Die erfolgreiche TV-Serie “Glee“ aus den USA über einen schrulligen Schulchor, persifliert den Zeitgeist brillant. Jetzt läuft sie auf RTL.
Hamburg. "Wir glauben, dass gesellschaftliche Veränderung mit Singen im Chor beginnt", heißt es auf einem Plakat in der Hamburger Toastbar. Wüssten wir nicht, dass dieser Zettel schon seit Jahren hinterm Tresen hängt, es stünde zu vermuten, dass die Sender RTL und Super RTL eine Image-Kampagne für ihre diesen Sonntag startende Serie "Glee" geschaltet hätten.
Der höchst erfolgreiche TV-Import aus den USA erzählt die Geschichte eines schrulligen Schulchors in der Provinz Ohios. Glee, zu Deutsch Freude, erleben die Teenager beim Singen, was zu eskapistischen Showsequenzen aufpoliert wird. Eine Flucht in eine Las-Vegas-Welt, denn im Highschool-Alltag wartet die Schmach, symbolisiert durch den Slushy. Dieses klebrige Gesöff scheint einzig zu dem Zweck geschaffen, um es den Glee-Kids regelmäßig ins Gesicht zu schleudern.
Wie Regisseur und Drehbuchautor Ryan Murphy ("Nip/Tuck") ultimativen Gänsehaut-Kitsch mit brutalem Sarkasmus und zutiefst menschlichen Storys zu einer skurrilen Teen-Soap verquickt, ist nicht nur äußerst zeitgemäß, sondern brachte "Glee" einen Golden Globe sowie jüngst zwei People's Choice Awards ein.
Eine Auszeichnung erhielt Jane Lynch für ihre Rolle als Sue Silvester. Als Cheerleader-Coach verkörpert die burschikose Blondine das absolute Leistungsprinzip. Eine hanebüchen perfekte Cheerleader-Choreografie quittiert sie mit den Worten: "Wenn ihr glaubt, das sei hart, dann lasst euch mal von der Army foltern." Das US-amerikanische Original treibt es noch eine Spur böser: "When you think, that's hard, try waterboarding." Politisch korrekt geht anders. Und das ist genau der Ton, den "Glee" gekonnt anschlägt.
Der Chor versammelt derart viele Außenseiter und Minderheiten, dass der Diskriminierungsalarm bei Gutmenschen lauter klingeln dürfte als jede Schulglocke. Rachel, die profilneurotische Sangesbeste, ist Jüdin und verfügt über eine ausgeprägte Barbra-Streisand-Nase, weshalb sie gerne mit einem "Shut up, Yentl" ruhiggestellt wird. Kurt, eine schwule Diva, landet mit seiner Marc-Jacobs-Kollektion jeden Morgen in der Mülltonne. Artie, ein bebrillter Hempfling im Rollstuhl, Tina, eine stotternde Asiatin, und Mercedes, die Quoten-Schwarze und Typ Aretha Franklin der H&M-Generation, komplettieren die Nerd-Runde, die von Will Schuester geleitet wird, einer Art Fred Astaire der modernen Sozialpädagogik.
Wie durch ein dramaturgisches Wunder erscheinen die Figuren dennoch nicht wie Abziehbilder, sondern verkörpern glaubhaft die universelle Suche nach Anerkennung, Liebe, Inspiration. Oder, um Sven Regener (auch ein Sänger, wenn auch ein gänzlich anderer) zu zitieren: "Wo die Neurosen wuchern, möcht ich Landschaftsgärtner sein." Oder eben Zuschauer. "Glee" persifliert das soziale Gefüge der Highschool, zugleich wird es aufgebrochen. Die Serie belässt es nicht dabei, lediglich ein Loser-Patchwork abzubilden. Die Welt ist komplexer geworden.
In den 80ern herrschte noch der Kalte Krieg an der Grenze von Arm und Reich, zwischen "Pretty In Pink" mit Secondhand-Klamotten und elitärer Popperclique. Und auch die Behaglichkeit, die in den 90ern mit Serien wie "Beverly Hills 90210" folgte, funktioniert nicht mehr in der Jetztzeit, in der sich harsche Formulierungen wie "du Opfer" als Schimpfwort etabliert haben. Popularität ist die neue Währung. "Heutzutage ist es viel schlimmer, anonym als arm zu sein", erklärt Rachel und postet Videos von sich auf YouTube, die dort mit Sätzen wie "Lass dich bitte sterilisieren" kommentiert werden.
So sehr die Kids in der TV-Serie um Würde ringen, umso mehr haben die Protagonisten in den USA Superstar-Status erreicht. Die Einschaltquoten liegen bei bis zu 13 Millionen Zuschauern. Mehr als fünf Millionen Alben wurden vom Soundtrack verkauft. Denn die Musical-Comedy ist vor allem ein großes Fest der popkulturellen Querverweise. Der Chor covert Liedgut von Amy Winehouse' "Rehab" bis zu Queens "Somebody To Love".
Kein Wunder, dass Stars wie Sänger Josh Groban oder Aktrice Gwyneth Paltrow mittlerweile mit Gastrollen bei den vermeintlichen Losern einsteigen. Aus dem Chor der Verlierer wird zwar zum Glück keine Supergroup aus Gewinnern. Doch sie beginnen, die gesellschaftlichen Veränderungen.
Glee 16.1., 14.40 Uhr, RTL (1. Folge "Ouvertüre"); 17.1., 20.15 Uhr, Super RTL (Doppelfolge)