Die „Aspekte“-Redaktion weist die Vorwürfe zurück. Berliner Türken bezeichnen den Besuch von Thilo Sarrazin in Kreuzberg als „Provokation“.
Berlin. Wirklich überraschend war die Reaktion der Muslime in Berlin-Kreuzberg nicht: Der vom ZDF organisierte und in wüste Beschimpfungen ausgeartete Besuch von Thilo Sarrazin hat heftige Kritik ausgelöst. „Es ist wirklich mehr als peinlich, wenn 'Aspekte', ein renommiertes Kulturmagazin, es offensichtlich nötig hat, einen solch vorhersehbaren Eklat zu inszenieren“, sagte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, am Montag.
Der wegen seiner Thesen zur Integration umstrittene Autor Sarrazin („Deutschland schafft sich ab“) hatte den von einem ZDF-Team begleiteten Besuch bei Kreuzberger Muslimen wegen lautstarker Proteste abbrechen müssen. Er selbst schrieb in der „Berliner Morgenpost“, er sei lautstark angeklagt worden, Vorurteile zu wecken. Zudem hätten Demonstranten „Sarrazin raus“ gerufen und ihn als „Rassisten“ beschimpft.
"Ziel der Sendung „war es nicht, Krawalle zu inszenieren, sondern ein Gespräch in Gang zu setzen“, sagte „aspekte“-Redaktionsleiter Christhard Läpple. Dafür sei die kurdisch-türkischstämmige Fernsehjournalistin Güner Balci beauftragt worden, ein Jahr nach dem Erscheinen von Sarrazins Bestseller, diesen „als Buchautor und als deutsches Phänomen“ zu porträtieren. Es habe Verabredungen zu Gesprächen im alevitischen Kulturzentrum sowie in dem Restaurant „Hasir“ gegeben. Läpple hält es für möglich, dass einige der Protestierenden von der alevitischen Gemeinde über Sarrazins Besuch informiert worden waren.
Dem hielt Zimmermann entgegen, dass „wer Thilo Sarrazin unter sichtbarer filmischer Beobachtung durch Berlin-Kreuzberg und Neukölln schickt“, mit „wütenden Reaktionen kalkuliere“. Zwar könnten die Verantwortlichen im ZDF nun mit höheren Einschaltquoten rechnen, doch habe die Seriosität des Kulturmagazins Schaden genommen, sagte Zimmermann weiter.
Der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) bezeichnete den Kreuzberg-Besuch Sarrazins als „Provokation“. Sarrazin gelte nicht nur bei Muslimen, sondern auch bei Deutschen als Populist, sagte TBB-Sprecher Hilmi Kaya Turan auf dapd-Anfrage. „Wenn so einer samt Fernsehteam jetzt plötzlich nach Kreuzberg kommt, um angeblich einen kulturellen Dialog zu führen, dann will er wahrscheinlich bald ein neues Buch veröffentlichen.“
Der Berliner Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele zeigte Verständnis für die Wut der Sarrazin-Gegner und deren Unwillen, mit dem umstrittenen Autor zu diskutieren. „Herr Sarrazin hat auch mir gegenüber schon eine Diskussion seiner diskriminierenden und beleidigenden Thesen verweigert und zeigt sich völlig uneinsichtig“, sagte Ströbele auf dapd-Anfrage. Gleichwohl dürften persönliche Beleidigungen aber kein Mittel der Debatte sein.
Auch Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) kritisierte die gegen Sarrazin gerichteten Beschimpfungen auf der Straße scharf. Das Skandieren von Sprechchören wie „Nazi“ oder „Rassist“ sei kein „Beweis politischer Reife der Kreuzberger Zivilgesellschaft“, sondern der „Triumph von Psychoterror und der Macht des Straßenmobs“, schrieb Buschkowsky in der „Bild“-Zeitung. (dapd/abendblatt.de)