Eric Whitacre, amerikanischer Chor-Komponist mit Modelformat, dirigiert eigene Werke
Audimax. Die meisten zeitgenössischen klassischen Komponisten sind von einer Hitparade noch weiter entfernt als der FC St. Pauli von der Meisterschaft. Doch bei Eric Whitacre ist das anders. Ganz anders sogar: Der 40 Jahre alte Amerikaner hat es mit seinem Album "Light & Gold" im Oktober gleich auf Platz eins der Klassik-Charts in den USA und England geschafft - mehr als eine kleine Sensation. Zumal es sich um Chormusik handelt: ein Genre, in dem mitunter schon 1000 verkaufte CDs ein gutes Ergebnis sein können.
Strenge Avantgarde-Sittenwächter nörgeln über vermeintlichen Edelkitsch
Whitacres Erfolg dürfte vor allem zwei Gründe haben: Erstens geht seine Musik nicht nur sehr geschmeidig in die Ohren, sondern auch direkt unter die Haut - und zweitens sind viele Stücke so geschrieben, dass sie wie Butter in der Stimme liegen. Das heißt, es ist meist eine Riesenfreude, Whitacres Werke zu singen, weil jeder und jede immer mal wieder in seiner eigenen Sahne-Lage glänzen darf. Deshalb gehören seine größten Hits auch hierzulande längst zum Standardrepertoire anspruchsvoller Chöre.
Vor den Ohren gestrenger Avantgarde-Sittenwächter hat Whitacre natürlich keinen Bestand. Dazu ist seine Klangsprache zu tonal; manche Kritiker nörgeln naserümpfend über vermeintlichen Edelkitsch. Doch das dürfte ihn ziemlich kaltlassen.
Der smarte Komponist - der im Profil als Bruder des "Lost"-Schauspielers und Davidoff-Models Josh Holloway durchgehen könnte - hat eben kein Problem damit, wirklich schöne Musik zu schreiben. Aber simpel oder gar billig ist sie deswegen noch lange nicht, sondern ziemlich raffiniert und durchaus anspruchsvoll. Whitacres Stücke haben mitunter aleatorische Passagen (in denen jeder Musiker nach seinem eigenen Ermessen spielt oder singt) und sie nutzen geräuschhafte Momente - wie etwa in seinem großartigen Stück "Cloudburst", das den Sound eines Wolkenbruchs imitiert.
Der Trick ist, dass der Komponist solche Irritationen meist in einen wohlig-warmen Gesamtklang einbettet. Viele seiner Kompositionen haben eine flächige Struktur, auf der sich die bittersüßen Harmonien wunderbar ausbreiten können. Ganz typisch sind süffige, mit schmerzlichen Vorhalten angereicherte Gänsehaut-Akkorde. Zum Reinlegen!
Dass sich Eric Whitacre - trotz einiger erfolgreicher Instrumentalwerke, zum Beispiel für Blasorchester - vor allem der Chormusik widmet, zeugt von einer besonders engen Verbindung. Die ergab sich schon während der Studienzeit, als er mit 18 Jahren erstmals selber im College Choir an der Universität in Las Vages sang: eine Erfahrung, die sein Leben veränderte, wie er selber sagt. Er studierte Chorleitung und Komposition und machte an der renommierten New Yorker Juilliard School seinen Master.
Danach wurde Whitacre bald zu einem der gefragtesten Komponisten seiner Generation: Stücke wie das erwähnte "Cloudburst", wie "Waternight" oder "A Boy and a Girl" sind absolute Dauerbrenner; viele namhafte Ensembles stehen Schlange, um bei ihm ein Auftragswerk zu bestellen.
Vom Klischee des bettelarmen Künstlers ist der Komponist weit entfernt
Keine Frage, vom romantischen Klischee des unverstandenen, weltfremden und bettelarmen Komponisten, der seine Werke für eine ferne Zukunft entwirft, ist er denkbar weit entfernt. Whitacre steht mit beiden Beinen im Leben und der Gegenwart, seine Musik trifft einen Nerv der Zeit - und er kann sich auch gut verkaufen, nicht zuletzt mit den Möglichkeiten der Neuen Medien: Auf seiner hippen Homepage gibt's zum Beispiel neben dem üblichen Service unter anderem auch ein Interview im Second-Life-Style. Ein echter Knaller ist sein virtuelles Chorprojekt mit dem Stück "Lux aurumque": Aus den Einzelvideos seiner Fans - die ihre Stimmen bei sich zu Hause aufgenommen haben - hat der Komponist und Dirigent einen Internet-Chor mit 185 Mitgliedern aus zwölf Ländern zusammengeschnitten. Der YouTube-Clip davon wurde bis jetzt mehr als 1,5 Millionen Mal angeschaut.
Bei seinem Gastspiel in Hamburg ist Whitacre nun in Echtzeit zu erleben - und da dirigiert er auch zwei leibhaftige Chöre: Im Audimax leitet er ein Konzert mit dem Kammerchor I Vocalisti und den Männerstimmen der Chorknaben Uetersen.
Eric Whitacre So., 12.12., 19.00, Audimax (MetroBus 4, 5), Von-Melle-Park, Eintritt 22,- bis 46,-; Internet: www.ericwhitacre.com
"Light & Gold" Album ab 14.1. bei Universal/Decca