“Jeder stirbt für sich allein“ wurde in den USA entdeckt - und weltweit zu einem Bestseller. Die Bücher von Hans Fallada finden reißenden Absatz.
Hamburg. Auch das gibt es, einen internationalen Bestseller, dessen Autor 1947 starb und der Werke hinterließ, die auch bei uns, in seinem Ursprungsland, meist nur noch auf der Backlist seines Verlages zu finden waren. Primo Levi, der Auschwitz entkam, hat Hans Falladas letzten Roman "Jeder stirbt für sich allein" das größte Buch genannt, das je über den deutschen Widerstand geschrieben worden ist. Aber bei uns liest man es kaum noch. Wie also konnte es passieren, dass der Roman, den der drogensüchtige Autor kurz vor seinem Tod 1947 in nur 24 Tagen geschrieben hat und der den Widerstand der kleinen Leute gegen den Nationalsozialismus zum Thema hat, gerade jetzt ein internationaler Bestseller wurde?
Hans Fallada, der gern unterschätzt wird, aber zu den wichtigsten deutschsprachigen Autoren des 20. Jahrhunderts gehört, war in den 30er-Jahren im englischsprachigen Raum mit "Kleiner Mann - was nun?" bekannt geworden, danach dort aber so gut wie vergessen. Bis ihn Dennis Johnson wiederentdeckte, Chef eines kleinen, unabhängigen amerikanischen Verlages aus New Jersey, Melville House. Die erste englischsprachige Übersetzung von "Jeder stirbt für sich allein" wurde beim preisgekrönten Übersetzer Michael Hofmann in Auftrag gegeben. 2009 erschien das Buch unter dem Titel "Every Man Dies Alone" in den USA und wurde von der New York Times hymnisch als "Ereignis mit Signalwirkung" gefeiert. 45 000 Exemplare waren bald verkauft.
Der Erfolg des Romans, der daraufhin in der englischsprachigen Welt einsetzte, ist absolut ungewöhnlich und beispiellos. Aber auch in Frankreich und Israel begann ein Run auf Fallada. Mehr als 500 000 Exemplare von Falladas Roman sind weltweit in den letzten 15 Monaten verkauft worden. Denn gleichzeitig mit Dennis Johnson, der durch die Modeschöpferin Diane von Fürstenberg auf Fallada aufmerksam gemacht worden war, hatte sich der britische Penguin Verlag für "Jeder stirbt für sich allein" interessiert.
Nicholas Jacobs, auch er Leiter eines kleinen verdienstvollen Verlages mit Namen Libris, hatte sich 14 Jahre darum bemüht, Fallada als Taschenbuchausgabe zu publizieren und nichts als Absagen erhalten. Ein Verlag lehnte ab, weil der Autor nicht mehr lebe und nicht in Werbeaktionen einbezogen werden könne. Doch plötzlich drehte sich der Wind, und der Großverlag Penguin griff schließlich zu.
In Großbritannien erschien der Fallada-Roman unter dem Titel "Alone in Berlin" und entwickelte sich rasch zum Bestseller, der großflächig in Kaufhäusern und Supermärkten auslag. 200 000 Exemplare der Geschichte vom Berliner Kleinbürgerpaar, das dem Dritten Reich mit einer Postkartenaktion Widerstand entgegensetzt, gingen rasch weg.
Nicht nur, dass die Amerikaner nach wie vor elektrisiert auf alles reagieren, was mit Hitler, dem Holocaust und der Nazizeit in Verbindung gebracht wird - dies scheint genau das zu sein, was englischsprachige Leser, die im Fernsehen seit Jahrzehnten mit Deutschen konfrontiert werden, die "Obersturmbannführer" genannt werden, die "Jawoll" und "Zu Befehl" brüllen, über Deutschland lesen wollen. Schließlich waren schon Grass' "Blechtrommel" und Bernhard Schlinks "Der Vorleser" - beides Romane, die die Nazizeit thematisieren - englischsprachige Bestseller geworden. Und das, obwohl nur ein Prozent aller in den USA erscheinenden Romane Titel aus dem Ausland sind. Übersetzt wird hier kaum noch. Literarisch bleibt man gern in seinen Grenzen.
Im Falle Falladas interessiert vielleicht auch die Biografie des Autors, der nicht in die Emigration ging, der den deutschen Alltag aus nächster Nähe beobachtete und ein aufregendes Leben vorzuweisen hat. Fallada, der als 18-Jähriger einen Selbstmordversuch unternommen hatte, der alkohol- und drogensüchtig war, der in der Heilanstalt und mehrfach im Gefängnis saß und der später des Mordversuches an seiner geschiedenen Ehefrau verdächtig war, kann eine mehr als interessante Biografie vorweisen. Was letztlich bestsellertauglich ist, weiß natürlich niemand.
Erstaunlich an dem verlegerischen Kalkül Johnsons, das auf den Außenseiter Fallada setzte, ist auch, dass zur selben Zeit ein anderes Buch mit Nazi-Thematik als Bestseller gehandelt wurde. Der Verlag HarperCollins hatte auf der Frankfurter Buchmesse die Rechte an Jonathan Littells Roman "Die Wohlgesinnten", die fiktive Lebensbeichte eines SS-Obersturmführers, erworben. Für eine Million Dollar. Littells Roman floppte in den USA, verkaufte sich nur 20 000 mal. Johnson hingegen erwarb die Rechte an "Jeder stirbt für sich allein" für eine moderate Summe. Er sagte: "Die Rechte-Inhaber waren dankbar, dass wir sie angesprochen haben und sind uns sehr entgegengekommen." Johnson, der auch die Rechte an weiteren Fallada-Romanen erworben hat und der bereits "Kleiner Mann - was nun?" und "Wolf unter Wölfen" publizierte, hatte für den Vertrieb seines Bestsellers längst mit Random House kooperiert, der größten Publikumsverlagsgruppe der Welt, die dem deutschen Bertelsmann-Konzern gehört.
Ob sich der Erfolg Falladas auch in Deutschland wieder einstellen wird? Erst gestern gab der Berliner Aufbau-Verlag bekannt, dass er die Gesamtrechte am Werk Falladas gekauft habe. Man plant nun weitere Veröffentlichungen aus dem Nachlass sowie die Publikation der Hauptwerke Falladas als eBook. Der Hauptteil der Urheberrechte lag bisher beim früheren Besitzer des Aufbau-Verlages, Bernd Lunkewitz, sowie bei Falladas Söhnen, Ulrich und Achim Ditzen.
+++ Lesen Sie dazu auch das Interview mit dem Chef des Verlagshauses Melville, Dennis Johnson HIER +++