Die junge Indie-Band Vierkanttretlager nimmt derzeit im Altonaer Studio Le Châtelet ihr Debütalbum auf - und spielt heute Abend im Bunker.
Uebel & Gefährlich. Manchmal scheint diese Welt schon arg entzaubert, und doch existiert sie noch, die Muse. Viele gedenken ihrer als Inspiration für rauschende Poesie oder üppige Malerei. Doch in der Postmoderne, der technisierten, verzettelten, da gebiert die Muse anderes, nicht minder Gutes. Etwa das Wort Vierkanttretlager.
"Das Wort habe ich zum ersten Mal am Telefon gehört. Ein Mädchen, in das ich damals verliebt war, hatte es von einer Einradverpackung vorgelesen", sagt Max Leßmann. Schmal ist er, der 19-jährige Sänger, das Haar blond gescheitelt, das Gesicht blass. Ein Typ, der prädestiniert dafür zu sein scheint, einmal Dandy zu werden. Einer, der verschmitzt die schöne Geschichte von dem Musenmädchen erzählt, das der Band zu ihrem sperrigen Namen verhalf. Der aber auch mit nervöser Energie Verse vorträgt, die jenseits jeglicher Lieblichkeit liegen.
"Unter Litfaßsäulen stehen Legionen/im stummen Alltagskampf entbrannt/der keine Opfer trägt und keine Wunden/er bringt uns nur um den Verstand", proklamiert Leßmann in "Schluss Aus Raus". Die Kritik, die er in den Songs von Vierkanttretlager äußert, schließt ihn selbst mit ein. "Ich greife nicht nur an, ich stelle auch mich selbst mit in die Schussbahn", sagt der Songschreiber. Von Wut und Einsamkeit, Suche und Pausieren handeln seine Texte. Von einer pochenden Unruhe jener Bürgerskinder, die nicht in Not leben, aber dennoch mehr wollen. Ideell. Emotional. Aber wie? "Die Parolen veraltet/die Rebellionen verpasst/und längst schon angefreundet/mit dem, was man so hasst", singt Leßmann in "Penzion Kanonir". Kantig ist dieser Indierock, trägt aber auch die griffige Leichtigkeit des Pop in sich.
Aufgenommen haben die vier ihre ersten Stücke im Hamburger Studio Le Châtelet, wo sie derzeit mit Produzent Gregor Hennig an ihrem Debütalbum arbeiten. Noch fehlt eine Plattenfirma, aber der Erstling soll im Frühsommer erscheinen. Am Tag des Interviews herrscht großer Bahnhof in dem kleinen Flachdachbau in Altonas Norden. Der Aufnahmeraum mit seinem wuchtigen Mischpult und den alten Sofas ist fast komplett gefüllt mit der vierköpfigen Band, mit Produzent Hennig sowie Manager Nino Skrotzki, einst Sänger von Virginia Jetzt!, der nach dem Ende seiner Popformation nun lieber hinter den Kulissen die Fäden zieht. Und auch Pastor Nils Kiesbye von der benachbarten Gemeinde Altona-Ost schaut mit einem seiner Söhne vorbei. Der Geistliche macht in diesem Kontext tatsächlich das, was er am besten kann: Beistand leisten.
Das Quartett kennt Kiesbye noch aus Husum, wo es im Keller seines Pastorats proben durfte, wenn er dort nicht gerade mit seiner eigenen Band übte. Seit der Rock-'n'-Roll-affine Protestant nach Hamburg gezogen ist, steht den jungen Husumer Herren stets ein Schlafplatz bereit. Ob zu Studiozeiten oder, wie heute, zum Konzert mit den Fotos im Bunkerklub Uebel & Gefährlich. "Der Pastor war immer sehr interessiert an unserer Musik, hat uns geholfen und angeschoben", sagt Momme Friedrichsen, der Bass und Akkordeon spielt und Vierkanttretlager zusammen mit Gitarrist Christian Topf komplettiert. Die beiden 18-Jährigen wirken mit ihren baumstarken Staturen wie aus der Bierwerbung entwischt. Friesisch-herb.
Seit 2008 machen die Freunde gemeinsam Musik, sie besuchen alle denselben Jahrgang derselben Schule in Husum. Popkulturell ist die "graue Stadt am Meer", wie Theodor Storm sie nannte, im Vergleich zu Hamburg tatsächlich Ödland. "Deutsche Untergrundpunkgrößen kommen schon nach Husum", sagt Schlagzeuger Leif Boie und lacht, als sei das ein schwacher Trost. In seiner feingeistigen Art, mit dem ernsten Blick aus dunklen Augen, mit seinem ordentlich gekämmten Haar und der Strickjacke über dem Hemd wirkt Boie so, als höre er lieber Poesie statt Parolen. "Es gibt ein Kulturzentrum, den Speicher, da haben wir auch unser erstes Konzert gespielt", erzählt er, "aber da passiert nicht wirklich viel." Noch bindet das Abi an die Provinz. "Wir haben nicht vor, da zu bleiben. Das steht nicht zur Diskussion", sagt Leßmann ruhig, aber bestimmt. Und er fügt hinzu: "Wer ein bisschen ambitioniert ist, versucht den Schritt nach Hamburg."
Wer die Band live erlebt, schwankt innerlich permanent, ob da nun das Nordische oder das Glamouröse überwiegt, Michel aus Lönneberga oder David Bowie. Eine Spur junger Jochen Distelmeyer schwingt ebenfalls bei Leßmann mit. Auch wenn die Band sich konkreten Zuschreibungen verweigert.
"Wir orientieren uns gar nicht so stark an der Musik, die uns nachgesagt wird", sagt der Frontmann. An den Sternen zum Beispiel, die ihre jüngste Platte "24/7" im Le Châtelet aufnahmen. Neben Bands wie Tocotronic reicht die musikalische Sozialisation von Vierkanttretlager weit gefasst von Hip-Hop bis zu Motown-Soul. Und auch einen Klassiker wie Peter Sarstedts "Where Do You Go To My Lovely" haben sie im Repertoire. Lässig eingedeutscht. Diese Husumer Schule, sie ist eine eigene.
Manager Skrotzki, der mit Sweatshirt und Jeans weit entfernt ist vom geleckten Branchenmann, ist voll des Lobes für seine Schützlinge: "Ich verstehe mit meinen 30 Jahren selber nicht alle Bilder in den Songs, aber es ist sofort ein Gefühl entstanden bei den Texten und der Musik." Damals, beim Vertragsabschluss mit dem Berliner, waren die Musiker noch nicht volljährig. Die Eltern mussten unterschreiben.
Und die Muse, das Mädchen? Hat Vierkanttretlager ihm jemals gedankt? "Wir haben einmal betrunken bei ihr angerufen und ihr gesagt: Du hast den Namen erfunden", erzählt Leßmann. "Da war sie ganz gerührt."
Vierkanttretlager, Fotos 1.2., 20.00, Uebel & Gefährlich (U Feldstraße), Feldstr. 66, Eintritt: 16,- an der Abendkasse; www.vierkanttretlager.de