Auch für das Pop-Festival gelten strenge Regeln
Ein junger Kerl, noch keine 20 oder knapp drüber (bestes Festivalalter!), verheddert sich in seinem Kapuzenpulli, den er beim rasanten Lauf über den Zeltplatz mit sich herumträgt. Er eiert fast gegen die Plastik-Erscheinung, die da inmitten der friedlichen Zeltlandschaft steht. Volle Blasen können religiöse Gefühle und fanatische Glaubensbekenntnisse hervorrufen. Die mobile Sanitäranlage, das Dixi-Klo, als Epiphanie - so ist der Stand der Dinge, wenigstens einmal im Leben eines Popfestival-Besuchers. Besser gesagt: genau einmal. Der Rockbengel reißt die Tür des WCs auf, nichts anderes im Sinn als seine ganz persönliche Erleichterung. Sekunden später stürzt er wieder heraus, er pumpt Luft. Er wirkt beschwert und ziemlich verzweifelt.
Merke: Beim Besuch eines Festivals muss insbesondere bei Übernachtern das Entleeren der Blase penibel geplant werden. In gar keinem Falle ist die Toilettenbatterie auf dem Zeltplatz aufzusuchen. Sie ist einer der widerwärtigsten Orte, die sich ein zivilisierter Mensch nur denken kann. Wer noch nie in ein Dixi-Klo schaute, das vorher Hunderte, wenn nicht Tausende aufgesucht haben, die nach heftigem Biergenuss unter flatulenzia brachialis leiden, der hat noch nie wirklich in den Abgrund geschaut. Also, besser ist es, die Flüssigkeitszufuhr im normalen Rahmen zu halten. Und sämtliche Geschäfte, die der Stoffwechselwirtschaft geschuldet sind, in angrenzenden Waldstücken oder Maisfeldern zu erledigen. Was? Das ist eine noch größere Sauerei? Gut, stimmt. Also bitte nicht wildpinkeln, sondern ganz stark sein, wenn Dixi ruft. (Übrigens trägt kein professioneller Festivalbesucher, auch nicht bei Regen, Langärmeliges, sondern grundsätzlich Band-T-Shirts. Kapuzenpulli = Stolperfalle! Unbedingt vermeiden!)
Die Pop-Festivals. Beste Erfindung seit der Erfindung des Pops. Wallfahrtsstätten Hunderttausender. Orte, an denen die Festival-Connaisseure brillieren und Unbedarfte verzweifeln. Dabei ist es doch so einfach, das Pop-Festival; wenn man es nur richtig versteht!
Hier einige essenzielle Regeln im Schnelldurchlauf: Immer das richtige Festival aussuchen. Wer auf Judas Priest steht, kann dem ewigen Gewummere und Gefiepe einer Technosause eher wenig abgewinnen. Des Weiteren: Niemals mit dem Planungsethos eines Bürokraten die heilige Erde der musikalischen Outdoor-Veranstaltung betreten. Das geht gar nicht! Wer mit Zeittafel von Bühne zu Bühne und mit textmarkermarkierten Handzetteln (oder aufgerufenen Internetseiten auf dem Handy-Display) durch die Festivalgegend rennt, ist unbedingt vom Gelände zu verweisen.
Es gilt die Devise: Sich einfach mal überraschen lassen! Auf der nächsten Bühne wartet vielleicht schon der neue Hartmut Engler! Oder, ganz ernsthaft, die Band, von der man noch nie gehört hat - und die einen völlig wegföhnt.
Da sind dann alle Vorbehalte gegenüber sanitären Anlagen, da sind dann auch die auf Festivals üblichen wetterbedingten Verstimmungen (also bitte: Wer zum Festival geht und seine Gummistiefel vergisst, ist selbst schuld) wie weggeblasen. Wichtig ist, das sei an dieser Stelle nicht verschwiegen, eine bei Bedarf stoische Grundhaltung. Auf Festivals laufen überdurchschnittlich viele Freaks herum. Nicht zu denen zählen die Knutschibutschi-Menschen, die sich verliebt paaren. Die sind einfach nur romantisch. Sie interessieren sich irgendwann nicht mehr für Musik, Regen und Dixi-Klos. Sondern nur noch für sich und den Weltfrieden. Der ist, zumindest in ihrer verliebten Vorstellung, dann erreicht, wenn das ganze Pop-Gedöns, die Gitarrenriffs und das Festival-Grundrauschen beim Knutschen zu einer süßen Suppe verschwimmen. Lasst die Liebenden und ihr Zelt in Ruhe! Ärgert sie nicht.