„Der Spion, der aus der Kälte kam“ machte den Engländer einst berühmt. Jetzt feiert der Schriftsteller seinen 80. Geburtstag.

Berlin. Auch erfolgreichen Autoren von Spionage-Romanen fällt es meist schwer, als ernsthafte Schriftsteller wahrgenommen zu werden. John le Carré, der am 19. Oktober 80 wird, ist eine seltene Ausnahme. Seit der Brite vor fast 50 Jahren mit „Der Spion, der aus der Kälte kam“ auf die literarische Bühne stürmte, gehört er zu den respektierten Autoren. Denn auch wenn in seinen Büchern Spione, Doppelagenten oder Waffenhändler agieren – das Leitmotiv der Geschichten sind immer Grundthemen des Lebens: Lügen, Liebe, Verrat.

Und le Carré ist ein Meister der Spannung. Leute, die im Dunkeln auf ihr Schicksal warten, den Herzschlag in der Kehle. Liebende, die vom Strudel der Ereignisse auseinandergerissen werden. Arglose Menschen, die in eine Spionage- oder Mafia-Affäre stolpern. Schaffen sie es, oder schaffen sie es nicht?, ist die Frage, die den Leser immer schneller eine Seite nach der anderen umblättern lässt. Manchmal ja, manchmal nein, zuletzt immer häufiger nicht. „Ich überbringe selten gute Botschaften“, sagt le Carré augenzwinkernd.

Die Kunst, Geschichten zu spinnen, wurde le Carré – mit vollem bürgerlichen Namen David John Moore Cornwell – in die Wiege gelegt, wenn auch auf eher dramatische Weise. Seine Mutter, eine Schauspielerin, verschwand aus der Familie, als er fünf Jahre alt war. Sein Vater war ein Hochstapler, der zwischen erschwindeltem Reichtum und Knast pendelte und sich viel später manchmal auch für seinen Sohn, den berühmten Schriftsteller, ausgab, um Frauen zu beeindrucken. „Wir lebten ständig in Lügen“, erinnerte sich le Carré. „Da hieß es, mein Vater war im Urlaub. Nur, dass er nicht im Urlaub war, sondern im Gefängnis.“ Überall sah er Verschwörung und Verrat.

Dieser Lebensanfang bescherte David Cornwell eine unbändige Fantasie – und ein Streben nach Stabilität, das ihn in die Arme des britischen Geheimdienstes trieb. In den 50er Jahren kam er unter Diplomaten-Deckmantel nach Deutschland, war als Agent aber nicht sonderlich erfolgreich. Eines Tages sollte er einen Gegenspieler von den Sowjets bei sich zuhause als möglichen Doppelagenten durchfühlen. „Der Russe kam, trank Wodka, spielte Cello – und sagte den ganzen Abend kein Wort. War das ein Reinfall!“, erinnert er sich. Ein anderes Mal tauchte ein heldenhafter Agent von der Gegenseite, auf den er warten sollte, schlicht nie auf. Wer weiß, was aus dem Geheimdienstler Cornwell geworden wäre, doch dann kam „Der Spion, der aus der Kälte kam“.

Das dünne Buch, in wenigen Wochen fieberhaft auf Papier gebannt, veränderte Cornwells Leben – und auch die Kunst des Spionageromans. Gut und Böse waren verschmolzen zu grau, die Agenten waren keine Helden, sondern Menschen aus Fleisch und Blut. „Die beste Spionage-Geschichte, die ich je gelesen habe“, urteilte Genre-Veteran Graham Green. Der Roman erschien unter dem Namen John le Carré und anfangs wusste niemand, wer sich dahinter verbarg. Als die Wahrheit ans Licht kam, war es endgültig vorbei mit der Geheimdienstkarriere.

Stattdessen schrieb le Carré fortan über die Welt der Agenten und landete wenige Jahre später seinen größten Erfolg mit George Smiley, dem desillusionierten Meisterspion, der ständig von seiner Frau betrogen wird und an der skrupellosen Realität seiner Branche leidet. In diesem Jahr wurde das wohl bekannteste Smiley-Buch, „Dame, König, As, Spion“ neu verfilmt, mit Gary Oldman in der Hauptrolle. Und das, obwohl inzwischen eine „ganze Generation aufgewachsen ist, die überhaupt nicht mehr weiß, was der Kalte Krieg war“.

Der Fall des Eisernen Vorhangs nahm le Carré die eingespielte Arena für seine Geschichten, und er richtete seinen kritischen Blick nach Hause, in den Westen. Seine Bücher drehten sich um den Waffenhandel, Machenschaften von Pharma-Konzernen, den Krieg gegen den Terror oder zuletzt die russische Mafia. Als Publizist kritisierte er die US-Außenpolitik („Amerika ist verrückt geworden“) und forderte mehr Toleranz für den Islam.

Zum 80. ist le Carré ein rüstiger grauhaariger Gentleman, unvermindert charmant und scharfsinnig. Schon der Anblick eines Fremden auf der Straße kann genügen, um seine Fantasie zu entfesseln. Er ist in Frieden mit sich selbst. „Ich fühle mich bereit, zu sterben“, sagt er ungewöhnlich offen. „Wenn alles sehr bald vorbei sein sollte, würde ich nichts außer Dankbarkeit spüren. Es wäre eine Sünde, für ein Leben wie meins nicht dankbar zu sein.“