzeiten war es bis zur Erfindung des modernen Flügels noch mehrere Zeitalter hin. Doch die Beschäftigung mit der Alten Musik ist in Levits Spiel nicht zu überhören: Er artikuliert so bewusst und phrasiert so klar, dass der Hörer immer wieder das Gefühl bekommt, ihm würde zum ersten Mal etwas verständlich, was vorher eine wohlklingende Fremdsprache war - ob die Musik nun 100 oder 300 Jahre alt ist. "Das Gesangliche setze ich voraus", sagt Levit. "Aber beim Sprechenden, da wird es doch erst interessant." Den rhetorischen Sinn zu erfassen ist eine der Grundtugenden der historischen Aufführungspraxis, und wer damit einmal begonnen hat, der sucht in Werken aller Epochen danach, nicht nur in der sogenannten Alten Musik.
Bei allem künstlerischen Ernst ist Levit das Gegenteil eines Fach-Maulwurfs. Tagespolitik und Zeitgeschehen saugt er förmlich auf. Unter seinen Freunden sind Ärzte, Modeleute, Gastronomen. Alle paar Minuten meldet sich sein Smartphone; er fährt kurz mit dem Daumen darüber, ohne dem Gespräch auch nur einen Deut Aufmerksamkeit zu entziehen. Die Gegenwart ist es, die zählt. "Es bedeutet mir die Welt, Menschen um mich zu haben", sagt er. Und bestellt sich noch einen Yogi Latte.
Igor Levit: Liszt in Italien 12.12., 20.00, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), Johannes-Brahms-Platz. Karten zu 9,- bis 31,-. T. 35 76 66 66; www.igorlevit.com