Heute wird der einmillionste Besucher des St.-Pauli-Musicals “Heiße Ecke“ im Schmidts Tivoli erwartet. Wie konnte es zu diesem Erfolg kommen?
Hamburg. Als "Liebeserklärung an St. Pauli", als "charmant und sexy", als "fast reales Märchen" wurde das Musical "Heiße Ecke" nach seiner Premiere im September 2003 im Schmidts Tivoli gefeiert. Inzwischen ist die Geschichte, die 24 Stunden an einem Imbiss auf der Reeperbahn Revue passieren lässt, mit 2000 Vorstellungen die erfolgreichste deutschsprachige Musicalprodukion. 2000-mal haben neun Darstellerinnen und Darsteller - von denen einige in der Show jedes Mal mehrere kalte Würstchen essen müssen - mehr als 50 Rollen gespielt, Dutzende Male die Kostüme gewechselt und dabei 22 schmissige Songs gesungen.
Heute Abend wird der einmillionste Besucher in der Show über die geile Meile erwartet. Keine deutsche Theateraufführung ist von so vielen Menschen gesehen worden.
Noch am Morgen vor der Premiere hatte sich die ganze Belegschaft bis sechs Uhr morgens im Anker an der Davidstraße betrunken. Keiner hätte damals gedacht, dass die Show so lange läuft. Was ist das Geheimnis des Musicals, das nach acht Jahren Spielzeit, noch immer rappelvoll ist? Neben dem Aspekt, dass hier das Leben mit ganz großen Gefühlen und ganz viel Spaß gefeiert wird?
Corny Littmann, selbst die Verkörperung von St. Pauli, der die "Heiße Ecke" inszenierte - die Musik schrieb Martin Lingnau und der Text kommt von Thomas Matschoss -, sagt: "Neben der Tatsache, dass das Musical sehr kurzweilig ist, besteht das Geheimnis im Wiedererkennungswert. Jeder Zuschauer erkennt auf der Bühne eine Figur, mit der er sich identifizieren kann. Von Jung bis Alt. Das Stück bietet Reeperbahn in drei Stunden. Wenn man aus dem Theater kommt, sieht man tatsächlich genau das auf der Straße, was man eben im Theater erlebt hat. Angefangen von der Würstchenbude und den Nutten über Junggesellinnen-Abschiede und Pinneberger, die hier am Wochenende unterwegs sind."
Oft sind es Hamburger, die ihren Besuch von außerhalb in die "Heiße Ecke" führen. Und es gibt auch Zuschauer, die schon mehr als ein Dutzend Mal in der Vorstellung waren. Rudi aus Flensburg etwa wird heute zum 20. Mal erwartet. "Ein weiteres Geheimnis liegt darin, dass die Zuschauer merken, wie viel Spaß die Schauspieler auf der Bühne haben", sagt Littmann. "Und das Theater hat eine Intimität, die man in den Musical-Palästen gar nicht kennt."
Ein wenig hat sich der Text mit den Jahren verändert, ist aktueller geworden. Ganz klar auch, dass die Schauspieler pointensicher sind, genau wissen, wann Lacher bevorstehen, und das entsprechend ausreizen. Jede Rolle ist dreifach besetzt. Natürlich kann kein Schauspieler 2000 Vorstellungen spielen. Fünf oder sechs der Darsteller sind von Anfang an dabei. Kathi Damerow ist derzeit "Miss Heiße Ecke". Sie hat 90 Prozent aller bisherigen Vorstellungen gespielt, "mindestens 1600", wie Bernd von Arnim sagt, der für die Produktion verantwortlich ist.
Nur einmal kam es vor, dass keine der Besetzungen verfügbar war. Krank, verreist oder verpflichtet waren alle drei an einem Abend. Da sprang Littmann ein und hat Blut und Wasser geschwitzt, obwohl er das Stück fast auswendig kennt. Aber eben nicht jede einzelne Rolle. "Der Abend ist mein persönliches Highlight aus dieser Produktion", sagt Littmann. "Das Kostüm musste geändert werden. Ich musste mehrere Songs singen, einmal mit einer komplizierten Choreografie verbunden. Die Szene hab ich gleich gestrichen. Den Text für ein anderes Lied habe ich auf den Rücken einer Kollegin geschrieben, die sich natürlich nie vom Publikum wegdrehen durfte. Einen Song haben wir im Playback gespielt. Es lief einigermaßen gut, bis auf die schnellen Kostümwechsel. Als ich dann mit blonder Perücke vor meiner Bühnenpartnerin auftauchte, brach sie in schallendes Gelächter aus, weil sie mich so noch nie gesehen hatte. Wir konnten uns beide nicht mehr halten und haben mühsam weitergespielt. Am Ende war ich völlig geschafft."
Missgeschicke gab es in den acht Jahren wenige. "Eine Kollegin hat mal vergessen, ihre Perücke aufzusetzen, und sah mit festgesteckten Haaren aus wie ein Bankräuber. Eine andere hat ihr Ohrmikro vergessen. Aber sonst? Es gab viel Schönes. Yvonne Disqué, die seit Anbeginn mitspielt, hat zwei Kinder bekommen. Fünf Kinder wurden insgesamt geboren."
Wie lange wird die "Heiße Ecke" ein Dauerbrenner bleiben? Corny Littmann, der seit 20 Jahren mit Norbert Aust das Schmidts Tivoli betreibt, weiß es nicht. "Ich habe Anfangs geglaubt, dass wir bestenfalls auf 500 Vorstellungen kommen. Mittlerweile ist kein Ende abzusehen. Die Vorstellungen sind zu 90 Prozent ausverkauft. 303 'Heiße Ecken' gab es 2010. Fünf weitere Jahre könnten folgen. Schließlich ist 'Heiße Ecke' inzwischen eine Hamburgensie und fehlt in kaum einem Tourismusprogramm."