Der Hamburger Autor Finn-Ole Heinrich und „Krach & Getöse“-Gewinner Spaceman Spiff kommen am 16. Dezember in die Thalia-Zentrale.

Hamburg. Es geht darum, Räume zu öffnen. Räume in die Vergangenheit zum Beispiel. In „meine sich krümmende Erinnerung“, wie es der Erzähler dieser Kurzgeschichte formuliert. „Du drehst den Kopf, ich dreh den Kopf“ heißt sie. Ein Typ sitzt in seiner WG und hält einsame Zwiesprache mit seinem verschwundenen Mitbewohner. Oder war er doch mehr? Ein Freund? Ein Liebhaber? Was bleibt übrig von so einem Leben außer der Orangenmarmelade im Kühlschrank und einem Päckchen Tabak auf dem Küchentisch?

Geschrieben hat den Text der mehrfach preisgekrönte Hamburger Autor Finn-Ole Heinrich, ein junger Mann mit fuchsschlauem Blick, blondem Zopf und pelztierartigem Bart. Erinnerungen an Alltägliches und Poetisches mischen sich mit Träumen, Trauer und Wut. All diese Bilder und Gefühle öffnen sich sachte in den 24 Minuten, in denen Heinrich seine Geschichte vorträgt. Eine intime Spoken-Word-Performance. Deutlich ist zu vernehmen, dass da kein alter, aber auch kein altkluger Erzähler spricht.

Der 28-Jährige hetzt seine Zuhörer nicht. Er lässt ihnen Raum, sich umzusehen, den eigenen Gedanken nachzuhängen. Und dieser Raum, er weitet sich durch einen Sound, der an manchen Stellen durchdringt. Geräusche brodeln, laufen Schlaufen, eine Gitarre vibriert im Hintergrund. Sie gehört dem Hamburger Hannes Wittmer, der sich als Musiker nach einer Comicfigur Spaceman Spiff nennt und jüngst von RockCity Hamburg mit dem „Krach & Getöse“-Preis ausgezeichnet wurde.

Mit seiner Brille, den braunen Locken und weicheren Zügen um die Wangen wirkt Wittmer etwas verträumter, auch studentischer als Heinrich. Vier Jahre jünger ist er, was letztlich nichts zur Sache tut. Denn mit ihrer CD „Du drehst den Kopf, ich dreh den Kopf“, die jetzt beim Altonaer Mairisch-Verlag erschienen ist, haben sich die zwei einen ganz eigenen, zeitlosen Raum geschaffen. Eine Art künstlerische Begegnungsstätte, in der sich Spaceman Spiffs Songs und Heinrichs Erzählungen ergänzen. Heute stellen sie ihr verzahntes Schaffen live in der Zentrale des Thalia-Theaters vor. Mit Worten, Gitarre und Glockenspiel.

Wer Heinrich und Wittmer jenseits der Bühne trifft, der merkt, dass es auch dann ums Erzählen geht. Um Freundschaft und Intuition zudem. Und wie das alles einen Raum zwischen den beiden entstehen lässt, der so schön und schützenswert scheint wie ein Biotop.

„Wie wir uns kennen gelernt haben, ist eine sehr schöne Geschichte“, sagt Wittmer. Und in diesem Fall ist das keine Floskel. Studenten hatten den Musiker und den Autor, die sich damals noch fremd waren, vor etwa einem Jahr zu einem gemeinsamen Abend ins Literaturhaus Kiel eingeladen. „Nachher hat noch jemand Musik aufgelegt. Es hat aber niemand getanzt außer Finn und ich. Wild. Drei Stunden lang. Zu peinlichen Klassikern wie ’Girls just wanna have fun’“, erinnert sich Wittmer und lacht. Im Anschluss hätten sie sich dann auf dem Hotelzimmer Witze erzählt. Ein Raum, eine verrückte Nacht. „Das schweißt zusammen.“

Als dann ein Auftritt an Heinrichs alter Schule in Cuxhaven anstand, nahm er Wittmer einfach mit. „Wir hatten zwei Tage vorher Zeit und hingen bei meinen Eltern rum“, erzählt Heinrich. Im einstigen Kinderzimmer probten sie. Ein Raum, Erinnerungen, Neues. „Wir experimentierten, wie Hannes mit den Tönen umgeht, um den Text zu verstärken“, sagt Heinrich. „Dann hat ein Spieltrieb eingesetzt.“ Ein Improvisieren, das auch mal eine gluckernde Heizung mit einbezieht. Akustische Räume entstanden, in denen Heinrichs Worte eine Heimat fanden. „In dem Moment des Lesens macht mich die Musik stärker“, sagt er.

Andererseits profitiert vor allem live Hannes’ Musik, meint Heinrich. Nicht nur die, die die Geschichten untermalt, sondern auch die, die er solo spielt. „Denn die Aufmerksamkeit ist bei einer Lesung sehr viel höher als bei einem Konzert.“ Und diese einfachen Lieder zur Akustikgitarre verdienen ein gesteigertes Interesse. Wenn Spaceman Spiff etwa in „Melancholie und ich“ von der Gratwanderung zwischen Abschied und Neuanfang singt.

Obwohl sich ihre Künste derart ineinander verschränken, ist die Herangehensweise an Texte bei beiden grundverschieden. Heinrich bedient mit seinem Roman „Räuberhände“ (2007) und mit Erzählbänden wie „Gestern war auch schon ein Tag“ (2009) die Prosa-Langstrecke. Wittmer, der vergangenes Jahr das Album „Bodenangst“ veröffentlichte, schreibt hingegen im konzentrierten Pop-Format.

„Ich bin jemand, der jeden Tag schreibt. Texte zu schreiben, ist meine Art, mit der Welt überhaupt in Verbindung zu treten, auch wenn meine Geschichten nicht autobiographisch sind“, erzählt Heinrich. „Teilweise bekomme ich ein Vierteljahr kein Lied raus“, erklärt wiederum Wittmer. „Ich brauche eine Situation, in der mir was widerfährt, in der mich etwas unglaublich beschäftigt.“ Dann versuche er, sagt Wittmer, den Song runterzubrechen, so dass er „für möglichst viele Leute interpretierbar wird“.

Doch es gibt auch eine Brücke zwischen dem Autor und dem Liedermacher. „Seine Geschichten und meine Songs sind beide sehr nah an der Realität“, sagt Wittmer. Stimmt. Beide bedienen sich einer Sprache, die weniger gekünstelt, vielmehr lässig dahergesagt scheint. Und beide bewegen sich lieber in überschaubaren Räumen, wo sich unvermutet eine Tiefe entfaltet. Sie sind eher Seelengräber als Weltumsegler.

Und noch ein Raum existiert, der beide verbindet. Hamburg. Doch während Wittmer in Altona gerade an seiner zweiten Platte „Und im Fenster immer noch Wetter“ arbeitet, die im März erscheint, ist die Hansestadt für Heinrich derzeit eher ein Sehnsuchtsort. „Ich bin ein Jahr lang fast gar nicht hier gewesen“, sagt er. Er hatte Stipendien in Berlin und Stuttgart, war zwischendurch auf Tour. „Ich arbeite seit vier Jahren hauptsächlich im Zug.“ Erst im Februar nächsten Jahres zieht Heinrich zurück in seine WG in Wilhelmsburg, wird dann weiter schreiben, diesmal allerdings an Drehbüchern, drei an der Zahl. Kino ist Heinrichs zweite Leidenschaft. Deshalb sind heute im Thalia auch Kurzfilme von ihm zu sehen. Noch mehr neue Räume. Das Betreten erfolgt auf eigene Gefahr. Aber es lohnt sich bestimmt.

Finn-Ole Heinrich & Spaceman Spiff: Do 16.12., 21.00, Zentrale (U/S Jungfernstieg), Alstertor 1, Eintritt: 8,-; www.mairisch.de