Lou Reed und die Thrash-Bomber Metallica vertonen auf “Lulu“ Robert Wilsons Berliner Inszenierung. Es ist ein düsteres Rockalbum geworden.
Es waren keine seherischen Fähigkeiten notwendig, um die Reaktionen auf "Lulu", eine gemeinsame Doppel-CD von Lou Reed und Metallica , vorherzusagen. Seit das Album erst als illegaler Download, dann als offizieller Stream, die Runde macht, regieren vor allem im Metallica-Fanlager Wut und Unverständnis. Gitarrist Danko Jones, in Rockkreisen keine kleine Nummer und mit seiner Band regelmäßiger Wacken-Gast, kündigte per Twitter gar an, seine gesamte Metallica-Sammlung verkaufen zu wollen. So sehr empöre ihn dieser Affront.
Tja, liebe Thrash-Metal-Dogmatiker, ihr müsst nun wirklich ganz stark sein, denn "Lulu" knüpft weder an das letzte Metallica-Großwerk "Death Magnetic" an noch hat es überhaupt sonderlich viel mit traditionellem Metal zu tun. Wäre allerdings auch etwas verwunderlich, schließlich ist dies eine Vertonung zahlreicher Songs, die Lou Reed für Robert Wilsons Berliner "Lulu"-Inszenierung schrieb. Basierend auf zwei um 1900 veröffentlichten Stücken des Dramatikers Frank Wedekind: "Erdgeist" und "Die Büchse der Pandora". Und, ja, Reed, der alte Grantler, hat hier die Hosen an. Er gibt den Grundton vor, und er war es natürlich auch, der das Projekt ins Rollen brachte - nach einem gemeinsamen Auftritt mit den Four Horsemen bei den Feierlichkeiten zum 25. Geburtstag der Rock 'n' Roll Hall of Fame in New York.
Vermutlich hätten sich James Hetfield, Lars Ulrich, Rob Trujillo und Kirk Hammett auch gar nicht getraut, der Underground-Ikone ihre Dienste anzubieten. Einem Mann, der schon immer große Freude daran hatte, gegen den Strom zu schwimmen und wie viele der wirklich Großen seiner Zeit regelmäßig voraus ist. Das war mit Velvet Underground so und später auch mit musikalischem Sperrgut wie "Metal Machine Music" oder "Drella", einer Hommage an Andy Warhol.
Nun also "Lulu", ein Abstieg in die finsteren Täler der menschlichen Psyche, an Orte voller Hass und Verzweiflung, voller Gier und Gnadenlosigkeit. Wedekind/Reed erzählt die Geschichte einer Prostituierten, die von Männern begehrt wird. Männer, die ihren Körper wollen, manchmal auch ihre Seele - bis die Femme fatale an Jack the Ripper gerät, dessen Liebesbeweise bekanntlich tödlich waren. Blut und Tränen, Schweiß und Sperma: Lou Reed zeigt sich auf den elf Songs, von denen der längste knapp 20 Minuten in Anspruch nimmt, unerbittlich. Und mit der druckvollsten aller denkbaren Bands im Rücken entfalten Zeilen wie "I want to see your suicide, I want to see you give it up, give it up" ("The View") oder "I have no real feelings in my soul. Where most have passion I got a hole" ("Cheat On Me") erst ihre volle Wirkkraft.
"Das hier ist definitiv kein Metallica-Album und auch kein Lou-Reed-Album", sagt Gitarrist Kirk Hammett, der bei diesem Projekt seine technischen Fähigkeiten nicht wie sonst ausspielen konnte. "Das ist noch etwas ganz anderes. Ein Hybrid, ein ganz neues Biest." Mag sein, aber dieses Biest wird von Lou Reed im Zaum gehalten. Beziehungsweise von der Leine gelassen
Ein düsteres Rockalbum ist "Lulu" geworden, ein unbequemes Werk, das sich trotz aller fetter Riffs ("Pumping Blood"!) nicht zum Matteschütteln eignet. Und schon gar nicht zum Nebenbeihören. Muss niemanden mögen, aber Respekt verdient dieser ausgestreckte Mittelfinger für den Mainstream allemal. "I want so much to hurt you", droht Reed auf "Frustration". Was das Gros der Metallica-Fans angeht, dürfte ihm das gelungen sein.
Lou Reed + Metallica: Lulu (Universal); Internet: www.loureedmetallica.com