Schöner als der bayerische Bariton kann ein Mensch kaum singen
Hamburg. Für viele Sänger gehört ein gesundes Maß an Eitelkeit zum guten Ton. Die Liebe zur eigenen Stimme und der Drang, im Mittelpunkt zu stehen, addieren sich da häufig zu einem hohen Rampensau-Faktor. Doch nicht so bei Christian Gerhaher. Ganz im Gegenteil: Der bayerische Bariton wirkte beinahe scheu, als er die Bühne im kleinen Saal der Laeiszhalle betrat, und schien, nervös lächelnd, am Flügel Halt zu suchen. Trotz Weltkarriere ist er ein skrupulöser Anti-Star geblieben - und gerade deshalb ein umso größerer Künstler. Ihm geht es ausschließlich um die Musik, nie um eine Sänger-Show. Mit dieser bescheidenen Haltung machte er seinen Liederabend mit Werken von Gustav Mahler zum anrührenden, oft beglückenden Ereignis.
So rein und pur wie bei ihm bekommt man etwa die "Lieder eines fahrenden Gesellen" nur selten zu hören: Da ist kein einziger Vokal verfärbt, kein Konsonant überzeichnet. Gerhaher erzählt die traurigen Geschichten von Liebesschmerz und Eifersucht ganz schlicht und lässt sein balsamisches Baritontimbre so natürlich strömen, dass einem das Herz aufgeht. Nur ab und an zerreißt der Schleier der Melancholie über den Liedern - wenn Gerhaher das "glühend' Messer" besingt, das der Verschmähte in seiner Brust fühlt, und dabei plötzlich eine schneidende Schärfe in den Klang mischt.
In solchen Momenten lässt er kurz sein gewaltiges dramatisches Potenzial aufblitzen und den Saal erzittern. Doch ansonsten dominieren die intimen Töne und feinen Farbnuancen, mit denen der Sänger die Subtexte der Musik ausleuchtet - das Mitleid mit der bitterarmen Familie im Wunderhorn-Lied "Das irdische Leben", für deren jüngste Tochter das frisch gebackene Brot zu spät kommt. Oder die beklommene, von eisiger Todesangst umwehte Atmosphäre in "Der Schildwache Nachtlied" - eines jener morbiden, für Mahler so typischen Schauerstücke aus der Welt des Militärs.
Gerold Huber atmet jede Phrase, jede kleine Verzögerung organisch mit wie ein musikalischer Zwillingsbruder. Hier zahlt sich die jahrzehntelange gemeinsame Erfahrung aus. Dabei setzt der Pianist immer wieder eigene Akzente. Indem er die vermeintliche Idylle der ach so grünen Heide im Lied "Wo die schönen Trompeten blasen" zerstört oder das Nachspiel der "Ablösung im Sommer" förmlich in die Tasten donnert, meißelt Huber all die Risse und Brüche auf, die Mahlers Musik so modern erscheinen lassen.
Ein Höhepunkt des Mahler-Jubiläums und ein fantastischer Auftakt für den neuen Liedzyklus der Elbphilharmonie. Auch wenn er ein Lob vermutlich weit von sich weisen würde: Christian Gerhaher gehört ohne Zweifel zu den überragenden Interpreten der Gegenwart. Schöner und wahrhaftiger kann ein Mensch kaum singen.